Zwingli im Kino: Eine gelungene Geschichtslektion

Zwingli im Kino: Eine gelungene Geschichtslektion

  • Mor­gen startet Ste­fan Haupts Zwingli-Film auch in den Aar­gauer Kinos. Die Mundart-Pro­duk­tion führt ins Zürich der Renais­sance-Zeit und bietet anschaulichen Geschicht­sun­ter­richt.
  • In den Haup­trollen glänzen Max Simonis­chek als Zwingli und Sara Sophia Mey­er als seine Frau Anna.
Es ist eine raue Umge­bung, die Zwingli im Jahre 1519 in Zürich vorfind­et: Über­all Schmutz, herum­lungernde Strassenkinder und elend anmu­tende Gestal­ten, welche die Men­schen auf dem Weg zum Kirch­gang um Geld ange­hen. «Wer küm­mert sich um die?», fragt der frischge­back­ene Leut­priester. «Nie­mand», erhält er zur Antwort, der­weil dem Kinop­ub­likum gezeigt wird, wie katholis­che Geistliche auf der Strasse Ablass­briefe verkaufen oder in der Kirche die hohle Hand fürs Lesen von Messen machen.

Reformation auf den Punkt gebracht

Kurz darauf sehen wir Zwingli im Mess­ge­wand – Max Simonis­cheks erster pack­ender Auftritt als Refor­ma­tor: Er wolle den Men­schen das Evan­geli­um vor­lesen – auf Deutsch, verkün­det er im Gross­mün­ster und lässt durch­blick­en, dass er einiges ändern möchte.Bere­its in der ersten Vier­tel­stunde schafft es der Film, die Gründe für refor­ma­torisches Bestreben ver­ständlich zu machen. Und er bringt Zwinglis The­olo­gie in ein­fachen Sätzen auf den Punkt: Gott ist barmherzig und bestraft uns nicht, wir sollen Gottes Wort in unser­er eige­nen Sprache ver­ste­hen, daraufhin selb­ständig darüber nach­denken und uns nichts von kirch­lichen Autoritäten vorkauen lassen.

Keine Kappeler Milchsuppe

Im Laufe der fol­gen­den zwei Stun­den bleibt der Kinobe­such­er an Zwinglis Seite bis zu dessen Tod im Jahre 1531 auf dem Schlacht­feld. Die Zeitraf­fung erfol­gt sub­til, schliesst vieles ein. Geschicht­skundi­ge ver­mö­gen sich anhand der ver­schiede­nen im Film ver­ar­beit­eten Ereignisse der Chronolo­gie ent­lang zu hangeln: Darunter die Her­aus­gabe ver­schieden­er Schriften, das Wurstessen zur Fas­ten­zeit, die Kloster­aufhe­bun­gen oder die Bibelüber­set­zung. Anstelle von eigentlich drei Zürcher Dis­pu­ta­tio­nen gibt es im Film allerd­ings nur eine. Und auch nur einen Kap­pel­er Krieg. Die Episode rund um die berühmte Kap­pel­er Milch­suppe wurde aus­ges­part.Der von Max Simonis­chek verkör­perte Zwingli mis­cht sich unters Volk, sitzt in der Beiz und ist sich nicht zu schade, nach den in den Strassen am Boden liegen­den Kranken zu schauen – selb­st als die Pest die Lim­mat­stadt heim­sucht. Zwingli bleibt, während die anderen Kirche­nau­toritäten fliehen. Um den Preis, dass er selb­st erkrankt.

Ein vielschichtiger und ambivalenter Zwingli

Doch es bleibt nicht bei der eindi­men­sion­alen Licht­gestalt mit hehren Absicht­en. Der Film zeigt uns einen vielschichti­gen Zwingli. Da ist zunächst der visionäre und gewiefte Sozialpoli­tik­er, der die Überzeu­gung ver­tritt, dass die öffentliche Hand die Kranken- und Armen­für­sorge übernehmen muss, wenn sich schon die Kirche nicht darum küm­mert. Finanziert wer­den soll das Ganze mit Kloster­ver­mö­gen aus Enteig­nun­gen, wofür der Zürcher Rat gerne Hand bietet. Und dann ist da noch der Macht­men­sch Zwingli, der ver­standen hat, dass er seine Idee von Kirche nur mit Unter­stützung der Zürcher Regierung ver­wirk­lichen kann und darum seine radikalen Wegge­fährten, die Täufer, fall­en lässt.Jene Radikalen um Felix Manz (gespielt von Michael Fringer) mit basis­demokratis­chen Ideen, welche nicht nur die Pap­stkirche ablehnen, son­dern auch der Zürcher Obrigkeit ihre Gefol­gschaft ver­weigern, ruft Zwingli zunächst zur Rai­son, als sie im Rah­men des Bilder­sturms Kun­stschätze aus den Kirchen ver­bren­nen und auf Geistliche los­ge­hen. «Nun benehmen wir uns doch bitte wieder alle wie richtige Chris­ten», fordert er. Die Erwach­se­nen­taufe verurteilt Zwingli – wohl wissentlich, dass sie die städtis­che Ord­nung und damit auch seine Ref­or­ma­tion unter­gräbt. War er es zunächst, der von pap­stkirch­lichen Autoritäten der Gottes­lästerung bezichtigt wurde, so beze­ich­net er nun die Erwach­se­nen­taufe als Gottes­lästerung und erscheint für einen Moment lang nicht bess­er als jene, denen er vorge­wor­fen hat, mit Gottes Wort Schind­lud­er getrieben zu haben. «Du legst die Schrift aus, wie es dir passt», wirft man ihm im Film denn auch vor und auch seine Frau Anna (gespielt von Sara Sophie Mey­er) unter­stellt ihm, aus Kalkül seine Wegge­fährten zu opfern.Als sich schliesslich die katholis­chen Orte anschick­en, gegen das refor­ma­torische Zürich vorzuge­hen, erleben wir auch einen fanatis­chen Zwingli, der von der Zürcher Obrigkeit mehrfach den Präven­tivschlag fordert und sich schliesslich mit Feuereifer in die Schlacht stürzt. «Warum?», klagt seine Frau Anna. «Hast du nicht immer gesagt, schickt die Men­schen nicht in Schlacht­en». Zwingli ent­geg­net: «Für eine gerechte Sache zu kämpfen ist etwas anderes».

Anna Reinhart: Erst verschüchtert, dann selbstbewusst

Sara Sophia Mey­er als Anna Rein­hart zeigt Zwinglis Frau als eine Fig­ur, die sich entwick­elt. Ver­schüchtert find­en wir sie zu Beginn des Films vor einem Altar kniend. Sie trauert um ihren Ver­flosse­nen, einen Söld­ner, und fürchtet sich vor dem Fege­feuer. Von schlechtem Gewis­sen geplagt, gibt sie dem Kaplan Geld, damit dieser für ihren ver­stor­be­nen Mann die Toten­messe liest. Dann hört sie Zwingli in der Kirche, will lesen ler­nen, um Gottes Wort selb­st zu begreifen, bringt dem an der Pest erkrank­ten, neuen Leut­priester zu essen und pflegt ihn, lässt sich mit ihm ein und über­wirft sich darüber mit ihrer Mut­ter und anderen in der Stadt. Und sie scheut sich auch nicht, Zwingli zu kri­tisieren.In weit­eren Rollen find­en sich Ana­tole Taub­mann als Zwinglis Wegge­fährte Leo Jud, Ste­fan Kurt als Bürg­er­meis­ter Röist, Oscar Sales Bingiss­er als Gen­er­alvikar Johann Faber, Ueli Jäg­gi als Bischof von Kon­stanz und Rachel Braun­schweig als Äbtissin Katha­ri­na von Zim­mern.

Ein Aargauer rettet die Zürcher Reformation

Immer wieder ver­mag der Film in konzen­tri­ert­er Dichte die Bedeu­tung von Schlüs­se­len­twick­lun­gen auf den Punkt zu brin­gen. Beispiel­sweise die Aufhe­bung der Klöster: Die Zürcher Obrigkeit stimmt dem zu, weil ihr auf diesem Weg eine finanzierte Möglichkeit geboten wird, die Ver­hält­nisse in der Stadt zu verbessern. Die Armen und Kranken in der Stadt kön­nen ver­sorgt wer­den, herum­lungernde Strassenkinder erhal­ten ein Dach über dem Kopf und für junge, ins Kloster abgeschobene Frauen eröff­nen sich neue Per­spek­tiv­en. Obschon der Film in diesem Zusam­men­hang aus didak­tis­ch­er Notwendigkeit her­aus verkürzt, dif­feren­ziert er aus­re­ichend genug und deutet zumin­d­est an, dass für einzelne Kloster­frauen eben ger­ade jenes Leben im Kon­vent eine sinns­tif­tende Exis­tenz bedeutete, die mit der Aufhe­bung der Stifte zer­stört wird.Aus Aar­gauer Sicht erfreulich: Hein­rich Bullinger kommt im Film eben­falls vor. Ihm gebührt laut den Mach­ern das Ver­di­enst, dass sich Zwinglis Ref­or­ma­tion durch­set­zen kon­nte.
Andreas C. Müller
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