Adventsfenster – Aargauer Exportschlager

Adventsfenster – Aargauer Exportschlager

  • Den Brauch der Advents­fen­ster gibt es erst seit etwa 30 Jahren
  • Vom aar­gauis­chen Mit­tel­land aus hat der Advents­brauch fast die gesamte Schweiz, beina­he ganz Deutsch­land sowie Teile Öster­re­ichs und Frankre­ichs erobert
  • Advents­fen­ster sollen dafür sor­gen, dass die Leute sich und das Dorf ken­nen­ler­nen und gemein­sam besinnliche Momente teilen
 Per­le für Per­le entste­ht das Kunst­werk. Fiona und Noe­mi Peter­hans steck­en die bun­ten Plas­tik­teilchen auf die Ster­nen­form. Eine «Chnüübliar­bet», die Geduld braucht. Vor allem, wenn nicht nur ein einziger Stern, son­dern ein ganzes Fen­ster voll entste­hen soll. Zum Glück haben die jun­gen Bast­lerin­nen noch fast einen Monat Zeit: am 21. Dezem­ber wird sich die Nach­barschaft vor dem Haus der Fam­i­lie Peter­hans in Wet­tin­gen ver­sam­meln, um die Sterne im Advents­fen­ster zu bewun­dern.

Bis zum Dreikönigstag

Nicht jeden Tag ein Türchen, son­dern jeden Abend ein Fen­ster. Das Prinzip des bege­hbaren Adventskalen­ders ist sim­pel: 24 Anwohn­er eines Dor­fes oder Quartiers schmück­en eines ihrer Fen­ster. Mit Start am 1. Dezem­ber öffnet jeden Tag ein weit­eres Fen­ster, das ab Ein­bruch der Dunkel­heit bis etwa 22 Uhr beleuchtet wird. Die Advents­fen­ster kön­nen auf einem Spazier­gang ent­deckt wer­den und bleiben meist bis am Dreikönigstag vom 6. Jan­u­ar offen.

Suppe, Tee und Lebkuchen

Auf dieser Grund­lage hat jedes Dorf seine Eigen­heit­en entwick­elt, die lokal die Tra­di­tion bere­ich­ern. Das weiss die Kul­tur­wis­senschaft­lerin und Eth­nolo­gin Karin Janz. Sie leit­et seit 2016 das Pro­jekt der Nord­westschweiz­er Kan­tone Aar­gau, Solothurn, Basel-Stadt, Basel­land und Bern zur Aktu­al­isierung der Liste «lebendi­ge Tra­di­tio­nen in der Schweiz». Wie viele andere basiere auch dieser Brauch vor allem auf Frei­willi­ge­nar­beit und werde von Frauen- und Quartiervere­inen und ähn­lichen Organ­i­sa­tio­nen getra­gen, erk­lärt Karin Janz. Als lokale Eigen­heit führt sie ein Beispiel aus ihrer Wohnge­meinde an: Im Basel­land­schaftlichen Zun­z­gen kön­nen Fam­i­lien angeben, zu welchen Zeit­en Inter­essierte bei ihnen läuten und sie in der Stube besuchen dür­fen. An anderen Orten offerieren die Gast­ge­ber zur Eröff­nung ihres Fen­sters Tee, Gebäck oder Suppe vor ihrem Haus

Ein junger Brauch

Dominik Wun­der­lin, während 30 Jahren Kura­tor am Muse­um der Kul­turen in Basel und dort Leit­er der Abteilung Europa, stellt in seinem 2015 erschiene­nen Buch «’s isch heili­gi Wiehnacht­szyt» die schön­sten Advents- und Wei­h­nachts­bräuche der Schweiz vor. Aus Zeitungsmeldun­gen und Inter­net-Recherche hat der Volk­skundler die Anfänge des Advents­fen­ster-Brauchs rekon­stru­iert. Er hält fest: «Das Phänomen des bege­hbaren Adventskalen­ders ist noch jung. Bish­er haben wir keine Belege, die weit­er als 1985 zurück­re­ichen. Damals aber muss er im Kan­ton Aar­gau bere­its bekan­nt gewe­sen sein.» Ein früher Aar­gauer Beleg stammt aus Oth­marsin­gen, wo es bere­its 1986 Advents­fen­ster gab. In den Jahren darauf über­nah­men im unteren Freiamt und im östlichen Aar­gau viele Orte die Idee. Dominik Wun­der­lin lis­tet auf: Im Jahr 1988 Schinz­nach-Dorf und Berikon; 1989 Eglisau, Lauf­fohr, Asp, Brugg und Windisch; 1990 Ols­berg, Häg­glin­gen, Unter­siggen­thal, Auen­stein und Egliswil; 1991 Mägen­wil und Möriken. Heute find­en sich Advents­fen­ster in allen Kan­to­nen der Deutschschweiz. In der Westschweiz und im Tessin gibt es nur vere­inzelte Orte, welche die Idee über­nom­men haben.

Aargauer Innovation

Dominik Wun­der­lin fol­gert: «Beim bege­hbaren Dorf-Adventskalen­der haben wir es also offen­sichtlich mit ein­er schweiz­erischen ‚Erfind­ung’ zu tun. Unsere bish­eri­gen Nach­forschun­gen weisen darauf hin, dass konkret das aar­gauis­che Mit­tel­land als Inno­va­tion­szen­trum des bege­hbaren Adventskalen­ders zu betra­cht­en ist.» Die Advents­fen­ster entwick­el­ten sich zum Export-Schlager und sind heute in Teilen Frankre­ichs und Öster­re­ichs sowie in ganz Deutsch­land zu find­en.

Einander begegnen

«Es ist bemerkenswert und stimmt hoff­nungsvoll, dass es auch heute noch möglich ist, eine neue Form zu schaf­fen, welche der Begeg­nung zwis­chen den Men­schen dient und zugle­ich ein Beitrag gegen das anonyme Nebeneinan­der­leben ist.», betont Dominik Wun­der­lin in seinem Buch. Fam­i­lien, die ein Advents­fen­ster gestal­ten, tun dies in erster Lin­ie aus Freude am Gestal­ten und aus der Idee her­aus, die Leute im Dorf oder Quarti­er einan­der näher zu brin­gen. Auch die Fam­i­lie Peter­hans freut sich auf zahlre­iche Fen­ster-Besuch­er an ihrem Eröff­nungsabend und über die kom­menden Wei­h­nacht­stage.   Marie-Chris­tine Andres 
Marie-Christine Andres Schürch
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