Wirksame Prävention braucht Austausch und Zusammenarbeit
«Gemeinsam gegen Missbrauch. Ökumenische Perspektiven für wirksame Schutzkonzepte» war der Titel der diesjährigen Veranstaltung der Paulus Akademie und des Forum Magazins.
Bild: © Eva Meienberg

Wirksame Prävention braucht Austausch und Zusammenarbeit

Podium in der Paulus Akademie Zürich

Zwei Jahre nach Publikation der Missbrauchstudie arbeiten die Kirchen an griffigen Standards für Schutzkonzepte. Auf einem Podium wird deutlich, politische Unterstützung ist dringend nötig. Austausch und Zusammenarbeit zwischen den Kirchen ist ebenso notwendig, könnte die Arbeit aber verlangsamen.

Zuerst zu Wort kamen die Präven­tions­fach­frauen Dolores Was­er Balmer vom Bis­tum Chur sowie Sabine Scheuter von der evan­ge­lisch-reformierten Kirche Zürich. Sie referierten den Stand der Dinge bei Schutzkonzepten in ihrer Kirche und erzählten aus der Prax­is ihrer Arbeit. Aus der Samm­lung von Beispie­len, die Dolores Was­er Balmer in ihren Präven­tionsver­anstal­tun­gen im Bis­tum Chur bespricht: «Weil ich heute Geburt­stag habe, gibt es jet­zt einen Kuss» — eine Auf­forderung an eine Frau, die als Frei­willige Geburt­stags­be­suche machte. Hier gehe darum, über ungute Beziehungssi­t­u­a­tio­nen sprechen zu ler­nen und die Teil­nehmenden für die gesun­den Aspek­te ein­er Beziehung zu sen­si­bil­isieren, sagt die Fach­frau.

Dolores Was­er Balmer, Präven­tions­beauf­tragte der Bistümer St. Gallen und Chur © Eva Meien­berg

Prävention kennt kein Ende

Seit der Ein­führung des Ver­hal­tenskodex im Bis­tum Chur im Jahr 2022 wer­den in Pas­toral­räu­men und Gremien im Bis­tum Chur Schutzkonzepte entwick­elt. Die Entwick­lung dieser Konzepte und das Darüber nach­denken helfen der Präven­tion, sagt Was­er Balmer, denn Schutzkonzepte wür­den am effek­tivsten von den Men­schen umge­set­zt, die an der Erar­beitung beteiligt gewe­sen seien. «Präven­tion ist nie abgeschlossen, son­dern muss ständig angepasst wer­den.»
Die Präven­tions­fach­frau schätzt, dass 95 Prozent des kirch­lichen Per­son­als die Schutzkonzepte ernst näh­men und mithelfen, diese umzuset­zen. Beson­ders hil­fre­ich sei die Zusam­me­nar­beit in der Präven­tion mit Men­schen, die den sex­uellen Miss­brauch aus eigen­er Erfahrung ken­nen.

Ver­anstal­tungsrei­he in der Paulus Akademie Zürich

Die Ver­anstal­tung «Gemein­sam gegen Miss­brauch. Öku­menis­che Per­spek­tiv­en für wirk­same Schutzkonzepte» wurde ver­anstal­tet vom Forum Mag­a­zin zusam­men mit der Paulus Akademie Zürich. Seit der Veröf­fentlichung der Vorstudie zu Miss­brauch in der katholis­chen Kirche Schweiz im Sep­tem­ber 2023 ver­anstal­ten die bei­den Insti­tu­tio­nen jährlich ein Podi­um zu einem Aspekt des The­men­feldes. Dies, um einen Beitrag zu Trans­parenz zu leis­ten, den Aus­tausch zu ermöglichen und der inter­essierten Öffentlichkeit Infor­ma­tio­nen zugänglich zu machen. Die näch­ste Ver­anstal­tung ist für Sep­tem­ber 2026 geplant.

Hin­der­lich hinge­gen sei die Ungle­ich­berech­ti­gung der Frauen in der katholis­chen Kirche, die katholis­che Sex­ual­moral und die kirch­lichen Struk­turen. Und Was­er Balmer wün­scht sich neben den von der Kirche unab­hängi­gen Meldestellen eine kirch­liche. Denn in der Arbeit mit Betrof­fe­nen habe sie immer wieder gemerkt, dass gewisse Per­so­n­en expliz­it eine kirch­liche Per­son ansprechen woll­ten, um ihre erschüt­terte Beziehung zur Kirche besprechen zu kön­nen.

Sich nicht auf Schutzkonzepten ausruhen

Sabine Scheuter, Beauf­tragte für Per­son­alen­twick­lung und Diver­si­ty der Reformierten Kirche Kan­ton Zürich stellte das Schutzkonzept der reformierten Kirche in Zürich vor mit seinen sechs Hand­lungs­bausteinen. Hil­fre­ich find­et Scheuter die dadurch entste­hende rechtliche Ori­en­tierung. Kri­tisch sieht sie die grosse Ver­ant­wor­tung, welche die Kirchge­mein­den übernehmen müssten. Immer wieder seien diese mit dem Per­sonal­man­age­ment und den daraus resul­tieren­den Führungsauf­gaben über­fordert oder näh­men diese schlicht zu wenig ernst. Dass Behör­den­mit­glieder nicht zu Schu­lun­gen gezwun­gen wer­den kön­nten, ver­schärfe das Prob­lem.
Auch Sabine Scheuter betonte die Wichtigkeit, das Präven­tion­swis­sen der Mitar­bei­t­en­den immer wieder aufzufrischen und dabei auch die kirch­lichen Frei­willi­gen einzubeziehen. Es gin­ge nicht an, sich auf Schutzkonzepten auszu­ruhen. Als beson­dere Schwierigkeit im kirch­lichen Umfeld erwäh­nte die Präven­tions­fach­frau die man­gel­nde Abgren­zung von Beru­flichem und Pri­vatem. So sei das Ide­al der Pfar­rfam­i­lie, die im Pfar­rhaus neben der Kirche mit­ten im Dorf lebe, immer noch weit ver­bre­it­et. Ausser­dem wün­scht sich die Präven­tions­fach­frau grif­figere Grund­la­gen für das The­ma «Spir­itueller Miss­brauch». In der Schweiz sei das The­ma vor allem geset­zlich aber auch the­ol­o­gisch immer noch schw­er fass­bar.

Sabine Scheuter, Beauf­tragte für Per­son­alen­twick­lung und Diver­si­ty, Reformierte Kirche Kan­ton Zürich © Eva Meien­berg

Verbindliche Standards fehlen

Auf dem anschliessenden Podi­um, das von Forum Co-Redak­tion­slei­t­erin Veroni­ka Jehle mod­eriert wurde, waren die neu erar­beit­eten Grund­la­gen und Stan­dards der EKS, die im Juni diesen Jahres an ihrer Syn­ode ver­ab­schiedet wur­den, zum The­ma. Cyn­thia Guig­nard, Beauf­tragte für Kirchen­beziehun­gen mit Schw­er­punkt Gren­zver­let­zun­gen der EKS, betonte die Wichtigkeit gemein­samer Stan­dards für die Kirchen. In der katholis­chen Kirche der Schweiz fehle eine solche Grund­lage, bestätigt Ste­fan Lop­pach­er, Leit­er der Dien­st­stelle Miss­brauch in kirch­lichen Kon­tex­ten der römisch-katholis­chen Kirche. Jedoch gebe es schon seit 20 Jahren Richtlin­ien, sagte er weit­er. Dort seien einzelne Aspek­te geregelt. Seine Dien­st­stelle sei daran, Stan­dards für Meldestellen zu erar­beit­en. Verbindliche Stan­dards für die Präven­tion fehlten jedoch.

Gesetzliche Grundlagen gegen Missbrauch

Lil­ian Stud­er, ehe­ma­lige Nation­al­rätin und Präsi­dentin der Evan­ge­lis­chen Volkspartei hat­te direkt nach der Veröf­fentlichung der Pilot­studie gemein­sam mit anderen Par­la­men­tari­erin­nen und Par­la­men­tari­ern beim Bun­desrat eine Motion ein­gere­icht. Darin wurde der Bun­desrat beauf­tragt, geset­zliche Grund­la­gen zu schaf­fen und Mass­nah­men zu tre­f­fen, um Organ­i­sa­tio­nen wie Kirchen, Schulen und Vere­ine in die Pflicht zu nehmen. Gemein­same Stan­dards für Schutzkonzepte, Präven­tion­s­mass­nah­men und Kon­trollen soll­ten jeglichen Miss­brauch von Kindern ver­hin­dern. Die Par­la­men­tari­erin­nen und Par­la­men­tari­er stützten sich dabei auf die UNO-Kinder­recht­skon­ven­tion, welche die Schweiz 1997 rat­i­fiziert hat­te.

Ste­fan Lop­pach­er von der katholis­chen Kirche, Cyn­thia Guig­nard von der reformierten Kirche, Lil­ian Stud­er, Präsi­dentin der Evan­ge­lis­chen Volkspartei und ehe­ma­lige Nation­al­rätin und Veroni­ka Jehle vom Forum Mag­a­zin auf dem Podi­um der Zürcher Paulus Akademie. © Eva Meien­berg

Nach der Veröf­fentlichung der Pilot­studie seien viele Par­la­men­tari­erin­nen und Par­la­men­tari­er sehr betrof­fen gewe­sen und es habe im Par­la­ment die Mei­n­ung vorge­herrscht, dass die Miss­brauch­spräven­tion schnell gestärkt wer­den müsse, erin­nerte sich Lil­ian Stud­er. Die Motion sei denn auch vom Nation­al­rat unter­stützt, jedoch vom Stän­der­at abgelehnt wor­den, weil dieser einen Clinch in der Vere­in­barkeit von nationalen Mass­nah­men mit der Kan­ton­shoheit der Kirchen und Schulen gese­hen habe. Die Alt-Nation­al­rätin möchte, dass gewichtige The­men wie die Miss­brauchs-Präven­tion nation­al geregelt wer­den kön­nen. Aus der von Stud­er ein­gere­icht­en Motion wurde schliesslich ein Pos­tu­lat, das von bei­den Kam­mern angenom­men wurde und nun einen Bericht des Bun­de­samtes für Sozialver­sicherun­gen nach sich zieht.

Austausch zwischen staatlichen und kirchlichen Stellen

In der Begleit­gruppe zur Erstel­lung des Berichts sind unter anderen Ste­fan Lop­pach­er und Cyn­thia Guig­nard. Bei­de Präven­tion­sex­perten waren sich am Podi­um einig, dass der Aus­tausch zwis­chen staatlichen und kirch­lichen Stellen unab­d­ing­bar sei. Eben­falls brauche es grif­fige geset­zliche Grund­la­gen, etwa zum spir­ituellen Miss­brauch. Ansprech­per­so­n­en und gemein­same Stan­dards auf kan­tonaler Ebene seien sehr hil­fre­ich, wie dies im Kanon St. Gallen bere­its der Fall sei, sagte Ste­fan Lop­pach­er.

Auf die Frage nach der Bedeu­tung der öku­menis­chen Zusam­me­nar­beit in der Miss­brauchs­bekämp­fung waren die Podi­um­steil­nehmenden zurück­hal­tend. «Präven­tion bedeutet, zu ein­er ler­nen­den Organ­i­sa­tion zu wer­den», sagte Ste­fan Lop­pach­er. Wichtig sei es, im Aus­tausch mit anderen Kirchen zu sein und voneinan­der zu prof­i­tieren, was aber vor allem zäh­le sei der fortwährende Prozess: «Die Präven­tion zer­fällt, wenn wir nicht laufend in sie investieren.» Cyn­thia Guig­nard gab ausser­dem zu bedenken, dass die kirch­lichen Struk­turen kom­plex seien. Die EKS beste­he aus 20 Lan­deskirchen, was zu langsamen Prozessen führe. Weit­ere Play­er aus der katholis­chen Kirche wür­den dies noch ver­schär­fen.

Laienbehörden in die Pflicht nehmen

Am Schluss der Ver­anstal­tung kam das von Sabine Scheuter aufge­wor­fene The­ma der Ver­ant­wor­tung der Laien­be­hör­den nochmals zur Sprache. Wie kön­nten diese für Schu­lun­gen und Kon­trol­lauf­gaben im Per­sonal­man­age­ment verpflichtet wer­den? Ste­fan Lop­pach­er betonte, dass Präven­tion auch funk­tion­iere, wenn nicht alle mit­macht­en. Umso wichtiger sei dann die Öffentlichkeit­sar­beit. Wenn Stan­dards bekan­nt seien, wür­den auch Ver­stösse bess­er erkennbar. Wichtig seien ausser­dem externe Sup­por­t­ange­bote für Behör­den von HR-Profis, die wüssten, wie Per­son­al­dossiers oder schwierige Per­son­alge­spräche richtig geführt wür­den. Cyn­thia Guig­nard ver­wies eben­falls auf die Wichtigkeit der Sen­si­bil­isierung der Basis, die der Präven­tion sehr helfe.

Eva Meienberg
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