Moralisch gut handeln in einer Welt ohne Gott?

In ein­er Zeit der all­ge­meinen Sinnkrise stelle die Gottes­frage eine wesentliche Her­aus­forderung dar, meint die The­olo­gin Mar­ti­na Bär. «Der Glaube an Gott ist schon aus moralis­chen Grün­den unbe­d­ingt sin­nvoll», sagt sie. Zum The­ma «Sinn durch Gott?» organ­isiert die Fakultät am 12. und 13. Sep­tem­ber 2013 eine öffentliche Tagung. Ein Inter­view mit der Oberas­sis­tentin am Lehrstuhl für Pas­toralthe­olo­gie an der Uni­ver­sität Luzern.

 

 

«Sinn durch Gott?» lautet das The­ma ein­er inter­diszi­plinären Tagung, die dem­nächst an der The­ol­o­gis­chen Fakultät der Uni­ver­sität Luzern stat­tfind­et. Was hat Sie dazu bewogen, sich näher mit der Sin­n­frage auseinan­derzuset­zen?  

Mar­ti­na Bär: Die Frage nach dem Sinn ist ein The­ma, das die Men­schen zutief­st umtreibt. So erstaunt es auch nicht, dass die Men­schen bere­its in alltäglichen Sit­u­a­tio­nen mit der Sin­n­frage kon­fron­tiert wer­den kön­nen. Nicht sel­ten sind im Gespräch unter Men­schen Aus­sagen zu hören wie etwa: «Das finde ich sin­nvoll» oder «Das macht doch keinen Sinn». Für die The­olo­gie geht die Auseinan­der­set­zung mit der Sin­n­frage noch einen Schritt weit­er: Hier wird die Frage nach dem Sinn mit der Frage nach Gott in Verbindung gebracht…

 

In den ver­gan­genen Jahren gab es empirische Stu­di­en im europäis­chen Kon­text, die zum Schluss kom­men, dass derzeit so etwas wie eine «Sinnkrise» grassiert. Wie zeigt sich das?  

Wir kön­nen fest­stellen, dass eine explizite Reli­giosität, bei der Men­schen Gott als sinns­tif­tend erleben, in unserem Kon­text immer weniger ver­bre­it­et ist. So skizziert beispiel­sweise die deutsche Psy­cholo­gin Tat­jana Schnell in ein­er Studie zur Sinns­tiftung durch Gott das Bild ein­er «are­ligiösen und wenig spir­ituellen Gesellschaft», die den­noch an klaren Werten fes­thält.

 

Haben Sie Erk­lärun­gen für diese Entwick­lung? 

Ein­er der Aus­lös­er für diese Entwick­lung war bere­its das neue Denken in der Zeit der Aufk­lärung: Immanuel Kant war der erste Philosoph, der darauf hingewiesen hat, dass wir die Exis­tenz Gottes nicht mit der Ver­nun­ft nach­weisen kön­nen. Damit hat er eine grössere Law­ine aus­gelöst, die bis auf den heuti­gen Tag ihre Spuren hin­ter­lassen hat. Denn über Jahrhun­derte hin­weg war es üblich, die Sin­n­frage mit Gott in Verbindung zu brin­gen: Für die meis­ten Men­schen galt Gott als die sinns­tif­tende Instanz ihres Lebens und die Vorse­hung Gottes war denn auch weglei­t­end für die Aus­gestal­tung ihrer Leben­sziele. Dieses Konzept ist heute aber für viele Men­schen offen­bar nicht mehr tragfähig.

 

Im Zeital­ter von Evo­lu­tion und Quan­ten­physik scheinen so genan­nte «Gottes­be­weise», wie sie einst von Thomas Aquin entwick­elt wur­den, nicht mehr plau­si­bel zu sein… 

Im Gegen­teil: Die Frage der Gottes­be­weise ist heute dur­chaus en vogue! Wir erleben derzeit eine neue Auseinan­der­set­zung mit der Gottes­be­weise-Frage in den Geis­teswis­senschaften. Deshalb wird sich an unser­er Tagung ja auch der Mün­ster­an­er The­olo­giepro­fes­sor Klaus Müller in seinem Vor­trag zum The­ma «Lab­o­ra­to­ri­um der Sin­npro­duk­tion – Gottes­be­weise the­ol­o­gisch gese­hen» expliz­it mit diesem The­ma auseinan­der­set­zen. Meines Eracht­ens ist die Posi­tion, wie sie einst der Philosoph Immanuel Kant dargelegt hat, immer noch sehr auf­schlussre­ich.

 

Inwiefern? 

Auch wenn man die Exis­tenz Gottes nicht mit der Ver­nun­ft unter­mauern kann, so drängt sich den­noch fol­gende Schlussfol­gerung auf: Es ist aus moralis­chen Grün­den notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen. Denn ohne dieses «höch­ste Gut» ist wenig ein­sichtig, warum ich moralisch gut han­deln soll.

 

In ein­er «Gesellschaft ohne Gott» wächst möglicher­weise auch der Trend zum Hedo­nis­mus. Das wird ja auch in den berühmten Frei­denker-Plakat­en deut­lich, welche die Botschaft ver­mit­teln: «Da ist wahrschein­lich kein Gott, also sorg dich nicht und geniess das Leben.» Welch­es sind die Kon­se­quen­zen eines solchen Sinnkonzeptes?  

Ich meine, dass die Idee von der Glücks­max­imierung nur bed­ingt tragfähig ist – vor allem dann, wenn Men­schen in ihrem Leben mit konkreten Lei­der­fahrun­gen kon­fron­tiert wer­den. Auch der ver­bere­it­ete Wun­sch nach Selb­stver­wirk­lichung hat oft­mals seine Gren­zen, wie auch Psy­chother­a­peuten wie beispiel­sweise Alain Ehren­berg fest­stellen müssen, die im Zeital­ter des «erschöpften Selb­sts» nicht wenige sin­nentleerte, depres­sive oder resig­nierte Men­schen zu behan­deln haben.

 

Das Lust­prinzip ist aus Ihrer Sicht also nicht die geeignete Lösung, um das Sinn-Vaku­um zu füllen?  

Nein. Denn all die Glücksver­sprechun­gen unser­er Gesellschaft, die uns etwa beru­flichen Erfolg und Fam­i­lienglück als Sinnkonzept ver­mit­teln, haben einen wesentlichen Nachteil: Sie gehen immer davon aus dass wir let­ztlich alles sel­ber leis­ten müssen. Da erstaunt es nicht, wenn Men­schen unter diesem enor­men Leis­tungs­druck in einen Zus­tand der Erschöp­fung hinein steuern.

 

Kann hier der Glaube an Gott Abhil­fe schaf­fen?  

Ich bin überzeugt davon, dass die The­olo­gie hier einen wichti­gen Beitrag leis­ten kann. Ich denke dabei an eine The­olo­gie, die Gott als einen freien und lieben­den Gott voraus­set­zt. Ein solch­er Gott will, dass seine Geschöpfe frei sind und auch im Dies­seits ein Leben in Fülle haben. Ein solch­es Gottes­bild hat angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwick­lun­gen und ihren Sinns­tiftungskonzepten zweifel­los inhaltlich etwas beizu­tra­gen.   Ben­no Bühlmann, kipa

 

 

Hin­weis: «Sinn durch Gott?»

Zum The­ma «Sinn durch Gott?» find­et diese Woche – am Don­ner­stag, 12. und Fre­itag, 13. Sep­tem­ber 2013 – an der The­ol­o­gis­chen Fakultät der Hochschule Luzern eine öffentliche Tagung statt, an der sich namhafte Ref­er­enten aus dem In- und Aus­land aus the­ol­o­gis­ch­er und philosophis­ch­er Sicht mit der Sin­n­frage auseinan­der­set­zen. Die Tagung ver­sucht eine the­ol­o­gis­che Neuer­schlies­sung der Sin­n­frage durch Gott in inter­diszi­plinär­er Gestalt. Im Pro­gramm sind unter anderem Vorträge von Klaus-Peter Jörns (München), Eber­hard Tiefensee (Erfurt), Klaus Müller (Mün­ster) und Claus-Peter März (Erfurt) vorge­se­hen.

Weit­ere Infor­ma­tio­nen auf: www.unilu.ch/deu/pastoraltheologie_63114.html

 

Taugt Gott heute noch als sinns­tif­tende Instanz? Oder ist der Men­sch allein für den Sinn seines Lebens ver­ant­wortlich? Ihre Mei­n­ung inter­essiert uns.

Redaktion Lichtblick
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