Unterwegs in der multikulturellen Schweiz

Unterwegs in der multikulturellen Schweiz

Die Essenz dessen, was für ihn Heimat aus­macht, entwick­elte sich nicht zulet­zt durch die Arbeit an den 16 Reden, die Peter Wertli in seinem Leben zum 1. August gehal­ten hat. Das Faz­it des langjähri­gen Regierungsrats des Kan­tons Aar­gau: Heimat ist eng gekop­pelt an Frei­heit und Ver­ant­wor­tung. Aufgewach­sen ist Peter Wertli zusam­men mit zwei älteren Schwest­ern und einem jün­geren Brud­er in Aarau. Dort hat er die Schulen besucht, war in der Pfa­di, als Min­is­trant und später im Mil­itär­di­enst aktiv. «Stadt und Gassen sind mir ver­traut», schmun­zelt der 73-Jährige, der bis heute viele Fre­und­schaften aus der Jugendzeit pflegt. Nach dem Studi­um der Rechtswis­senschaften an der Uni­ver­sität Zürich kam er als Gerichtss­chreiber ans Bezirks­gericht Brem­garten und ver­heiratete sich 1971 mit der Brem­gar­terin Irène Aeschli­mann. Bald wur­den sie Eltern von Michael und Philipp und baut­en in Zufikon das erste Eigen­heim. «Noch heute bin ich jedes Jahr am Zufik­er Wal­dum­gang dabei.» Peter Wertli wurde Präsi­dent am Bezirks­gericht Brem­garten, 1984 Aar­gauis­ch­er Ober­richter und 1988 in den Regierungsrat des Kan­tons Aar­gau gewählt. «Vor dieser Zeit war mir der Raum Aarau und das Freiamt ver­traut. Als Regierungsrat und vor allem als dreima­liger Lan­dammann lernte ich auch die anderen Regio­nen des Kan­tons bess­er ken­nen. Dies emp­fand ich als wertvoll und bere­ich­ernd», so der Leut­selige. «Heimat ist für mich da, wo ich mich wohl und gebor­gen füh­le», wird Peter Wertli konkret. Er sagt aber auch Sätze wie: «Heimat ist nicht ein­fach, sie muss wer­den und kann wach­sen» oder «Heimat ist da, wo ich Ver­trauen und innere Frei­heit spüre.»

Freiheit ist keine Worthülse

«Doch es reicht nicht, Frei­heit zu haben. Vielmehr sind wir aufgerufen, sie bewusst und aktiv zu leben. Frei­heit stirbt an der Gle­ichgültigkeit.» Solche Aus­sagen sind für Peter Wertli keine Worthülsen, son­dern Erfahrung. Schon als Bub erlebte er, wie seine Mut­ter, die als Lehrerin tätig war, sich ins­beson­dere der Aus­län­derkinder annahm und sich dafür ein­set­zte, dass deren Väter Arbeit fan­den, dass die frem­den Fam­i­lien Ver­trauen zu den Ein­heimis­chen fassen kon­nten. Stark knüpfte Peter Wertli während sein­er Zeit am Bezirks­gericht Brem­garten an dieser müt­ter­lichen Ein­stel­lung an und nahm Men­schen jeglich­er Art stets als Per­son und Per­sön­lichkeit wahr. «Schliesslich ist der Einzelne nur frei in dem Masse, als auch die Anderen frei sind», ist er überzeugt.

Grösse heisst Verantwortung

Heimat – Frei­heit – Ver­ant­wor­tung. Zum let­zten Wort im Dreik­lang meint Peter Wertli: «Frei­heit ist untrennbar gekop­pelt mit Ver­ant­wor­tung gegenüber Men­sch, Gemein­schaft und Umwelt. Nur wer diese Ver­ant­wor­tung wahrn­immt, kann überzeu­gend Frei­heit für sich beanspruchen.» Auch hier hält Peter Wertli, was er ver­spricht. Seine Vita bein­hal­tet eine reiche Auswahl an ehe­ma­li­gen und aktuellen neben­beru­flichen Tätigkeit­en – vom Schulpflegemit­glied über Ver­wal­tungsrats­man­date bis hin zu Prä­si­di­en von Vere­inen und Stiftun­gen im kul­turellen und sozialen Bere­ich. Zum Aus­gle­ich set­zt er sich gerne aufs E‑Bike und radelt um den Zugersee, geht wan­dern oder gön­nt sich ein gutes Buch.

Vom Exotischen

Gibt es denn im Leben eines so heimatver­bun­de­nen Men­schen wie Peter Wertli über­haupt Exotik? «Das Gefühl von Fremd­sein im engeren Sinn, von beängsti­gen­der Fremd­heit habe ich tat­säch­lich nie erlebt», beken­nt er. «Höch­stens wo Sprach­bar­ri­eren beste­hen, komme ich mir im ersten Moment etwas ver­loren vor.» Darum bevorzugt er beispiel­sweise in Län­dern, deren Sprache er nicht ver­ste­ht, geführte Reisen. Im zweit­en Anlauf jedoch kann Peter Wertli auf seine Kon­tak­t­freudigkeit ver­trauen. «2013 hielt ich meine let­zte 1. August-Rede und stellte jene Men­schen ins Zen­trum, die bei uns Zuflucht suchen. Ich bin der Mei­n­ung, dass wir nicht alle bei uns aufnehmen kön­nen. Aber wir kön­nen allen so respek­tvoll begeg­nen, dass ihnen in fremder Umge­bung wohler ist. Es muss uns ein Anliegen sein, auch für andere Heimat zu schaf­fen.» Überdies befrem­den Peter Wertli Men­schen aus der Ferne bedeu­tend weniger als etwa die schwindende Tol­er­anz und der immer aggres­si­vere Umgang inner­halb unser­er Gesellschaft: «Frei­heit ver­langt nach Aus­ge­wogen­heit zwis­chen Indi­vid­u­al­is­mus und Gemeinsinn.»

Wurzeln im Glauben

Gemeinsinn ist ein gutes Stich­wort, um den Aspekt Glauben ins Gespräch mit Peter Wertli zu brin­gen. «Unser Eltern­haus war sehr gläu­big und so bin ich von Kinds­beinen an mit der Reli­gion ver­bun­den.» Die Reli­gion kann sein­er Mei­n­ung nach dazu beitra­gen, dass man sich in Wertvorstel­lun­gen behei­matet fühlt, die einem entsprechen. Peter Wertli, der sich noch immer regelmäs­sig mit Wegge­fährten zum «Mil­itär-Jass» und zum «Pfar­rher­ren-Jass» trifft, hadert dur­chaus mit den teils sehr kon­ser­v­a­tiv­en Ele­menten der römisch-katholis­chen Kirche, ist aber gle­ich­wohl überzeugt: «Viele haben diese religiös ver­ankerten Wertvorstel­lun­gen ver­loren. Sie leben ober­fläch­lich, nicht mehr ver­wurzelt. Doch genau diese Ver­wurzelung gibt Halt und hil­ft, dass es einem nicht bei jedem Wind­stoss gle­ich aus der Bahn wirft.»
Andreas C. Müller
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