Bild: © Cecile Wittensöldner

Pater Saju erk­lärt, wie er das erste Wun­der, die Hochzeit zu Kanaan, tänz­erisch umge­set­zt hat:

Wenn ich über diese Szene medi­tiere, sehe ich Jesus, Maria, die Jünger, die Fam­i­lie, die Gäste – und ich spüre ihre Unruhe, ihre Sorge, als der Wein aus­ge­ht. Maria wen­det sich hil­fe­suchend an Jesus. Worte wer­den gewech­selt. Ich sehe Men­schen, die miteinan­der sprechen, die sich bewe­gen, die fühlen.

Wenn ich solch eine Evan­geli­umsszene in Tanz über­set­ze, kom­poniere ich zuerst die Musik auf Grund­lage der bib­lis­chen Verse. Die Verse über­set­ze ich oft aus dem Englis­chen in meine Mut­ter­sprache Malay­alam oder, da ich momen­tan in Ben­gal arbeite, ins Ben­galis­che. Ich schreibe sie in Vers­form, wie Poe­sie. Dann wäh­le ich eine indis­che klas­sis­che Musik, eine Raga – manch­mal streng klas­sisch, manch­mal hal­bklas­sisch, manch­mal auch volk­stüm­lich.

Auf diese musikalis­che Grund­lage baue ich dann Vers für Vers, Bewe­gung für Bewe­gung den Sub­text zum Bibel­text auf. Wer ste­ht wo? Wer bewegt sich wohin? Was wird gesprochen? Wer wen­det sich wem zu? Ich entwerfe mit Lin­ien, Bildern, Bewe­gun­gen ein Szenen­bild. Wenn ich solo tanze, verkör­pere ich die ver­schiede­nen Fig­uren der Szene – durch Gesicht­saus­druck, Gestik und Kör­per­sprache. Ich werde zu Jesus, zu Maria, zu den Gästen, zum Haush­er­rn. Das Pub­likum erken­nt: Hier trinkt jemand den Wein [seine Hand hält ein imag­inäres Glas, das er zum Mund führt], hier wird Wein eingeschenkt [er mimt das Eingiessen], hier isst jemand [er zeigt es mit ein­er Geste]. Die Kör­per­hal­tung, die Mimik, die Geste sagen: das ist Jesus [er zeigt die typ­is­che Segens­geste Jesu mit einem aus­gestreck­ten Arm und ein­er Hand mit erhoben­em Zeige- und Mit­telfin­ger], das ist Mut­ter Maria mit dem Schleier [er deutet den Schleier mit ein­er Hand­be­we­gung an]. Die Men­schen erken­nen: das ist die Hal­tung ein­er Frau, das ist die Hal­tung eines Mannes. Das ist Mut­ter Maria, die mit Jesus spricht, und Jesus ver­ste­ht [er verän­dert seinen Gesicht­saus­druck]. Dann geht er und bit­tet die Leute, Wass­er zu holen und die Krüge zu füllen [er zeigt die Form des Kruges mit ein­er Geste]. Dann seg­net Jesus und betet und sagt: «Jet­zt kannst du den Wein den Men­schen servieren.» Und die Leute sitzen dort… und das hier ist zum Beispiel der Kelch oder das Glas [zeigt es mit der Hand]. Dann kommt jemand und schenkt in das Glas ein, jemand trinkt, und sagt: «Mmh, was für ein leck­er­er Wein! Warum habt ihr ihn bis zum Schluss aufge­hoben?!» [er stellt es pan­tomimisch dar]. Und schliesslich gehen Jesus und Maria langsam hin­aus. Und die Szene ist vor­bei.

Leonie Wollensack
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