«Es gibt weniger Kriege, wenn Macht mit den Frauen geteilt wird»

«Es gibt weniger Kriege, wenn Macht mit den Frauen geteilt wird»

  • Der Anthro­pologe und Zoologe Carel van Schaik erk­lärt, warum Men­schen den Krieg erfan­den.
  • Er sagt, dass sich der Impuls zu kämpfen ein- und auss­chal­ten lässt und glaubt zu wis­sen, was die Welt let­ztlich friedlich­er macht.
  • Das Inter­view mit Carel van Schaik ist zuerst in der inter­re­ligiösen Zeitung «zVis­ite» erschienen, die dem The­ma Frieden gewid­met ist.

Carel van Scha­jk, lange glaubte die Poli­tik in Europa, man könne durch Han­del den Frieden sich­ern. Wie der Ukrainekrieg nun zeigt, liegt man da falsch.
Carel van Schaik: Die Idee «Wan­del durch Han­del» ist nicht schlecht. Län­der, die wirtschaftliche Beziehun­gen pfle­gen, führen tat­säch­lich weniger Kriege. Auch bele­gen die Sta­tis­tiken, dass Demokra­tien weniger Kriege anfan­gen. Beim Ukrainekrieg zeigt sich das Prob­lem: Rus­s­land ist zwar mit dem West­en wirtschaftlich ver­bun­den, ist aber keine Demokratie. Deshalb kann Putin die «mil­itärische Son­der­op­er­a­tion» unge­hin­dert durch­führen.

Carel van Schaik

Car­o­lus Philip­pus van Schaik ist ein nieder­ländis­ch­er Zoologe und Anthro­pologe. Von 2004 bis 2018 war er Pro­fes­sor und Direk­tor des Insti­tuts und des Muse­ums für Anthro­polo­gie an der Uni­ver­sität Zürich. Seine Büch­er «Das Tage­buch der Men­schheit» und «Die Wahrheit über Eva», die er zusam­men mit dem His­torik­er Kai Michel ver­fasste, erregten gross­es Auf­se­hen.

Gehören Aggres­sion und Krieg zur DNA der Men­schheit?
Der Men­sch wird von ein­er Psy­cholo­gie des Krieges bes­timmt, die sich sozusagen ein- und auss­chal­ten lässt. Vor allem bei Män­nern find­et sich diese Ver­an­la­gung: Wenn sie sich als Gruppe bedro­ht fühlen und die Emo­tio­nen hochkochen, schal­ten sie reflexar­tig in den Angriff­s­modus. Nach den Anschlä­gen von 9/11 in den USA zeigte sich dieses Phänomen deut­lich: Nach dem bru­tal­en Angriff, bei dem Tausende Men­schen star­ben, wollte die US-Bevölkerung Vergel­tung, rief nach einem Führer und forderte einen Mil­itärschlag. Diese Psy­cholo­gie des Krieges nutzen die Autokrat­en, um die Men­schen zu manip­ulieren. Das hat Hitler getan, das tut Putin. Auch er präsen­tiert den Krieg gegen die Ukraine als Vertei­di­gung Rus­s­lands gegen den amerikanis­chen Aggres­sor, der die «Faschis­ten» in Kiew unter­stütze.

Sie sind Zoologe und Anthro­pologe: Stimmt Friedrich Dür­ren­matts Aus­sage, der Men­sch sei ein Raubti­er mit huma­nen Ansätzen?
Ja und nein. Evo­lu­tion­s­geschichtlich betra­chtet, sind wir eine ungewöhn­liche Affe­nart, weil wir uns zu Fleis­chfressern entwick­el­ten. Doch gibt es auch Jäger und Samm­ler, die sich grössten­teils veg­e­tarisch ernähren. Der Men­sch ist nicht per se ein Raubti­er. Das ist nicht so tief in unser­er DNA ver­ankert. Son­st kön­nte man den heuti­gen Höhen­flug des Veg­e­taris­mus und Veg­an­is­mus nicht erk­lären.

Sind Tiere friedlich­er als Men­schen?
Manche Beutegreifer, Löwen zum Beispiel, führen vielle­icht so etwas wie Kriege, denn ein Rudel kann auch Artgenossen umbrin­gen. Aber Löwen ver­anstal­ten keinen Genozid. Doch der Ver­gle­ich mit den Tieren hinkt, man ver­sucht hier, ani­malis­ches Ver­hal­ten in men­schlich-moralis­che Kat­e­gorien zu pressen, um daraus Schlüsse für den Men­schen zu ziehen. So unge­fähr wie: Wenn Löwen­grup­pen sich gegen­seit­ig töten, sollte das bei uns doch auch irgend­wie akzept­abel oder gar wün­schenswert sein. Das ist ein Fehlschluss.

Anders gefragt: Braucht der Men­sch die Zivil­i­sa­tion, die seine Aggres­sio­nen bändigt?
Im Gegen­teil. Geht man in der Men­schheits­geschichte zurück in die Zeit­en, als es keine Staat­en gab, so kann man ethno­grafisch und archäol­o­gisch zeigen, dass Kriege sel­ten waren. Es gab zwar vere­inzelt Über­fälle auf andere Stämme, aber keine Kriege mit grossen Heeren, Waf­fen, Belagerun­gen und Besatzun­gen. Das änderte sich erst, als Jäger und Samm­ler ab etwa 10’000 v. Chr. anfin­gen, sesshaft zu wer­den, und inten­si­vere Land­wirtschaft betrieben. Ab dann wur­den Fes­tun­gen gebaut und Waf­fen entwick­elt.

Inten­sive Land­wirtschaft bedeutet reiche Ern­ten und Besitz. Löst dies Gier und Neid aus?
Ja, man will ja seine Vor­räte und seinen Besitz vertei­di­gen, und so kommt es zum Krieg. In der Geschichte gibt es jedoch auch eine gegen­sät­zliche Entwick­lung. Betra­chtet man etwa nur die Demokra­tien der let­zten zwei Jahrhun­derte, so zeigt sich, dass die Bere­itschaft zum Krieg nach­lässt.

Wie wichtig ist die Frage der Gerechtigkeit bei Kon­flik­ten?
Zwis­chen Indi­viduen spielt die Gerechtigkeit eine grosse Rolle. Wenn es gelingt, Kon­flik­te beizule­gen und Groll aus der Welt zu schaf­fen, herrscht Frieden. Die indi­vidu­elle Ebene lässt sich jedoch nicht direkt auf die gesellschaftliche oder staatliche Ebene trans­formieren. Zwis­chen Staat­en hat die Frage der Gerechtigkeit kaum Bedeu­tung. Hier herrscht oft Realpoli­tik, die sich an anderen Fak­toren ori­en­tiert.

In der Geschichte gibt es aber auch Beispiele, bei denen Ressen­ti­ments zu neuen Kriegen führten.
Ja. Die Sit­u­a­tion in Europa nach dem Ersten Weltkrieg zeigt, dass das Gefühl der Bevölkerung, ungerecht behan­delt wor­den zu sein, dur­chaus ernst genom­men wer­den sollte. Die Deutschen sahen sich als Opfer der Ver­sailler Verträge, was zu jen­er Stim­mung beitrug, die schliesslich zum Zweit­en Weltkrieg führte.

Wird die Welt friedlich­er, wenn Frauen an der Macht sind?
Ich würde diese Frage sehr gerne mit Ja beant­worten, aber dieses Exper­i­ment wurde bish­er nicht gemacht. Das Matri­ar­chat hat es nie gegeben. Es lässt sich jedoch fest­stellen, dass es weniger Kriege gibt, wenn die Macht mit den Frauen geteilt wird und die Struk­turen demokratisch sind.

Zum Schluss: Was macht die Welt friedlich­er?
Bil­dung und Demokratie. Dafür gibt es gute Beispiele wie die Schweiz, die seit Jahrhun­derten keinen Krieg mehr geführt hat. Hier leben die Men­schen mit vier Lan­dessprachen und unter­schiedlichen Kon­fes­sio­nen friedlich zusam­men.

Marie-Christine Andres Schürch
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