An Hubertus scheiden sich die Geister

Über die Tra­di­tion sind Jagd und Kirche seit Jahrhun­derten miteinan­der ver­flocht­en. Gefeiert wird das Waid­w­erk noch heute in Huber­tusmessen als Dienst an der Schöp­fung. Ein Affront, wie manche find­en.Mitte Sep­tem­ber wird die Jagd eröffnet. Restau­rants lock­en mit herb­stlichen Kreatio­nen, die Detail­händler füllen ihre Regale und Theken mit Wild­pro­duk­ten. Mit meinen bei­den Töchtern begleite ich Mar­cel Not­ter, Gen­er­alsekretär der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche und pas­sion­iert­er Jäger, zum «Ansitzen». Flinte und Büchse lässt Mar­cel Not­ter dies­mal aus Rück­sicht auf die bei­den Mäd­chen daheim.Mehr als nur das Erlegen von Wildtieren «Jägerin­nen und Jäger sind Men­schen von eigen­em Schlag und stam­men aus den unter­schiedlich­sten Gesellschaftss­chicht­en», erk­lärt Mar­cel Not­ter unter­wegs. «Alle­samt sehr zuver­läs­sige und naturliebende Leute mit dem Herzen am recht­en Fleck, auf die du dich voll und ganz ver­lassen kannst.» Auf eine Gesamt­bevölkerung von gut 600 000 Ein­wohn­ern kom­men im Aar­gau gegen 2000 Jägerin­nen, Jäger und Jagdgäste in 210 bejag­baren Revieren. Deren Auf­gaben beste­hen darin, Arten­vielfalt und Leben­sräume zu erhal­ten, die von Wildtieren verur­sacht­en Schä­den zu begren­zen und eine nach­haltige Jagd zu gewährleis­ten­den. Auf dem Weg zum Hochsitz unweit der Begut­te­nalp ober­halb von Erlins­bach zeigt sich, dass Jagd mehr bein­hal­tet als das Erlegen von Wildtieren. Mar­cel Not­ter besitzt fundierte Ken­nt­nisse über Flo­ra und Fau­na in Waldge­bi­eten und ken­nt sich mit Krankheit­en von Wildtieren aus. Geban­nt und in freudi­ger Erwartung lauscht meine ältere Tochter den Erzäh­lun­gen des Jägers, hofft, dass sie, wie dieser selb­st, auch eine Rehmut­ter mit Kitzen zu Gesicht bekommt. Und natür­lich atmet sie erle­ichtert auf, als Mar­cel Not­ter meint, auf die würde er auch, wenn er das Gewehr dabei hätte, nicht schiessen. Die Erwartun­gen erfüllen sich an diesem Abend nicht. Reh, Dachs, Fuchs und andere Wald­be­wohn­er wollen sich an jen­em Abend nicht zeigen. Wir müssen uns mit dem Anblick zweier Sieben­schläfer und span­nen­den Geschicht­en beg­nü­gen.Kon­flikt des Gewis­sens Die Jagd ist so alt wie die Men­schheit selb­st. Zu früh­ester Zeit gab es kein Über­leben ohne Jagder­folg. Daher auch die These von der Natur des Men­schen als «Jäger», mit der die Lei­den­schaft für Jagd und Fleis­chkon­sum erk­lärt wird. Mit dem gle­ichen Argu­ment könne man allerd­ings auch Sklaverei und Kan­ni­bal­is­mus begrün­den, warnt der Kapuzin­er Anton Rotzetter, seines Zeichens Präsi­dent der Aktion Kirche und Tiere akut, die sich vehe­ment gegen Jagd und deren Würdi­gung im kirch­lichen Rah­men bei soge­nan­nten Huber­tusmessen stark macht. «Gewiss waren wir einst auf die Jagd angewiesen, doch Felsen­ze­ichen aus der Frühzeit der men­schlichen Geschichte bele­gen, dass der Men­sch schon damals in einem ständi­gen Gewis­senkon­flikt ges­tanden hat», führt Anton Rotzetter weit­er aus. «Auch ein Tier ist ein Sub­jekt. Es braucht dahinge­hend starke Gründe, welche die Jagd, beziehungsweise das Töten von Tieren recht­fer­tigt.»Auf­stieg zum Kun­sthandw­erk Die von Anton Rotzetter erwäh­n­ten Felsen­ze­ich­nun­gen lassen sich unter­schiedlich inter­pretieren, bele­gen allerd­ings, dass die Jagd schon von früh­ester Zeit an eng mit bes­timmten Rit­ualen verknüpft war. Im Laufe der Jahrhun­derte wurde die Jagd kul­tiviert. Es gelang ihr im Mit­te­lal­ter der Auf­stieg zum Kun­sthandw­erk. So beschreibt im 14. Jahrhun­dert Got­tfried von Strass­burg in seinem Tris­tan-Roman aus­führlich und mit beson­der­er Liebe fürs Detail nicht nur die Jagd, son­dern auch die Ent­bäs­tung eines Hirschs. Jed­er Hand­griff fol­gt rit­u­al­isiert klaren Regeln. Bis in die Barockzeit entwick­elte sich zur Jagd auch eine spezielle Musik mit eigens geeigneten Instru­menten. Diese, noch heute über­aus beliebte Kom­po­nente, wurde ins­beson­dere unter Lud­wig XIV. in Frankre­ich beson­ders gefördert und fand Ein­gang in kirch­liche Anlässe.Tra­di­tion der Huber­tusmessen Dass die Jagd einst nicht nur exis­ten­zsich­ernd, son­dern auch mit grossen Gefahren ver­bun­den war, erk­lärt, weshalb Jäger vor ihrem Aus­ritt ihre Göt­ter und Schutzheili­gen um Unter­stützung und Segen bat­en. Seit dem Mit­te­lal­ter pflegten zudem auch höhere Geistliche das Waid­w­erk, welch­es wie Land­wirtschaft und anderes Tag­w­erk im Laufe des Kirchen­jahres in speziellen Gottes­di­en­sten ver­dankt und geseg­net wurde. Unter den für die Jagd angerufe­nen Heili­gen sticht beson­ders Huber­tus her­vor, dessen Patrozini­um im Rah­men von soge­nan­nten Huber­tusmessen um den 3. Novem­ber noch immer gefeiert wird – auch im Aar­gau. Huber­tusmessen sind seit Mitte des 13. Jahrhun­derts bezeugt. Der Leg­ende nach — so zeigt es auch die Etikette des Jäger­meis­ter-Kräuter­likörs — wurde der spätere Bischof von Lüt­tich Huber­tus durch einen kreuz­tra­gen­den Hirsch bekehrt, als er an einem Son­ntag als Pfalz­graf die Jagd dem Kirch­gang vor­zog.Abgekupferte Leg­ende Ab dem 13. Jahrhun­dert diente Huber­tus als Patron der Jäger und Beschützer vor Toll­wut. Im Glauben, dass Huber­tus gegen diese Krankheit Schutz biete, liessen sich viele Gläu­bige mit einem «Huber­tuss­chlüs­sel» behan­deln oder «ein­schnei­den». Ersteres beze­ich­net einen gewei­ht­en Eisen­stab, mit welchen eine zuge­fügte Bis­s­wunde aus­ge­bran­nt wurde. Beim «Ein­schnei­den» wurde dem Hil­fe­suchen­den ein klein­er Stirn­schnitt ver­passt und dort ein Faden aus der Sto­la des Heili­gen Huber­tus einge­set­zt. Da längst nicht jedes bis­sige Tier toll­wütig war und selb­st bei Bis­sen von an Toll­wut erkrank­ten Tieren nicht zwin­gend die Gefahr ein­er Ansteck­ung gegeben ist, set­zte es in den Augen der dama­li­gen Zeitgenossen so manch­es «Huber­tuswun­der». Anton Rotzetter ver­weist in diesem Zusam­men­hang allerd­ings darauf, dass die Huber­tusle­gende bewusst kon­stru­iert wurde, um die Jagd zu recht­fer­ti­gen. Pate ges­tanden hat­te Eustachius, der, an einem Kar­fre­itag jagend, von einem kreuz­tra­gen­den Hirsch die Stimme Jesu hörte: «Warum ver­fol­gst du mich?» Und Eustachius legte die Waffe nieder und gab das Wei­d­handw­erk für immer auf. Demzu­folge richtet sich die Huber­tus-Leg­ende im Grunde gegen die Jagd, ist Anton Rotzetter überzeugt.Über­höhung der Jagd Heutzu­tage ste­hen Huber­tusmessen immer wieder in der Kri­tik. Bei solchen Messen zieht häu­fig ein Jagdbläser­corps zusam­men mit Zel­e­brant und Min­is­tranz ein. Die mit­gestal­tenden Jäger brin­gen zudem Gegen­stände ihrer gewohn­ten Umwelt ins Gotte­shaus, um für sie zu danken und Gottes Segen zu erbit­ten. Teils nehmen auch Falkn­er und Hun­de­führer teil. Auch wenn Waf­fen und erlegtes Wild kaum noch Bestandteil solch­er Huber­tus­feiern sind, machen kirch­lich engagierte Tier­schützer, Veg­e­tari­er und Veg­an­er Front gegen «diese Form der kirch­lichen Über­höhung der Jagd», wie es Anton Rotzetter nen­nt.Den Schöpfer im Geschöpf ehren «Das Erlegen von Wildtieren, Beute und Trophäen bilden Teil des Jagens. Jagd bedeutet aber weit mehr», erk­lärt Andreas Bau­mann mit Ver­weis auf den Jagd­kodex und das Leit­bild Jagd Schweiz. Dort ste­ht: «Jagd umfasst zahlre­iche handw­erk­liche, gesellschaftliche, kul­turelle und wis­senschaftliche Tätigkeit­en. Dazu gehören die Überwachung von Wildtieren und ihrer Gesund­heit eben­so wie die Erhal­tung und Pflege der Leben­sräume sowie die Abklärung wild­bi­ol­o­gis­ch­er Fra­gen.» Andreas Bau­mann selb­st ist nicht nur Jäger, son­dern auch Obmann eines 14-köp­fi­gen Jagdhorn­bläs­er-Ensem­bles. Mit diesem spielt der Andreas Bau­mann auch immer wieder an Huber­tusmessen auf. Für Horn­bläs­er und Jäger ist klar: Jagd hat sich an ethis­chen Prinzip­i­en zu ori­en­tieren, an die schon im 19. Jahrhun­dert der deutsche Jagd-Schrift­steller Oskar von Riesen­thal in seinem Gedicht Wei­d­mannsheil appel­lierte. «Das ist des Jägers Ehren­schild, dass er beschützt und hegt sein Wild, wei­d­män­nisch jagt wie sich’s gehört, den Schöpfer im Geschöpfe ehrt.» Mod­ern über­set­zt heisst das im Schweiz­er Jagdleit­bild und im Jägerkodex: «Mod­erne Jagd ist Hege­jagd, das heisst eine massvolle, den Pop­u­la­tio­nen und Gegeben­heit­en angepasste Nutzung und Pflege. Jagd bedeutet daher oft auch Verzicht auf Abschüsse.» Oder: «Ich spreche vor dem Schuss ein Tier genau an und schiesse nur, wenn ich überzeugt bin, dass das Wild erlegt wer­den darf und ich einen wei­dgerecht­en Schuss antra­gen kann.» Wild­bret sei zudem eine gesunde Alter­na­tive zum indus­triell erzeugten Nahrungsmit­tel. Dem stimmt auch der Veg­e­tari­er Anton Rotzetter zu – ins­beson­dere in Anbe­tra­cht der zunehmenden Wild-Zucht­pro­duk­tion. Man dürfe aber nicht ein Übel mit einem anderen schönre­den, so der Präsi­dent der Aktion Kirche und Tiere akut. Die für die Jagd vorge­bracht­en forstwirtschaftlichen und wild­bi­ol­o­gis­chen Argu­mente erscheinen ihm darum frag­würdig. «Stu­di­en aus Frankre­ich und Zürich haben gezeigt, dass Ein­griffe durch Jäger nicht den gewün­scht­en Effekt brin­gen.» Eher das Gegen­teil sei der Fall.Gesellschaftlich bre­it akzep­tiert Möglicher­weise haben Treib­jag­den, bei denen früher manch­mal einzelne Mit­glieder stark unter Alko­hole­in­fluss standen, die Jagd in Ver­ruf gebracht und eine bre­it­ere Öffentlichkeit sen­si­bil­isiert. Eine Schande seien zudem auch Jäger, die kaum je eine ern­sthafte Auseinan­der­set­zung mit jagde­this­chen Fra­gen in Erwä­gung gezo­gen haben, meint Mar­cel Not­ter. Doch schwarze Schafe gebe es lei­der über­all. Von dieser Erken­nt­nis hat sich wohl auch das Aar­gauer Stim­mvolk leit­en lassen, als es 2005 und 2011 einem Ver­bot der Treib­jagd eine wuchtige Absage erteilte. Die Jagd geniesst somit auch heute noch grossen Rück­halt. Das zeigen die alljährlichen Huber­tusmessen von Arni bis Zofin­gen und von Bad Zurzach bis Muri. Und der Selb­stver­such mit den Töchtern hat gezeigt: Jäger sind keine tier­mor­den­den Schlächter, son­dern umgängliche Men­schen mit Herz.
Andreas C. Müller
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