Corona macht die Armen noch ärmer

  • Die Lockerung der Coro­na­mass­nah­men kann nicht darüber hin­wegtäuschen, dass die finanziellen Fol­gen der Virenbedro­hung beson­ders die trifft, die eh schon nichts haben.
  • Car­i­tas Schweiz verteilt in ihren Märk­ten Gratismasken und wirbt in Bun­des­bern für eine direk­te Unter­stützung, respek­tive finanzielle Ent­las­tung von Bedürfti­gen.
  • Die Fal­lzahlen von Car­i­tas Aar­gau lassen aufhorchen, und auch ein Blick in die Asy­lun­terkün­fte des Kan­tons bestätigt die düstere Langzeitwirkung des Virus’.
 Das erle­ichterte Aufat­men in der Schweiz wich schnell ein­er nationalen Schnap­pat­mung, nach der (zu?) frühen Lockerung der Coro­na­mass­nah­men durch den Bun­desrat. Die Zahl der Covid-19-Fälle stieg wieder an und der Bun­desrat musste die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr verord­nen. Kein Prob­lem für Nor­malver­di­ener, aber eine Her­aus­forderung für alle, die schon vor Coro­na am Rande des Exis­tenzmin­i­mums lebten. Die Maskenpflicht allein ist es allerd­ings nicht, welche finanzielle Nöte fördert. Es ist die prekäre Sit­u­a­tion, in der Beschäftigte in Tieflohn­branchen, in Stun­den­lohn­verträ­gen oder «auf Abruf» leben. Die wirtschaftlichen Ein­bussen durch die Coro­n­akrise tre­f­fen sie zuerst.

Fallzahlen steigen

Car­i­tas Schweiz zögerte nicht lange. Anfang Juli verkün­dete das Katholis­che Hil­f­swerk, dass es in seinen Car­i­tas-Märk­ten Hygien­e­masken gratis an Armuts­be­trof­fene abgebe. Ausser­dem ver­langte Car­i­tas vom Bund eine direk­te Unter­stützung der Men­schen am unteren Ende der sozialen Leit­er. Für sie fordert Car­i­tas: Kosten­lose Krip­pen­plätze für Fam­i­lien mit kleinem Einkom­men, dazu eine um 50 Prozent erhöhte Ver­bil­li­gung von Krankenkassen­prämien während zweier Jahre, Kurzarbeit­sentschädi­gun­gen für tiefe Einkom­men, die 100 Prozent des Monat­slohnes deck­en, und eine ein­ma­lige Direk­tzahlung in der Höhe von 1000 Franken für Men­schen mit Kleineinkom­men und Mar­gin­al­isierte.Hil­fe, die unbe­d­ingt nötig ist, wie Emil Inauen, stel­lvertre­tender Geschäft­sleit­er von Car­i­tas Aar­gau und Co-Bere­ich­sleit­er der Kirch­lichen Regionalen Sozial­dien­ste (KRSD), mit aktuellen Zahlen belegt. Im ersten Hal­b­jahr 2020 eröffneten die KRSD bere­its 788 Klien­ten­dossiers. Im ganzen Vor­jahr waren es 1258. Dazu kom­men 1303 Kurzber­atun­gen. «Es zeigt sich, dass wir voraus­sichtlich bere­its im Sep­tem­ber die Gesamtzahlen des Vor­jahres erre­ichen wer­den», sagt Emil Inauen. Mehr Infor­ma­tio­nen zum The­ma «Nothil­fe für Betrof­fene» find­et man auch in der neusten Aus­gabe des Mag­a­zins «Da + Dort» von Car­i­tas Aar­gau, das man auf dieser Web­site als PDF run­ter­laden kann.

Finanzielle Nothilfe

Sieben KRSD gibt es im Aar­gau. Die 22 Mitar­beit­er kön­nen den gegen­wär­ti­gen Ansturm von Rat- und Hil­fe­suchen­den ger­ade noch meis­tern. «Aber immer mehr schaut auch unsere reg­uläre Klien­tel wieder vor­bei», erk­lärt Emil Inauen, «das führt dann zu ein­er enorm hohen Aus­las­tung, weshalb wir die Beratung tem­porär aus­bauen.» Neben den Beratun­gen bieten die KRSD auch finanzielle Nothil­fe an. Die Gelder fliessen – zweck­ge­bun­den – aus der Coro­nasamm­lung der Glücks­kette. Aber auch direk­te Spenden von Pri­vat­en und die Beiträge der Kirchen machen es möglich, Notlei­den­den unter die Arme zu greifen. Zudem gehört es zu den Auf­gaben der KRSD-Mitar­beit­er, ihre Klien­ten zu unter­stützen bei der For­mulierung und Ein­re­ichung von Sozial­hil­fe- und anderen Gesuchen.

«Schafft mehr Platz!»

Eben­falls am Rande unser­er Gesellschaft und darum auch oft nicht im Fokus des öffentlichen Inter­ess­es, bemühen sich die Asyl­suchen­den und deren Betreuer, den Vor­gaben von Bund und Kan­ton gerecht zu wer­den. Schon zu Beginn der Coro­n­akrise hat der Vere­in Net­zw­erk Asyl Aar­gau (VNAA) darauf hingewiesen, dass die Schutz­mass­nah­men des Bun­de­samtes für Gesund­heit in den Asy­lun­terkün­ften nicht aus­re­ichend umge­set­zt wür­den. «Unsere Forderung lautet nach wie vor: Schafft mehr Platz in den Unterkün­ften!», sagt die Präsi­dentin des VNAA, Patrizia Bertschi.Auf Nach­frage von Hor­i­zonte, teilt die Kom­mu­nika­tion­sstelle des Kan­tonalen Sozial­dien­stes (KSD) zur Raum­si­t­u­a­tion in den Asy­lun­terkün­ften mit: «Nach Aus­bruch der COVID-19-Pan­demie hat der KSD entsch­ieden, dass eine merk­liche und wirk­same Aus­dün­nung der Unterkün­fte, durch Schaf­fung von bis zu 800 zusät­zlichen Bet­ten, unre­al­is­tisch ist. Vielmehr wurde die umfassende Infor­ma­tion der Asyl­suchen­den und Betreuen­den zu den Hygiene- und Ver­hal­tensregeln ins Zen­trum der Bemühun­gen gestellt. In allen Unterkün­ften wur­den Iso­la­tion­sz­im­mer oder ‑stock­w­erke geschaf­fen sowie weit­erge­hende bauliche und hygien­is­che Mass­nah­men umge­set­zt. Mit der Schaf­fung der Isolier­sta­tion im Werk­hof Frick hat­te der KSD früh ein effizientes Instru­ment zur Ver­fü­gung, wenn ver­mehrte Coro­na-Fälle auftreten wür­den. Dass die Infor­ma­tion­spoli­tik erfol­gre­ich war, zeigt sich am Ver­hal­ten der Bewohn­er, das von Anfang an gross­mehrheitlich vor­bildlich war und ist.»

«WLAN muss in allen Zimmern funktionieren»

Dass man in allen Unterkün­ften mit­tler­weile WLAN ein­gerichtet habe, sei zwar zu begrüssen, sagt Patrizia Bertschi, «aber es nützt nichts, wenn das Inter­net nicht im ganzen Haus zur Ver­fü­gung ste­ht. So kann man wed­er in Ruhe tele­phonieren, noch für die Schule ler­nen. Das WLAN muss in allen Zim­mern der Unterkun­ft funk­tion­ieren.»Auch zu dieser Forderung nimmt der KSD Stel­lung: «Mit der Qual­ität der während der Covid-19-Pan­demie instal­lierten WLAN-Ein­rich­tun­gen in den kan­tonalen Asyl­struk­turen macht der KSD gute Erfahrun­gen. Die Rück­mel­dun­gen sind mehrheitlich pos­i­tiv. Es ist richtig, dass vere­inzelt in grösseren, ver­winkel­ten Unterkün­ften das Netz nicht flächen­deck­end in allen Zim­mern aus­re­ichend ist. Der KSD sam­melt aktuell Erfahrun­gen mit den neuen Sys­te­men. Sollte sich her­ausstellen, dass in einzel­nen Unterkün­ften Hand­lungs­be­darf beste­ht, wer­den weit­ere Mass­nah­men für eine Verbesserung der Sit­u­a­tion geprüft.»

Freiwillige gesucht

Den Asyl­suchen­den stellt der kan­tonale Sozial­dienst Hygien­e­masken zur Ver­fü­gung, wenn sie den öffentlichen Verkehr benutzen müssen. Die Medi­en­stelle des KSD führt aus: «Das Betreu­ungsper­son­al des KSD wurde seit Beginn der Coro­na-Pan­demie regelmäs­sig instru­iert, wie die Masken­ab­gabe zu erfol­gen hat. Seit­dem für den ÖV die Masken­tragpflicht gilt, erhält jede Per­son des Asyl­bere­ich­es eine genü­gend hohe Anzahl an Masken, die sie für den All­t­ag braucht. Die Ein­hal­tung der Mass­nah­men des BAG und des Kan­tons wer­den durch das gesamte Betreu­ungsper­son­al des KSD mit­ge­tra­gen und kon­se­quent umge­set­zt.»Der VNAA will sich darauf allein nicht ver­lassen und will darum nach den Som­mer­fe­rien im Dreh­punkt Baden damit begin­nen, sel­ber Masken zu nähen. «Zwei Näherin­nen haben wir schon», freut sich Patrizia Bertschi, «aber ich hoffe, dass sich noch weit­ere Frei­willige für diese Aktion melden.» Die Vere­ins­mit­glieder set­zen alles daran, die Asyl­suchen­den aus ihrer Iso­la­tion in den Unterkün­ften her­auszu­lock­en. Die Angst vor dem Virus habe dazu geführt, dass viele, auch Kinder, kaum mehr ihre Zim­mer ver­liessen. «So waren sie noch mehr abgeschnit­ten von der Gesellschaft», erk­lärt Patrizia Bertschi. Die Wieder­auf­nahme der diversen VNAA-Ange­bote soll nach den Som­mer­fe­rien, mit aller gebote­nen Vor­sicht, den sozialen Zugang wieder öff­nen.
Christian Breitschmid
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