Was hat sie gesehen?
Die feministische Theologin Monika Hungerbühler denkt in ihrer Kolumne darüber nach, was Bernadette Soubirous in ihren Visionen gesehen hat.
Bernadette Soubirous hat «etwas» gesehen, das sie in ihrem pyrenäischen Dialekt «Aquero» (das da) nennt. Sofort geschieht in ihrem Umkreis die klare Identifikation von «Aquero» mit der Jungfrau Maria, was Bernadette jedoch lange bestreitet. In einem eineinhalbstündigen Verhör durch die Polizei 14 Tage nach der ersten Erscheinung kommt das zum Ausdruck:
«Kommissar: Und dann hast du die heilige Jungfrau gesehen.
Bernadette: Ich habe nicht gesagt, dass ich die heilige Jungfrau gesehen habe.
K: Nun gut, du hast also nichts gesehen!
B: Doch, ich habe etwas gesehen!
K: Also, was hast du denn gesehen?
B: Ich habe etwas in Weiss gesehen.
K: Was nun, etwas oder jemanden?
B: Das da, was ich gesehen habe, sieht aus wie ein kleines Fräulein.
K: Und ‹das da› hat dir nicht gesagt: ich bin die allerseligste Jungfrau?
B: Nein, das hat es mir nicht gesagt …»
In: Ursula Bernauer, Die schöne Dame von Lourdes.
In den ärztlichen Protokollen ist später die Rede von «l’object». Mit dem Sprechen im Neutrum (Aquero ) scheint Bernadette ihre Ehrerbietung gegenüber dem Unaussprechlichen auszudrücken, das bei einem Rosenstrauch geleuchtet haben soll, und sie nähert sich damit der fragenden Haltung des Mose an, dem das Göttliche in einem Dornengestrüpp erschienen sein soll.