Ja, es braucht sie!

Ja, es braucht sie!

  • Män­ner sind aus­gerech­net in der patri­ar­chal-hier­ar­chisch aufge­baut­en katholis­chen Kirche im Hin­blick auf die geschlechter­spez­i­fis­che Seel­sorge eine Ran­der­schei­n­ung.
  • An der Impul­sta­gung «Män­ner­ar­beit und Män­nerseel­sorge» wurde von Fach­leuten auf diesem Gebi­et am Mittwoch im Aarauer Bullinger­haus eine Bestandesauf­nahme gemacht.
  • Faz­it: Es gibt Ange­bote, aber es braucht mehr. Darum soll sich kün­ftig eine Fach­gruppe küm­mern, die sich im Sep­tem­ber zur Grün­dungssitzung wieder in Aarau trifft

Wann ist ein Mann ein Mann? Das fragte sich nicht erst Her­bert Gröne­mey­er in sein­er bis heute aktuellen Hymne «Män­ner», son­dern diese Frage bewegt einen jeden Mann eher früher als später in seinem Leben. Die meis­ten Antworten auf diese Frage hat er dann auch schon erhal­ten, denn die nach wie vor gel­tenden Normierun­gen, Stereo­typen und Vorurteile, das eigene Geschlecht betr­e­f­fend, wur­den ihm schon so lange eingeimpft, dass er wirk­lich glaubt, nur ein echter Mann zu sein, wenn er einem Bild entspricht, dem er im Spiegel ein­fach nie begeg­net.

Wenn ihn dann die grosse Verzwei­flung packt, weil sich all die hehren Män­ner­ide­ale beim Blick auf die eigene Per­son in nurmehr einem der drei dick­en Bs wider­spiegeln – Bauch, Bart, Bizeps –, dann verzieht sich der Mann nach innen. Er fasst einen ein­samen Entschluss und kauft sich eine Harley. Denn, so Gröne­mey­er, «Män­ner sind ein­same Stre­it­er, müssen durch jede Wand, müssen immer weit­er». Das ist ein Teufel­skreis, der durch­brochen gehört. Den Weg zum Durch­bruch hat Jesus Chris­tus gezeigt. Auf­gabe der Kirchen wäre es, Män­ner beim Gang auf diesem Weg zu begleit­en. Sie küm­mern sich aber lieber um anderes.

Ziel erreicht

Die Impul­sta­gung «Män­ner­ar­beit und Män­nerseel­sorge: Was es gibt – was es braucht», die am 18. Mai im Bullinger­haus Aarau durchge­führt wurde, ver­fol­gte ein klares Ziel. Ihre Organ­isatoren woll­ten Fach­leute aus dem Bere­ich Männerarbeit/Männerseelsorge zusam­men­brin­gen, um sich gegen­seit­ig zu ver­net­zen, den Aus­tausch zu pfle­gen und im Ide­al­fall eine Fach­gruppe «Män­ner­ar­beit in kirch­lichen Kon­tex­ten» zusam­men­zustellen, die unter dem Dach der Schweiz­er Män­ner- und Väteror­gan­i­sa­tio­nen männer.ch der emanzi­pa­torischen Män­ner­ar­beit sowohl interkan­ton­al als auch kon­fes­sion­süber­greifend neuen Schub ver­lei­ht. Soviel sei ver­rat­en: Ziel erre­icht! Das Grün­dungstr­e­f­fen der Fach­gruppe find­et am Dien­stag, 13. Sep­tem­ber, wiederum in Aarau statt. Hor­i­zonte wird bericht­en.

Männerarbeit krankt

Man hat­te von Anfang an das Gefühl, dass an diesem Tag etwas Neues entste­hen würde. Das per­fek­te Som­mer­wet­ter sorgte für gute Laune, Kaf­fee und Gipfe­li erfreuten den Gau­men und die Begrüs­sungsrunde, ani­miert durch Chor­leit­er, Kom­pon­ist und Organ­ist Dominik Nanz­er, erheit­erte das Gemüt und öffnete Geist und Herz für all die Infor­ma­tio­nen, die in den kom­menden Stun­den auf die 35 Tagung­steil­nehmer zukom­men wür­den.

[esf_wordpressimage id=38110 width=half float=right][/esf_wordpressimage]Allein schon wegen der drei Impul­srefer­ate am Vor­mit­tag hätte sich die Teil­nahme an dieser Tagung gelohnt. Im ersten Vor­trag zeigte der reformierte The­ologe, Coach und Train­er für Lifebal­ance und Burnout­präven­tion, Christoph Walser, auf, was es in Sachen Män­ner­ar­beit in der Schweiz für Ange­bote gibt und wie schlecht diese Ange­bote wahrgenom­men wer­den. Er stellte im Fol­gen­den acht Diag­nosen vor, die schlüs­sig erhell­ten, woran die Män­ner­ar­beit im kirch­lichen Kon­text krankt. Im Zen­trum ste­hen dabei vor allem zwei sein­er Diag­nosen. Erstens: «Män­ner­spir­i­tu­al­ität in Grup­pen wird in der Schweiz weit­ge­hend am Rand und ausser­halb der Kirchen gelebt und von pri­vat­en Anbi­etern organ­isiert.» Zweit­ens: «Auf kan­tonaler und nationaler Ebene sowie auf Ebene Bis­tum kom­men Män­ner­ar­beit und Män­nerseel­sorge als eigen­ständi­ge Bere­iche bzw. Begriffe nicht vor. Gen­der und Gle­ich­stel­lung scheinen in den Kirchen nach wie vor Frauen­fra­gen und Frauen­sache zu sein.»

Und selb­st wenn das Inter­esse an spez­i­fis­chen Ange­boten da wäre, so fehlt es an der insti­tu­tionellen Ver­ankerung der­sel­ben mit Stellen und entsprechen­den Ressourcen. Walser fasste das peku­niäre Prob­lem der insti­tu­tion­al­isierten Män­ner­ar­beit in den Kirchen sehr bildlich in einen Satz: «Sehr viele Gelder sind gebun­den in Beton und nicht in Men­schen.»

Rhetorische Munition

[esf_wordpressimage id=38111 width=half float=left][/esf_wordpressimage]Markus The­unert, Gesamtleit­er des Dachver­ban­des Schweiz­er Män­ner- und Väteror­gan­i­sa­tio­nen männer.ch und Pro­gramm­leit­er von Men­Care Schweiz, fragte sich in seinem Refer­at: «Män­ner­ar­beit im kirch­lichen Kon­text: Wozu eigentlich und wenn ja, wie?» An Antworten fehlte es dem Organ­i­sa­tions- und Strate­gieber­ater aus Zürich mit­nicht­en. The­unert machte deut­lich, dass Män­ner – ungeachtet aller Unter­schiede – in einem ver­bun­den wären, näm­lich im Zwang, ein männlich­es Selb­stver­hält­nis herzustellen. Dabei seien sie gezwun­gen, sich auf dys­funk­tionale Nor­men zu beziehen, weil die vorherrschen­den Männlichkeit­snor­men in vielfältiger Weise dys­funk­tion­al seien. Die Män­ner­ar­beit benenne, kri­tisiere und trans­formiere diese dys­funk­tionalen Männlichkeit­snor­men.

Mit seinem didak­tisch per­fekt aufge­baut­en und strin­gen­ten Vor­trag lieferte The­unert den Tagung­steil­nehmern genau die rhetorische Muni­tion, die sie in ihren Kan­to­nen, Lan­deskirchen und Bistümern kün­ftig ein­set­zen kön­nen, um ihre Arbeit­ge­ber von der Notwendigkeit und vor allem Sinnhaftigkeit der Män­ner­ar­beit in der Kirche zu überzeu­gen. Beson­ders ein­drück­lich war seine Aus­sage zur Män­ner­ar­beit im kirch­lichen Kon­text als eine Form von Frieden­sar­beit: «Sie ist die Alter­na­tive zu Männlichkeit­snor­men, die Arg­wohn, Angst und das Gefühl, immer zu kurz zu kom­men, befördern – und so Rück­sicht­slosigkeit und Aus­beu­tung legit­imieren.» Der Ukrainekrieg sei nichts anderes als ein Auswuchs dieser dys­funk­tionalen Männlichkeit­snorm.

Männer? Frauen? Diversity?

[esf_wordpressimage id=38113 width=half float=right][/esf_wordpressimage]Ein Blick über den Rhein machte deut­lich, dass das Ange­bot ein­er spez­i­fis­chen Män­nerseel­sorge einem echt­en Bedürf­nis entspricht. The­ologe Michael Rodi­ger vom Refer­at Frauen-Män­ner-Gen­der des Erzbis­chöflichen Seel­sorgeamts in Freiburg im Breis­gau präsen­tierte in seinem Vor­trag die inspiri­erende Vielfalt an Pro­jek­ten, Grup­pierun­gen und Ver­anstal­tun­gen, die allein schon in dieser Diözese vom Bischof gefördert und unter­stützt wird. Rodi­ger betonte zwar, dass diese reiche Ange­botspalette dem Umstand zu ver­danken sei, dass in Deutsch­land die Bistümer sel­ber über die Kirchen­s­teuergelder ver­fü­gen dürften, nicht wie in der Schweiz, wo die Steuergelder primär in den Kirchge­mein­den verbleiben. Aber dafür müsse man in Deutsch­land den jew­eili­gen Bischof davon überzeu­gen kön­nen, dass Män­ner­ar­beit, wie Fraue­nar­beit und jede Art der geschlechter­spez­i­fis­chen Seel­sorge, zu den Grun­dauf­gaben der Kirche gehöre.

Die Ein­drücke und Infor­ma­tio­nen aus den Refer­at­en befruchteten die Gespräche während des anschliessenden Mit­tagessens, das im Park des Bullinger­haus­es ein­genom­men wurde, nach­haltig. Da kam die Podi­ums­diskus­sion zum Auf­takt in den Nach­mit­tag ger­ade recht: «Män­ner? Frauen? Gen­der und Diver­si­ty? Braucht es noch eine geschlechter­spez­i­fis­che Arbeit in den Kirchen?» Unter der Mod­er­a­tion von Tagungsleit­er Bern­hard Lind­ner, Fach­stelle Bil­dung und Prop­stei der Römisch-Katholis­chen Kirche im Aar­gau, disku­tierten zu diesem Fra­genkom­plex Susanne Andrea Birke (Fach­stel­lenkol­le­gin von Lind­ner und zuständig für den Bere­ich Frauen* und Gen­der), Pfar­rerin Sabine Scheuter (Per­son­alen­twick­lung und Diver­si­ty, Evan­ge­lisch-reformierte Lan­deskirche des Kan­tons Zürich), Markus The­unert (männer.ch) und Daniel Ammann (Tagungsleit­er, Seel­sorg­er und Mit­glied des Man­nebüros Luzern manne.ch.)

Vernetzung tut Not

[esf_wordpressimage id=38116 width=half float=right][/esf_wordpressimage]Entgegen üblich­er Podi­um­ser­fahrun­gen, wo Experten einen mehr oder weniger pack­enden Diskurs unter sich führen, öffnete Lind­ner dieses Podi­um von Anfang an für Fra­gen und Anmerkun­gen aus dem Pub­likum. So ent­stand ein span­nen­der Aus­tausch rund um die ein­gangs gestellte Frage. Obschon Sabine Scheuter der zunehmenden Umgestal­tung von vor­ma­li­gen Frauen- in all­ge­meine Gen­der­stellen zus­tim­mend gegenüber­ste­ht und generell den Ange­boten von spez­i­fisch geschlechter­ge­tren­nten Fach­stellen nicht nach­trauert, waren die übri­gen Podi­um­steil­nehmer klar dafür, eben ger­ade solche Fach­stellen ganz gezielt zu fördern.

Markus The­unert betonte, dass ger­ade Män­ner oft die Män­ner­ar­beit ver­hin­derten, denn durch diese würde das gel­tende Sys­tem hin­ter­fragt, in welchem Macht und Geld immer noch fest in der Hand von Män­nern seien. Seine nachgeschobene, wohl eher rhetorische Frage, sorgte run­dum für nach­den­klich­es Kopfnick­en: «Warum macht die Kirche da mit?» Ger­ade weil das römisch-katholis­che Sys­tem der Knack­punkt sei, wenn es um Män­ner­ar­beit gehe, sei eine solide Ver­net­zung aller Inter­es­sen­grup­pen notwendig, sagte Sabine Scheuter, «eine Ver­net­zung von Forschung und The­olo­gie, von The­o­rie und Prax­is».

Gründungstreffen steht

Die Ver­net­zung unter den Tagung­steil­nehmern wurde gle­ich nach dem Podi­um in den Work­shops zu den The­men «Väter­sor­gen – sor­gende Väter», «Woher die Kraft, Mann?», «Wenn Män­ner die Trauer trifft…» und «Män­ner in Beziehung» weit­er vor­angetrieben und der Erfahrungsaus­tausch angekurbelt. Da die Teil­nehmer aus allen Regio­nen der Deutschschweiz angereist waren, wird der Rück­lauf aus all diesen Gesprächen sich­er entsprechend reich aus­fall­en. Die Ver­anstal­ter dieser Tagung, die Römisch-Katholis­che Kirche im Aar­gau, männer.ch und die Reformierten Lan­deskirchen Zürich und Aar­gau dür­fen sich in diesem über­tra­ge­nen Sinne männlich auf die Schul­tern klopfen.

Eines der schön­sten Ergeb­nisse dieser Impul­sta­gung ist sich­er die Tat­sache, dass es weit­er geht. Die Inter­essen­ten für die Fach­gruppe Män­ner­ar­beit in kirch­lichen Kon­tex­ten tre­f­fen sich am 13. Sep­tem­ber in Aarau, um das weit­ere Vorge­hen zu besprechen. Angedacht ist kün­ftig eine zweima­lige Zusam­menkun­ft pro Jahr, um jew­eils die näch­sten Ziel zu for­mulieren. Die Dachor­gan­i­sa­tion männer.ch ste­ht der Fach­gruppe dabei mit den notwendi­gen Infor­ma­tio­nen zur Ver­fü­gung, berät und unter­stützt sie bei der weit­eren Ver­net­zung. Vielle­icht stimmt es halt doch auch ein biss­chen, was Her­bert Gröne­mey­er singt: «Män­ner nehmen in den Arm. Män­ner geben Gebor­gen­heit. Män­ner weinen heim­lich. Män­ner brauchen viel Zärtlichkeit. Oh, Män­ner sind so ver­let­zlich. Män­ner sind auf dieser Welt ein­fach uner­set­zlich.»

Christian Breitschmid
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