5G for­dert Kirch­ge­mein­den heraus

5G for­dert Kirch­ge­mein­den heraus

  • Die Netz­be­trei­ber Swiss­com, Sun­ri­se und Salt sind auf der Suche nach neu­en Stand­or­ten für Mobilfunkanlagen.
  • Anfra­gen von Tele­kom­fir­men gelan­gen auch an Kirch­ge­mein­den, da Kirch­tür­me aus tech­ni­scher Sicht idea­le Anten­nen­stand­or­te sind.
  • Eine sol­che Anfra­ge kann für Kir­chen­pfle­gen bedeu­ten, sich einer emo­tio­nal geführ­ten Debat­te aus­zu­set­zen, die medi­zi­ni­sche, ethi­sche und spi­ri­tu­el­le Fra­gen betrifft.
Vor einem Jahr berich­te­te Hori­zon­te über die neue Mobil­funk­ge­nera­ti­on 5G. Im Zen­trum stand die Fra­ge, wie begehrt und geeig­net Kirch­tür­me als Anten­nen­stand­or­te sind. Das Depar­te­ment für Bau, Ver­kehr und Umwelt schätz­te damals, dass von den 900 Mobil­funk­an­la­gen im Kan­ton Aar­gau «maxi­mal 5 bis 10» auf Kirch­tür­men ste­hen. Das ent­sprach einem Anteil von etwa einem Pro­zent. Gesamt­schwei­ze­risch befin­den sich aktu­ell rund 80 Anten­nen auf Kirch­tür­men. Die Recher­che vor Jah­res­frist zeig­te, dass sich Kirch­tür­me dank ihrer zen­tra­len Lage und ihrer Höhe sehr gut als Mobil­funk­stand­or­te eig­nen. Offen blieb jedoch die Fra­ge, ob sich eine Anten­ne auf dem Kirch­turm aus medi­zi­ni­scher und ethi­scher Sicht ver­tre­ten lässt.

 Schlep­pend statt Hispeed

Auf­grund der Ent­wick­lun­gen in der 5G-Debat­te in der Schweiz im ver­gan­ge­nen Jahr (sie­he Sei­ten­text rechts) dürf­te die Zahl der Kirch­ge­mein­den zuneh­men, wel­che sich sol­che Grund­satz­fra­gen stel­len müs­sen. Denn Swiss­com, Sun­ri­se und Salt ste­hen unter Druck, rasch neue Stand­or­te zu fin­den – laut Schät­zung des Bran­chen­ver­bands der Tele­kom­an­bie­ter braucht es mehr als 15’000 neue Anten­nen. Der Aus­bau des Net­zes kommt schlep­pend vor­an, Ein­spra­chen und Mora­to­ri­en brem­sen die Netz­werk­an­bie­ter aus. Sun­ri­se-Spre­cher Rolf Zie­bold gibt zu, dass die momen­ta­ne Situa­ti­on fru­strie­rend ist: «Weil die Grenz­wer­te nicht erhöht wer­den, braucht es vie­le neue Stand­or­te. Die Anzahl geeig­ne­ter Gebäu­de ist begrenzt, die Suche schwie­rig.»

«Ein emo­tio­na­les Thema»

Sun­ri­se betreibt lan­des­weit 20 Sen­de­an­la­gen auf Kirch­tür­men, zwei davon im Aar­gau. Kei­ne der ange­frag­ten Tele­kom­fir­men ver­rät, auf wel­chen Aar­gau­er Kirch­tür­men sie Anten­nen plat­ziert hat. Nach Medi­en­be­rich­ten zu schlies­sen, ste­hen Anla­gen auf den Kirch­tür­men von Abt­wil, Leug­gern, Würen­lin­gen und Rohr­dorf.Anfra­gen erhiel­ten jedoch wei­te­re Kirch­ge­mein­den: Die römisch-katho­li­sche Kirch­ge­mein­de Kai­ser­augst hat eine Anfra­ge von Swiss­com im Novem­ber 2019 abge­lehnt, die refor­mier­te Kirch­ge­mein­de Zofin­gen erhielt eben­falls 2019  eine Anfra­ge von Sun­ri­se für die Errich­tung einer Anten­ne im Turm der refor­mier­ten Kir­che Vor­dem­wald. Die Kir­chen­pfle­ge brach­te das Begeh­ren vor die Kirch­ge­mein­de­ver­samm­lung. Das Pro­to­koll der Ver­samm­lung hält fest: «Die Errich­tung einer Mobil­funk­an­ten­ne ist ein emo­tio­na­les The­ma.»

Die Fra­gen kamen mit Verspätung

Dass Han­dy­an­ten­nen die Emo­tio­nen hoch gehen las­sen, muss­te die katho­li­sche Kir­chen­pfle­ge Len­gnau erfah­ren. An der Kirch­ge­mein­de­ver­samm­lung 2018 hat­te sie über Ver­trags­ver­hand­lun­gen mit Salt infor­miert. Vor­an­ge­gan­gen waren Abklä­run­gen bezüg­lich der im Kirch­turm nisten­den Mau­er­seg­ler. «An die­ser Kirch­ge­mein­de­ver­samm­lung kamen kei­ne Fra­gen», erin­nert sich Kir­chen­pfle­ge­mit­glied August Schubi­ger. Die Debat­te begann ein Jahr dar­auf. Die Gemein­de erteil­te zwar die Bau­be­wil­li­gung, es gin­gen aber rund 200 Ein­spra­chen gegen die geplan­te Anten­ne ein. Im letz­ten Dezem­ber hat­te der Len­g­nau­er Gemein­de­schrei­ber Anselm Roh­ner gegen­über der Aar­gau­er Zei­tung erläu­tert: «Hal­ten sich die Mobil­funk­an­bie­ter an das Gesetz, kann eine Gemein­de ein Bau­ge­such für eine Anten­ne gar nicht ableh­nen.» Momen­tan liegt die Sache beim Kan­ton, es han­delt sich um ein lau­fen­des Ver­fah­ren.

Sorg­fäl­ti­ge Kom­mu­ni­ka­ti­on ist gefragt

Die Kir­chen­pfle­ge Len­gnau bemüh­te sich um eine sach­li­che Dis­kus­si­on. August Schubi­ger, der frü­her als ETH-Pro­fes­sor für radio­ak­ti­ve Arz­nei­mit­tel über den dia­gno­sti­schen und the­ra­peu­ti­schen Aspekt von Strah­lung forsch­te, setz­te auf Fak­ten und das Infor­mie­ren der Leu­te. «Die Kir­chen­pfle­ge merk­te, dass es wich­tig ist, die Fra­gen ernst zu neh­men und nach bestem Wis­sen und Gewis­sen zu beant­wor­ten. Die­je­ni­gen, die sich inter­es­sier­ten, hat­ten die Mög­lich­keit, den Ver­trag mit Salt ein­zu­se­hen und Fra­gen dazu zu stel­len.»

Ent­schei­det vor allem das Geld?

Laut Rolf Zie­bold, Medi­en­spre­cher von Sun­ri­se, zah­len die Mobil­funk­an­bie­ter «markt­üb­li­che Miet­prei­se» für ihre Anten­nen­stand­or­te. Die Ein­nah­men für eine Kirch­ge­mein­de mit Anten­ne im Kirch­turm bewe­gen sich zwi­schen 6000 und 9000 Fran­ken.August Schubi­ger betont, der finan­zi­el­le Aspekt sei nicht aus­schlag­ge­bend gewe­sen, in die Ver­hand­lun­gen ein­zu­stei­gen: «Wir hat­ten den Gedan­ken, etwas Nütz­li­ches zu tun.» Der Betrag von 9000 Fran­ken jähr­lich mache einen sehr klei­nen Teil des Gesamt­bud­gets aus. «Wir wür­den uns nicht kau­fen las­sen, könn­ten wir nicht grund­sätz­lich hin­ter die­ser Anten­ne ste­hen.» Ähn­lich äus­ser­te sich Beat Else­ner, Kir­chen­pfle­ge­prä­si­dent von Leug­gern, gegen­über der Aar­gau­er Zei­tung: Die Ent­schä­di­gung sei eine ange­neh­me Ein­nah­me­quel­le, «aber sie war nicht allein der Trei­ber beim Ent­scheid für die Anten­ne.»

Ver­trag nur mit Anwalt

Die Kir­chen­pfle­ge Rohr­dorf bekommt jähr­lich 7000 Fran­ken für die Sen­de­an­la­ge im Turm der Kir­che St. Mar­tin. Die­se sen­det momen­tan mit 4G. Kir­chen­pfle­ge­prä­si­den­tin Rita Wil­di erklärt: «Im lau­fen­den Ver­trag ist fest­ge­hal­ten, dass eine Auf­rü­stung auf 5G nicht ohne Neu­ver­hand­lung mög­lich ist. Die­se Ver­hand­lun­gen wer­den in abseh­ba­rer Zeit auf uns zukom­men.» Den neu­en Ver­trag wird die Kir­chen­pfle­ge mit Hil­fe eines Fach­an­walts erar­bei­ten: «Die Ver­trä­ge sind umfang­reich und erfor­dern eini­ges an Fach­wis­sen», sagt Rita Wil­di.Bereits hat die Kir­chen­pfle­ge Rohr­dorf eine wei­te­re Anfra­ge einer Tele­kom­ge­sell­schaft auf dem Tisch: Sun­ri­se will von der Kirch­ge­mein­de das Weg­recht für den Zugang zu einem Strom­mast in Remet­schwil erwer­ben, um dort eine Anten­ne zu plat­zie­ren.

«Sache der Kirchgemeinden»

Wie soll eine Kir­chen­pfle­ge mit sol­chen Anfra­gen umge­hen? Von Sei­ten der Lan­des­kir­chen gibt es kei­ne Richt­li­ni­en. Der Tages­an­zei­ger schrieb im Juni 2019: «Das basis­de­mo­kra­ti­sche Gefü­ge der katho­li­schen und refor­mier­ten Lan­des­kir­chen ver­hin­dert, dass sich die Orga­ni­sa­tio­nen (gemeint sind die Lan­des­kir­chen, Anm. d. Red.) des The­mas Mobil­funk­an­ten­nen und 5G auf natio­na­ler und kan­to­na­ler Ebe­ne anneh­men kön­nen. ‹Es gibt kei­ne offi­zi­el­le Posi­ti­on der Römisch-Katho­li­schen Zen­tral­kon­fe­renz›, sagt Gene­ral­se­kre­tär Dani­el Kosch. ‹Das ist Sache der Kirch­ge­mein­den.›»

Pfar­rei­en sind häu­fig gespalten

Kon­kre­ter äus­sert sich das Bis­tum. Im Juni 2019 liess Gene­ral­vi­kar Mar­kus Thü­rig ver­lau­ten, das Bis­tum Basel rate vom Ein­bau von 5G-Anten­nten in Kirch­tür­men ab. Solan­ge gesi­cher­te Wer­te über die gesund­heit­li­chen Lang­zeit­schä­den nicht vor­lie­gen, hal­te das Bis­tum an sei­ner Posi­ti­on aus dem Jahr 2014 fest. Das wich­tig­ste Argu­ment des Bis­tums ist jedoch ein ande­res. Mar­kus Thü­rig gab zu beden­ken, «dass sol­che Pro­jek­te regel­mäs­sig die Pfar­rei­en zwi­schen Befür­wor­tern und Geg­nern spal­ten.» Den Pfar­reif­rie­den aufs Spiel zu set­zen, scheint dem Bis­tum ein zu hoher Preis für ultra­schnel­les Internet.
Marie-Christine Andres Schürch
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