Wären da nicht die Kreuze

  • Sie tre­ten als stum­me Zeu­gen jahr­hun­der­te­lan­gen Gesche­hens in Erschei­nung und bie­ten noch heu­te Orientierung.
  • «Ins­be­son­de­re in Coro­na-Zei­ten fin­de ich es span­nend, auf die Kreu­ze als Orte der beson­de­ren Got­tes- oder Chri­stus­be­geg­nung aus­ser­halb geschlos­se­ner Kir­chen­räu­me hin­zu­wei­sen», sagt Mar­tin Con­rad vom Lit­ur­gi­schen Institut.

Kreuz­zei­chen

Im Zei­chen des Kreu­zes
berüh­ren wir uns
von oben nach unten
von aus­sen nach innen
hin zum Leben
bis alle Zer­stö­rung flieht

Him­mels­lei­ter

Es wäre schon schön
könn­ten wir den Him­mel erklet­tern
auf einer Him­mels­trep­pe
mit eige­ner Kraft
zwi­schen den Quer­bal­ken
Aus­schau hal­ten
nach bes­se­ren Zeiten

Gekreu­zigt

Getarnt und moder­ni­siert
zie­hen sie übers Land
die täg­li­chen Kreu­zi­gun­gen
schrei­en aus den
Zei­tungs­mel­dun­gen
wer kann das ver­kraf­ten
wären da nicht
die Kreu­ze am Wegrand

Alfred Höf­ler

Hilfs­li­ni­en zum Nach­den­ken wie die neben­ste­hen­den fin­den sich im Buch «Kreuz unser – Zei­chen der Hoff­nung» von Alfred Höf­ler genau­so wie Kreuz­bil­der, Kreuz­le­gen­den oder Kreuz­ge­schich­te. «Das Kreuz als zen­tra­les christ­li­ches Bild­zei­chen und Glau­bens­sym­bol wird erst mit dem Sieg Kai­ser Kon­stan­tins über sei­nen Kon­kur­ren­ten Maxen­ti­us 312 ver­bun­den», lässt uns der Theo­lo­ge und Reli­gi­ons­päd­ago­ge wis­sen. «Kon­stan­tin hat­te angeb­lich eine Visi­on, dass er im Zei­chen des christ­li­chen Kreu­zes sie­gen wer­de. Die­ser Sieg Kon­stan­tins begün­stig­te die bis­her ver­fol­gen Chri­sten und führ­te die kirch­li­che Orga­ni­sa­ti­on weit­ge­hend mit der des Staa­tes zusam­men. Kon­stan­tin liess sich aller­dings erst auf dem Ster­be­bett tau­fen. So kam es zur neu­en Sicht­wei­se der Kreu­zi­gung Jesu als Erlö­sungs- und Sie­ges­zei­chen der Auf­er­ste­hung. Eine wich­ti­ge Rol­le spiel­te dabei die Suche und Auf­fin­dung des Kreu­zes Jesu in Jeru­sa­lem durch Hele­na, der Mut­ter des Kai­sers Kon­stan­tin, zwi­schen 329 und 350. Damit begann auch die Ver­eh­rung des Kreu­zes und die Ver­tei­lung von gefun­de­nem Kreuz­holz als Reliquien.»

«Beim Vor­bei­ge­hen bekreu­zig­te sich Grossmutter»

«Ich bin Lese­rin des Pfarr­blatts Hori­zon­te, 91 Jah­re alt, gebür­tig von Uezwil, in Zürich auf­ge­wach­sen und seit der Hei­rat  wohn­haft in Bad Zurz­ach. Ich habe mich über Ihren Bezug zu den Weg­kreu­zen sehr gefreut und grei­fe nun uner­schrocken in die Tasten», reagiert Mar­grit Edel­mann auf die Kolum­ne in Hori­zon­te von Mit­te Okto­ber. «Ich war in den  Jah­ren um 1940 oft als Kind bei mei­ner Gross­mutter in Uezwil in den Feri­en und muss­te jeden Sonn­tag nach Sar­menstorf zur Kir­che. Dabei führ­te der Weg bei der Wen­de­lins­ka­pel­le vor­bei. Beim Weg­kreuz bekreuz­te sich mei­ne Gross­mutter immer. Dabei mur­mel­te sie auch eini­ge Wor­te, wahr­schein­lich ein klei­nes Gebet und ich glau­be, dass auch wir Kin­der dies nachmachten.»

Die­se Rück­mel­dung führt zu Mar­tin Con­rad vom Lit­ur­gi­schen Insti­tut der deutsch­spra­chi­gen Schweiz und der Nach­fra­ge nach typi­schen Weg­kreuz-Gebe­ten. «Lei­der weiss ich prak­tisch nichts Belast­ba­res zu Weg- oder Flur­kreu­zen, aus­ser, was ich aus eige­ner Anschau­ung ken­ne. Sie sind ein Phä­no­men, das in fast allen katho­li­schen Gegen­den zu fin­den ist, aber wahr­schein­lich sehr regio­nal gestal­tet und ‘bespielt’ war», so der Theo­lo­ge. «Dies liegt wohl auch dar­an, dass ent­spre­chen­de Ver­eh­run­gen from­me Übun­gen waren, die – anders als Tag­zei­ten­lit­ur­gie und Eucha­ri­stie – nicht kirch­lich gere­gelt waren.» Mar­tin Con­rad per­sön­lich: «Ich selbst habe noch ver­in­ner­licht, beim Vor­über­ge­hen an einem Kreuz ein ‘Gelobt sei Jesus Chri­stus, in Ewig­keit. Amen.’ zu beten.» Den­noch etwas «Offi­zi­el­les» schafft sein Ver­weis aufs «Bene­dik­tio­na­le», also dem «Segens­buch» für das deut­sche Sprach­ge­biet. «Im Bene­dik­tio­na­le gibt es ein eige­nes For­mu­lar mit Lesun­gen, Psalm, Segens­ge­bet und Für­bit­ten für die Wei­he eines Weg- oder Gip­fel­kreuz», erläu­tert Mar­tin Con­rad und bringt das The­ma abschlies­send wie­der Rich­tung Volks­fröm­mig­keit. Mit Blick auf Pro­zes­sio­nen, bei­spiels­wei­se zu Fron­leich­nam, wo jeweils bei üppig deko­rier­ten Weg­kreu­zen Halt gemacht und Andacht gehal­ten wur­de – und zum Teil noch wird –, betont er: «Ins­be­son­de­re in Coro­na-Zei­ten fin­de ich es span­nend, auf die Kreu­ze als Orte der beson­de­ren Got­tes- oder Chri­stus­be­geg­nung aus­ser­halb geschlos­se­ner Kir­chen­räu­me hinzuweisen.»

Weg­kreuz? Kei­ne Ahnung!

«Weg­kreu­ze beglei­ten mich seit mei­ner Kind­heit. Mein Gross­va­ter hat mich dar­auf auf­merk­sam gemacht. Er war 50 Jah­re Sakri­stan», erin­nert sich Marie-Loui­se Senn. «Ich war ja Kate­che­tin, da hat­te ich die Schü­ler der ersten Klas­se auf die Weg­kreu­ze hin­ge­wie­sen. Ich muss­te ihnen Fotos zei­gen, sie wuss­ten gar nicht, was ein Weg­kreuz ist. Dafür hat mei­ne Schwie­ger­mut­ter das Gärt­chen des Weg­kreu­zes in der Nähe ihres Hau­ses immer wie­der mit Blu­men geschmückt.»

Vie­ler­orts gibt es Men­schen wie die Schwie­ger­mut­ter von Marie-Loui­se Senn, die Weg­kreu­ze umsor­gen und so dazu bei­tra­gen, sich ein­ge­la­den zu füh­len, Innen­zu­hal­ten und in frei­er Natur in Got­tes- oder Chri­stus­be­zie­hung zu tre­ten. Hori­zon­te-Leser Hans Has­li­mei­er aus Fis­lis­bach liess der Redak­ti­on einen von Hand geschrie­be­nen Brief samt drei Fotos eines präch­tig umschmück­ten Weg­kreu­zes zukom­men. Hans Has­li­mei­er: «Jeder Wan­de­rer, der die Augen offen hat, freut sich sol­cher Schön­heit. Es ist ein Wun­der der Natur. Nun möch­te ich die­sen Men­schen ein­mal dan­ken, die durchs Jahr hin­durch die­se Schön­hei­ten hegen und pfle­gen.» Johan­nes Mel­der dar­auf ange­spro­chen: «Wir sehen die Weg­kreu­ze als erhal­tens­wür­di­ges Kul­tur­gut, wel­che zu unse­rer Gemein­de gehö­ren», so der Fis­lis­ba­cher Bau­amts­lei­ter, der bestä­tigt: «Bei der Gestal­tung habe ich freie Hand. Schön ist, wenn immer etwas Blü­hen­des vor­han­den ist. Für mich als gelern­ter Gärt­ner sowie­so eine reiz­vol­le Arbeit.» Schliess­lich ant­wor­tet Johan­nes Mel­der auf die Fra­ge, ob die Weg­kreu­ze für ihn von Bedeu­tung sind oder ein­fach Arbeit ver­ur­sa­chen: «Als Pfar­rers­sohn haben sie eine Bedeu­tung für mich. Es freut mich, wenn ich mit einer schö­nen Bepflan­zung die Auf­merk­sam­keit auf sie len­ken kann. Oft­mals den­ke ich mir, was die­se Kreu­ze, in ihrer zum Teil über hun­dert­jäh­ri­gen Stand­zeit, schon alles vor­bei­zie­hen gese­hen haben.»

«Bit­te lang­sam fahren»

Äus­serst anek­do­ten­reich ist das Mail, wel­ches Toni Mer­ki der Hori­zon­te-Redak­ti­on zukom­men liess. Von sei­nen zahl­rei­chen Weg­kreuz-Geschich­ten, die der lang­jäh­ri­ge Gemein­de­am­mann von Ober­rohr­dorf auf Lager hat, sei hier jene aus sei­ner Fami­lie erzählt: «Ich habe eine Schwe­ster, die bei den Kapu­zi­ne­rin­nen auf dem Gubel im Klo­ster ist. Es ist ein geschlos­se­nes Klo­ster. Frü­her durf­te man bei einem Besuch nur durch ein Fen­ster mit ihr reden. Nun, die letz­ten Jah­re wur­de das nicht mehr so streng gehand­habt. Sie durf­te sogar immer für zwei Wochen im Klo­ster Appen­zell Feri­en machen. Und mei­ne Frau und ich brach­ten sie im Auto hin. Wenn wir dann auf dem Hin- oder Heim­weg so übers Land gefah­ren sind (wir haben die Auto­bahn nur wenig benutzt, damit sie mög­lichst viel von der Land­schaft mit­be­kam), da hat sie bei jedem Weg­kreuz andäch­tig das Kreuz­zei­chen gemacht und gebe­tet. Und Über­land hat es halt vie­le Weg­kreu­ze, so dass sie mich ein­mal bat, nicht so schnell zu fah­ren, weil sie mit den Kreuz­zei­chen und Gebe­ten gar nicht mehr nach mochte.»

Zum Schluss noch­mals der Theo­lo­ge und Reli­gi­ons­päd­ago­ge Alfred Höf­ler: «Es braucht Mut, um den Boden unter den Füs­sen nicht zu ver­lie­ren und die Kreu­z­er­fah­run­gen nicht als Unter­gang, son­dern als Her­aus­for­de­rung zu lesen und zu ver­ste­hen. Es braucht Mut, dar­aus die Kraft der Auf­er­ste­hungs­bot­schaft zu schöp­fen wie es Tau­sen­de vor uns bezeugt und vor allem gelebt haben. Das lässt uns trotz aller Wider­sprü­che hoffen.»

Andreas C. Müller
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