Ein Supermarkt für Armutsbetroffene

Ein Supermarkt für Armutsbetroffene

  • Am kom­menden drit­ten Son­ntag im Jan­u­ar ist tra­di­tion­s­gemäss der Son­ntag der Car­i­tas Aar­gau. Das christliche Hil­f­swerk macht dieses Jahr die Armut in unserem Land zum The­ma. Bran­dak­tuell, zumal auch im Aar­gau darüber disku­tiert wird, die Sozial­hil­fe zu kürzen.
  • Mit knapp tausend Franken für den Grundbe­darf müssen Sozial­hil­fe-Empfänger über die Run­den kom­men. Laut ein­er SKOS-Studie zu wenig. Im Car­i­tas-Markt kön­nen Armuts­be­trof­fene wenig­stens bei den Einkäufen für den täglichen Bedarf sparen.
  • Im Aar­gau gibt es seit 2016 keinen Super­markt für Arme mehr. Die Genossen­schaft Car­i­tas-Markt will das ändern.
 Kurz vor 10 Uhr in Olten: Vor dem Ein­gang zum Car­i­tas­markt an der Basler­strasse ste­hen bere­its zwei Frauen mit ihren Einkauf­swa­gen. Zur vollen Stunde öffnet der Laden und die bei­den wollen möglichst vom gün­sti­gen Ange­bot an Frücht­en und Gemüse prof­i­tieren, denn: «Es het, so lang’s het». Die bei­den ken­nen einan­der, es sind Kur­dinnen aus der Türkei – die eine lebt seit 18 Jahren in Olten, die andere kommt regelmäs­sig aus Trim­bach, der Nach­barge­meinde.

Nur Sozialhilfe-Empfänger dürfen einkaufen

Kaum hat der Shop geöffnet, prüfen die bei­den Frauen das Ange­bot: Heute gibt es Bana­nen­säcke für zwei Franken und Auberginen­pack­un­gen für 1 Franken. Weit­ere Per­so­n­en betreten der­weil den Laden und verteilen sich auf den ins­ge­samt vier Eta­gen. Zuoberst gibt es Sec­ond­hand-Klei­dung, auf den anderen drei Eta­gen Lebens­mit­tel, Hygiene- und Haushalt­sar­tikel. Einkaufen dür­fen aber nur Per­so­n­en mit knappem Bud­get – der Nach­weis erfol­gt über die Kul­tur-Legi. Einzig Klei­dung dür­fen alle kaufen. Wer aber die Kul­tur-Legi besitzt, bekommt auf die angeschriebe­nen Preise 30 Prozent Rabatt.«120 bis 160 Per­so­n­en täglich suchen den Car­i­tas­markt auf», erk­lärt Fil­iallei­t­erin Kübra Bodur, die sich zusam­men mit zwei weit­eren Mitar­bei­t­en­den um den Shop küm­mert. «Die meis­ten Kundin­nen und Kun­den kom­men aus Olten und der umliegen­den Region, manche auch von weit­er her, denn: Car­i­tas-Lebens­mit­telgeschäfte gibt es ins­ge­samt nur 21 in der ganzen Schweiz».

«Ich bin dankbar, dass es so etwas gibt!»

«Im Grunde müsste es so ein Geschäft viel öfter geben», meint ein Sozial­hil­febezüger aus Olten, der von der Stadt einen Einkauf­sgutschein als Anteil am Grundbe­darf der Sozial­hil­fe erhal­ten hat. «Ich bin dankbar, dass es so ein Ange­bot gibt und dafür, dass die Car­i­tas für Men­schen mit knappem Bud­get etwas tut». Der Mann wun­dert sich allerd­ings über die Preis­gestal­tung: Gewisse Artikel seien sehr gün­stig, andere, wie beispiel­sweise gewisse Saucen, teur­er als im Den­ner oder Migros. Die Kla­gen über die Preise höre sie oft, meint Fil­iallei­t­erin Kübra Bodur. Doch wie viel ein Artikel kosten darf, wird vom Car­i­tasverteilzen­trum in Sem­pach Sta­tion vorgegeben.«Unsere Strate­gie sieht vor, dass wir stets etwa 50 Prozent gün­stiger sind als die anderen, wenn aber ein Dis­counter eine Halbpreisak­tion macht, dann sind wir mitunter auch ein­mal teur­er», erk­lärt Thomas Kün­zler von der Genossen­schaft Car­i­tas-Markt in Sem­pach Sta­tion. Hinzu komme, dass oft nicht Gle­ich­es mit Gle­ichem ver­glichen werde: «Eine Tafel Schoko­lade von Lindt kostet bei uns 80 Rap­pen. Bei der Migros kriegt man aber eine Tafel Bud­get-Schoko­lade für 60 Rap­pen. Das ist zwar gün­stiger, aber eben nicht Lindt.»

Viele Kunden mit Migrationshintergrund

Das Ware­nange­bot ist gross, die Preise tief: Das Kilo­gramm Orangen beispiel­sweise kostet CHF 1,50, ein gross­es Kon­fitüren­glas CHF 1.-. Für CHF 4.30 gibt es einen Liter Olivenöl. «Früchte und Gemüse wer­den zum Einkauf­spreis ange­boten, so Kübra Bodur. «Dies dür­fen wir aber nur dank ein­er Vere­in­barung mit den Liefer­an­ten, wonach wir die Waren auss­chliesslich an Bedürftige verkaufen. Anson­sten wür­den wir gar nicht beliefert.» Das restliche Ware­nange­bot habe nur eine sehr kleine Marge. Mit dieser bezahle Car­i­tas die Trans­portkosten, erk­lärt Kübra Bodur.Etwa 40 Prozent der Kund­schaft sind nach Angaben der Fil­iallei­t­erin Schweiz­er, der Rest hat einen Migra­tionsh­in­ter­grund. Wir tre­f­fen einen weit­eren Mann mit Einkauf­sko­rb und Toi­let­ten­pa­pi­er in der Hand. Er kaufe hier fast alles, erk­lärt er. Der Mann, der seinen Namen nicht veröf­fentlicht haben will, lebt von Sozial­hil­fe und ist eben­falls froh, dass es den Car­i­tas-Markt gibt.

Erwünscht: Ein Caritas-Markt in Spreitenbach

Die meis­ten Kundin­nen und Kun­den, die wir ansprechen, reagieren scheu. Ein Zeichen dafür, dass es in der Schweiz immer noch schw­er fällt, offen über Armut zu sprechen. Zu sehr über­wiegt die Scham. Und dass mit den Car­i­tas-Läden viele schmale Bud­gets nur bed­ingt ent­lastet sind, ver­rät der Umstand, dass auch gestohlen wird. Und viele ver­sucht­en ein­fach, ohne Kul­tur-Legi einzukaufen. Sie ver­ste­he ja, dass es den Leuten schlecht gehe, meint die Fil­iallei­t­erin, aber dann solle man doch mit uns reden. Man könne bes­timmt eine Lösung find­en.Seit 2016 in Baden der Car­i­tas-Markt geschlossen wurde, müssen Aar­gauerin­nen und Aar­gauer für Einkäufe in einem Car­i­tas-Markt nach Olten, Sursee, Baar oder Zürich auswe­ichen. Wenn es nach der Genossen­schaft Car­i­tas-Markt geht, sollte sich das ändern: «Im Aar­gau wollen wir auf jeden Fall wieder einen Markt eröff­nen», erk­lärt Thomas Kün­zler. «Auf­grund der Bevölkerung und der Bal­lung an Sozial­hil­febezügern wäre wohl Spre­it­en­bach der richtige Ort.»Auch Fabi­enne Not­ter, Geschäft­slei­t­erin von Car­i­tas Aar­gau, würde es begrüssen, wenn im Aar­gau wieder einen Lebens­mit­tel­laden eröffnet wer­den kön­nte: «Allerd­ings ist die Finanzierung eine Her­aus­forderung – diese müssen ja wir von der regionalen Car­i­tas stellen. Wenn uns da die Genossen­schaft hil­ft, sind wir gerne bere­it, ein solch­es Ange­bot erneut zu prüfen».

Secondhand-Shop: Markenkleider für wenig Geld

Bere­its jet­zt gibt es im Aar­gau zwei Sec­ond­hand-Shops, die von Car­i­tas Aar­gau betrieben wer­den. Der eine befind­et sich in Wohlen, der andere in Aarau direkt beim Bahn­hof. Wir tre­f­fen dort zwei Frauen beim Anpro­bieren. Auskun­ft geben wollen uns die Bei­den nur, wenn sie anonym bleiben dür­fen. Sie sei IV-Bezügerin, erk­lärt die Jün­gere. Sie lebe von 1’250 Franken im Monat, habe Freude an Klei­dern und könne sich gute Stücke halt nur im Car­i­tas-Shop leis­ten. «Hier zum Beispiel!» Die junge Frau zeigt uns einen Man­tel von Calvin Klein für 22 Franken.Hosen für fünf Franken, einen Man­tel für 20 Franken. Das Ange­bot im Aarauer Car­i­tas-Shop umfasst auch Hem­den, Blusen und Schuhe. Nahezu die gesamte Ware sei gespendet, erk­lärt Verkauf­slei­t­erin Astrid Bon­saver. «Einzig wenn wir saison­al bei bes­timmten Artikeln knapp sind, kaufen wir die ein. Aktuell sind es Mützen und Hand­schuhe».

«Viele junge Leute kaufen Gebrauchtes — Aus Überzeugung!»

«An guten Tagen kaufen um die 60 Per­so­n­en im Laden ein», erk­lärt Astrid Bon­saver. Man habe eine beachtliche Anzahl Kun­den, die den nor­malen Preis bezahlen. «Armuts­be­trof­fene im Besitz der Kul­turLe­gi erhal­ten 30 Prozent Rabatt auf die angeschriebe­nen Preise». Aber auch bei jun­gen Leuten sei Sec­ond­hand ange­sagt, weiss Astrid Bon­saver. «Meist aus Überzeu­gung — als State­ment gegen die Kon­sumge­sellschaft. Die wollen bewusst nicht alles neu kaufen.»Andere wie die allein­erziehende Mut­ter, die wir im Shop tre­f­fen, schätzen es, bei Car­i­tas mit gutem Gewis­sen einkaufen zu kön­nen. «Klar kön­nte ich neuw­er­tige, bil­lige Artikel in bes­timmten Geschäften kaufen, aber dann weiss ich nicht, ob da Kinder­ar­beit drin­steckt».

Aarau: Standortwechsel brachte einen Drittel mehr Umsatz

Der Car­i­tas-Shop in Aarau erwirtschaftet Gewinn. Dieser fliesst in Pro­jek­te von Car­i­tas Aar­gau. Weit­er bietet der Shop Arbeit­slosen die Chance, im Rah­men von Arbeitsin­te­gra­tionspro­gram­men wieder Tritt im Arbeits­markt zu fassen. «Die gesam­melte Beruf­ser­fahrung hil­ft bei der Suche nach ein­er reg­ulären Stelle», weiss Astrid Bon­saver. Bis zu zwei Prak­tikan­ten kann sie jew­eils im Shop betreuen.«Dass es so gut läuft, war nicht zu erwarten, freut sich die Fil­iallei­t­erin. Vor fünf Jahren war der Car­i­tas am alten Stan­dort in der Alt­stadt gekündigt wor­den. «Hier am Bahn­hof machen wir nun einen Drit­tel mehr Umsatz», meint Astrid Bon­saver. Sog­ar Par­füme gibt es zu kaufen. «Das läuft gut, ger­ade Asyl­suchende schätzen es, dass sie zu gün­sti­gen Kon­di­tio­nen ein Par­füm erwer­ben kön­nen», erk­lärt Astrid Bon­saver. «Und nicht sel­ten dient so ein Par­füm auch als erschwinglich­es Geschenk.» Mit Ihrer Spende unter­stützen sie armuts­be­trof­fe­nen Men­schen im Kan­ton Aar­gau. Spendenkon­to: 50–1484‑7, IBAN CH23 0900 0000 5000 1484 7www.caritas-aargau.ch     
Andreas C. Müller
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