Vom Wert der Werte

Vom Wert der Werte

Der Regierungsrat und die Lan­deskirchen des Kan­tons Aar­gau geben jedes Jahr zum Eid­genös­sis­chen Bet­tag abwech­sel­nd einen Aufruf an die Aar­gauer Bevölkerung her­aus. In diesem Jahr hat der Aar­gauer Regierungsrat den Text des Bet­tags­man­dats ver­fasst.Es ist eine grosse Hoff­nung der Men­schheit, in ein­er stets bess­er wer­den­den Welt leben zu kön­nen. In ein­er Welt, in der allen Men­schen Liebe, Friede, Frei­heit, Unab­hängigkeit, Gle­ich­berech­ti­gung, Sicher­heit, Wohlfahrt, Wohl­stand wider­fährt. Tagtäglich müssen wir jedoch aus Medi­en­bericht­en oder eigen­em Erleben erfahren, wie ent­fer­nt die weltweite Erfül­lung dieser Hoff­nung ist. Kriege, Krisen, Kon­flik­te, Flüchtlings­dra­men, Ter­ro­ran­schläge, oft motiviert von poli­tis­chen oder religiösen Wah­n­vorstel­lun­gen, beherrschen die Schlagzeilen.

Danken, Beten und Busse tun genügt nicht

Uns in der Schweiz, im Kan­ton Aar­gau geht es – trotz dieses düsteren Welt­bildes – im Ver­gle­ich zu vie­len andern Regio­nen und Orten auf der Welt gut, ja sehr gut. Zwar gibt es auch bei uns schwierige Prob­leme zu lösen, grosse Her­aus­forderun­gen zu meis­tern. Und auch unter uns leben Men­schen, die mit Armut und Schick­salss­chlä­gen zu kämpfen haben. Alles in allem haben wir aber guten Grund, im Sinne des heuti­gen Fest­tags, des eid­genös­sis­chen Dank‑, Buss- und Bet­tags, Dankbarkeit und Demut zu zeigen.Danken, Beten und Busse tun an einem einzi­gen Feiertag im Jahr – dies alleine genügt nicht. Unsere priv­i­legierte Sit­u­a­tion verpflichtet zu mehr. Es liegt zwar nicht in der Macht der kleinen Schweiz, im Allein­gang die grosse Welt zu verbessern und zu ret­ten. Um auf glob­alere Ebene etwas zu bewirken, müssen wir uns in gren­züber­schre­i­t­ende, inter­na­tionale Pro­gramm und Ini­tia­tiv­en ein­brin­gen.

Es braucht Konsens- und Kompromissbereitschaft

Wir kön­nen aber mit unserem Tun und Lassen im eige­nen Land, in der eige­nen Region, in der eige­nen Gemeinde und vor allem auch im eige­nen Heim dafür sor­gen, dass unsere Welt dort, wo sie es bere­its ist, gut bleibt, und dort wo sie es noch wer­den kann, bess­er wird. Sei es durch ver­ant­wor­tungsvollen Umgang mit der Natur, scho­nen­den Ressourcenver­brauch, Sol­i­dar­ität mit schwächeren und benachteiligten Gliedern der Gesellschaft oder Tol­er­anz gegenüber Mit­men­schen, die anders denken, fühlen oder sind als wir sel­ber.Unser Woh­lerge­hen, unsere Erfolge beruhen auf einem gesellschaftlich-poli­tis­chen Grund­kon­sens. Trotz aller Mei­n­ungsver­schieden­heit­en, unter­schiedlichen Weltan­schau­un­gen oder umstrit­te­nen Glaubens­fra­gen – solange es uns allen immer etwas bess­er geht oder zumin­d­est nicht schlechter, ver­mag sich unser Land, ver­mag sich unser Kan­ton pos­i­tiv weit­erzuen­twick­eln. Dazu braucht es vor allem auch Kon­sens- und Kom­pro­miss­bere­itschaft, sei es im täglichen Zusam­men­leben oder in der Poli­tik.

Populismus führt zu Rissen in der Gesellschaft

Gemein­same Werte wie Sol­i­dar­ität, Näch­sten­liebe, Anteil­nahme und Rück­sicht­nahme, aber auch Frei­heit, Unab­hängigkeit und Eigen­ver­ant­wor­tung bilden die Klam­mer, die den gesellschaftlich-poli­tis­chen Grund­kon­sens erst ermöglicht und Kan­tone, Kom­munen oder Kirchge­mein­den zu Wertege­mein­schaften macht. Diese funk­tion­ieren so lange gut, wie die Werte beachtet und geachtet wer­den.Lei­der ist seit eini­gen Jahren eine unheil­volle Entwick­lung zu beobacht­en, dass einst selb­stver­ständliche Grundw­erte aus ego­is­tis­chen, pop­ulis­tis­chen und andern Grün­den in Frage gestellt, lächer­lich gemacht, mar­gin­al­isiert oder gar negiert wer­den. Diese Ten­denz ist gefährlich, weil sie – ger­ade in Zeit­en der Verun­sicherung und Ori­en­tierungslosigkeit – zu Ris­sen in Gesellschaft und Gemein­schaften führen kann.

Bettag wurzelt in Zeit der Zerrissenheit

Was das für ein Land und vor allem die Men­schen, die in diesem leben, bedeuten kann, erfuhren unsere Vor­fahren Mitte des 19. Jahrhun­derts. Der Grün­dung des schweiz­erischen Bun­desstaats im Jahr 1848 war der teil­weise poli­tisch, teil­weise religiös begrün­dete Son­der­bund­skrieg, ein Bürg­erkrieg, voraus­ge­gan­gen. Der Eid­genös­sis­che Dank‑, Buss- und Bet­tag wurde in dieser von Zer­ris­senheit und Span­nun­gen geprägten Zeit zum Tag erk­lärt, der von allen Lagern und Kon­fes­sio­nen gemein­sam gefeiert wer­den kon­nte. Dies auch mit dem Ziel, den Respekt vor poli­tisch und konfessio­nell Ander­s­denk­enden zu fördern.Der heutige Dank‑, Buss- und Bet­tag ist also bestens dazu geeignet, sich gemein­sam auf den Wert der Werte für unsere Gesellschaft, unser Zusam­men­leben, unseren Erfolg und Wohl­stand zu besin­nen. Der Regierungsrat dankt allen Men­schen und Insti­tu­tio­nen im Aar­gau, die sich mit pri­vatem oder öffentlichem Engage­ment für das Funk­tion­ieren unser­er Wertege­mein­schaften ein­set­zen – und so dafür sor­gen, dass unsere Welt dort, wo sie es bere­its ist, gut bleibt, und dort wo sie es noch wer­den kann, bess­er wird.
Andreas C. Müller
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