Was zum Teufel singen wir da überhaupt?
Was zum Teufel singen wir da überhaupt?
Ein theologisch-musikalisches Projekt in Binningen nimmt Johann Sebastian Bachs Johannespassion beim Wort
Wer hört schon auf die Worte, wenn im KonzÂert die JohannesÂpasÂsion von Bach erklingt? Diakon Markus Wentink und der DiriÂgent Raphael Immoos tun es: Sie rückÂen rund um die AufÂführung des Werks in BinÂninÂgen die geistlichen Texte ins Licht, die heute so befremdlich wirken. «Mit ängstlichem VergnüÂgen …»
BetraÂchte, meine Seel
Mit ängstlichem VergnüÂgen
Mit bitÂtrÂer Lust
Und halb bekÂlemmtem Herzen,
Dein höchÂstes Gut
In Jesu Schmerzen.
Sieh hier auf Ruten, die ihn dränÂgen,
Vor deine Schuld den Isop blühn
Und Jesu Blut auf dich zur ReiniÂgung verÂsprenÂgen,
Drum sieh ohn UnterÂlass auf ihn!(Textstelle aus der JohannesÂpasÂsion, FasÂsung von 1749) «Mit dieser PasÂsion bin ich auf KriegsÂfuss.» So direkt sagt es Raphael Immoos, ProÂfesÂsor für ChorÂleitung an der Hochschule für Musik in Basel. Er hat schon viele OrchÂester und ÂVokalensemÂbles geleitÂet, aber um Bachs JohannesÂpasÂsion hat er bishÂer einen Bogen gemacht. «Wegen der Texte», erkÂlärt er. «Ich muss verÂsteÂhen, was gesunÂgen wird. Denn Bach hat die JohannesÂpasÂsion als Text der Liturgie gedacht.»JetÂzt wagt er sich mit den Basler MadriÂgalÂisÂten doch daran. Aus einÂer Anfrage des VereÂins Musik zu Heilig Kreuz in BinÂninÂgen hat sich im Gespräch mit dem OrganÂisÂten Theo Ettlin und mit Diakon Markus Wentink ein ProÂjekt entwickÂelt: Dabei wird die AufÂführung des Werks von drei Anlässen begleitÂet, in denen es um die Texte und ihren Gehalt geht. «Ohne dieses RahÂmenÂproÂgramm würde ich die JohannesÂpasÂsion nicht aufÂführen», verÂrät der DiriÂgent.Als TheÂologe ist Markus Wentink fasziniert, dass dieses InterÂesse an den TexÂten vonÂseitÂen des MusikÂers kam. In den RezÂiÂtaÂtivÂen werÂden Abschnitte aus dem JohanÂneÂseÂvanÂgeliÂum in der ÜberÂsetÂzung Luthers gesunÂgen. Die Arien und Choräle stamÂmen von verÂschiedeÂnen TheÂoloÂgen aus Bachs Zeit. Es sind InterÂpreÂtaÂtioÂnen, KomÂmentare oder MedÂiÂtaÂtioÂnen zu den BibelÂtexÂten. Die Choräle steÂhen stelÂlvertreÂtend für die Gemeinde. «In heutiÂgen KonzÂerten erklinÂgen diese Texte unreÂflekÂtiert, das ist eine KatasÂtroÂphe», ärgÂert sich Immoos.Für heutige Ohren sind die Worte der JohannesÂpasÂsion über weite StreckÂen befremdlich, teilÂweise schockÂierend (siehe TexÂtauszug). ZuminÂdÂest dann, wenn die PasÂsion in einÂer Kirche aufgeÂführt wird, sollÂten die MusikÂer einen Zugang zum Text haben, fordert Raphael Immoos. Er will Musik und Liturgie zusamÂmenÂbrinÂgen.Für Diakon Wentink sind die Texte der JohannesÂpasÂsion pietisÂtisÂche TheÂoloÂgie. Die Autoren verÂsuchtÂen, mit ihren Worten dem Tod und dem Leid zu begegÂnen. Als TheÂologe sucht Wentink den Bezug zum ExisÂtenÂziellen des MenÂschen. «Mir geht es darum, wie wir heute authenÂtisch sprechen und sinÂgen könÂnen», erkÂlärt er. «SonÂst werÂden wir zum MuseÂum.» Wenn Texte nur noch seltÂsam klinÂgen oder wenn sich ZuhörÂer auf den musikalisÂchen Genuss beschränken, gehe viel von der Kraft des Werks verÂloren.Bei den drei RahÂmeÂnanÂlässen wirken unter anderen auch AusÂführende der Basler MadriÂgalÂisÂten mit. Markus Wentink hofft auf viele TeilÂnehmende aus der PfarÂrei und darüber hinÂaus – etwa solche, die selÂber mit dem TheÂma Leid konÂfronÂtiert sind. Raphael Immoos denkt an PerÂsoÂnÂen, die einen spiÂrituellen und theÂolÂoÂgisÂchen Zugang zur JohannesÂpasÂsion suchen – auch solche, die Mühe hätÂten mit Bach. «Aber natürÂlich sind auch die Fans und LiebÂhaber von Bachs Musik willkomÂmen.»
ChrisÂtÂian von Arx