Nur Machtmissbrauch ist «böse»

Nur Machtmissbrauch ist «böse»

Welchen Vorteil hat das duale Sys­tem gegenüber anderen Struk­tur­for­men der Kirche, wie es sie ausser­halb der Schweiz gibt?
Markus Thürig: Der alte römis­che Rechts­grund­satz «Was alle ange­ht, muss von allen gebil­ligt wer­den», kann bess­er erfüllt wer­den. Dem paulin­is­chen Bild von der Kirche als Leib Christi und den Gliedern, die ihre jew­eilige Ver­ant­wor­tung tra­gen, wird nachgelebt. Schliesslich entspricht das auch der Schweiz­er Kul­tur.

Serie zum dualen System

Alle Artikel, die sich mit den Vor- und Nachteilen des dualen Sys­tems der katholis­chen Kirche in der Schweiz befassen, find­en Sie am Ende dieses Artikels oder hier.

Welche Nachteile bringt dieses Sys­tem aus Sicht der Bis­tum­sleitung mit sich?
Wo mehr beteiligte Per­so­n­en han­deln, wird der Ein­fluss von deren Stärken und Schwächen gröss­er. Eigene Inter­essen, Vorurteile, Ken­nt­nisse, Charak­tereigen­schaften prä­gen Gespräche und lassen sie gelin­gen oder scheit­ern. Das duale Sys­tem stellt hohe Anforderun­gen an gegen­seit­iges Wohlwollen, vere­in­barte Ziele und offene Kom­mu­nika­tion, damit alle wis­sen, was sie wis­sen müssen.

Durch die staatskirchen­rechtliche Ver­wal­tung der Kirchen­s­teuergelder ist die Kirche bei vie­len Geschäften und Entschei­den abhängig vom guten Willen ein­er säku­laren Behörde. Wie sin­nvoll ist das, respek­tive wie beurteilen Sie dieses Machtver­hält­nis?
Staatskirchen­rechtliche Gremien sind keine säku­laren Behör­den. Ihre Mit­glieder sind Getaufte, Glieder der Kirche, die sich für das Leben der christlichen Gemein­den ein­set­zen. Für ein frucht­bares Zusam­men­spiel braucht es bei­d­seit­ig das notwendi­ge Wis­sen und Kön­nen, Lern­bere­itschaft und die Liebe zur Kirche.

Macht die Kirche in Bezug auf das duale Sys­tem ein­fach gute Miene zum bösen Spiel, weil durch dieses Sys­tem doch anständi­ge Löhne und angenehme Arbeits­be­din­gun­gen ermöglicht wer­den – bis hin­auf ins Ordi­nar­i­at in Solothurn?
Den Frauen und Män­nern, die in staatskirchen­rechtlichen Gremien arbeit­en, «bös­es Spiel» zu unter­stellen, weise ich zurück. Sie sind, wie ich auch, darum bemüht, ihre Auf­gaben zum Wohl der kirch­lichen Gemein­schaft zu erfüllen. Dabei kön­nen wir uns reiben, uns in unser­er Zuständigkeit über­gan­gen empfind­en oder in unser­er Absicht missver­standen. «Böse» wird es, wenn einzelne ihre Macht miss­brauchen, Kon­fronta­tion suchen oder andere Mei­n­un­gen klein machen.

Der Bischof hat zwar die Ernen­nungs­ge­walt, erteilt die Mis­sio, aber wenn eine Kirchge­meinde sich gegen einen Priester/Seelsorger entschei­det oder einen anderen anstellen will, dann kann sie, Kraft ihrer Mit­tel, auch gegen den Willen des Bischofs han­deln. Sind solche Kämpfe durch das duale Sys­tem nicht vor­pro­gram­miert?
Auch hier: Wo es zum «Kampf» kommt, ist schon Vieles schief gelaufen, das man nicht dem dualen Sys­tem anlas­ten darf. Men­schen kämpfen gegeneinan­der, nicht Sys­teme. In der Regel akzep­tieren die Anstel­lungs­be­hör­den, dass der Bischof Seel­sorg­erin­nen und Seel­sorg­er ein­set­zt, und umgekehrt akzep­tieren Seel­sorg­erin­nen und Seel­sorg­er, dass die bis­chöfliche Beauf­tra­gung ihnen ihre Sendung gibt.

Wie lassen sich solche Kämpfe ver­hin­dern, wie sie zum Beispiel im Wasser­schloss oder in Bad Zurzach ent­standen sind?
Indem die han­del­nden Per­so­n­en das Selb­stver­ständ­nis der römisch-katholis­chen Kirche ver­ste­hen und mit­tra­gen. Das Zweite Vatikanis­che Konzil erk­lärt in Artikel 8 der dog­ma­tis­chen Kon­sti­tu­tion über die Kirche «Lumen gen­tium»: «Die mit hier­ar­chis­chen Orga­nen aus­ges­tat­tete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sicht­bare Ver­samm­lung und die geistliche Gemein­schaft sind nicht als zwei ver­schiedene Grössen zu betra­cht­en, son­dern bilden eine einzige kom­plexe Wirk­lichkeit, die aus men­schlichem und göt­tlichem Ele­ment zusam­men­wächst.» Die sakra­men­tal-göt­tliche und die ver­fasst-weltliche Seite der Kirche sind zusam­men­zuhal­ten, son­st kommt es zu Schiefla­gen. Und dazu: Reife Men­schen in Leitungsauf­gaben kön­nen mit Span­nun­gen ver­söhn­lich­er umge­hen.

In unser­er durch und durch säku­lar­isierten Welt hat das Wort eines Bischofs offen­sichtlich kaum mehr Gewicht. Wird der Bischof, wer­den die Priester durch das duale Sys­tem nicht noch mehr vorge­führt als willfährige Popanze und Rit­u­algestal­ter im Auf­trag der alles steuern­den Finanzho­heit, während sie sich in allen poli­tis­chen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fra­gen gefäl­ligst ruhig zu hal­ten haben?
Die Ökonomisierung aller Lebens­bere­iche kann auch das kirch­liche Leben tre­f­fen. Jesus Chris­tus hat sein­er Jüngerge­mein­schaft mit auf den Weg gegeben, dass sie in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt sei. Das Wort des Evan­geli­ums rückt immer wieder zurecht und motiviert zum selb­st­losen Wort. Alle Mär­tyrerin­nen und Mär­tyr­er der Kirche bezeu­gen die Frei­heit, die Chris­ten­men­schen erfüllen kann.

Im Fall von Bad Zurzach hat die staatskirchen­rechtliche Seite offen­sichtlich dem Priester seine pas­toralen Kom­pe­ten­zen stre­it­ig gemacht. Wie kann sich die Kirche gegen solche Über­griffe wehren?
Die Ein­führung von Leitungsper­so­n­en in ihre jew­eili­gen Auf­gaben, Zuständigkeit­en und Ver­ant­wor­tun­gen bildet das Fun­da­ment. Diese Schu­lung übern­immt das Bis­tum für die Leitungsper­so­n­en in der Pas­toral. Die kan­tonalen staatskirchen­rechtlichen Kör­per­schaften schulen neue Behör­den­mit­glieder. Regelmäs­sig führen falsche Erwartun­gen, ein über­höht­es Selb­stver­ständ­nis oder ein zu umfassendes Ver­ant­wor­tungs­ge­fühl zu Auseinan­der­set­zun­gen zwis­chen Leitungsper­so­n­en.

Die staatskirchen­rechtliche Seite des Sys­tems hat sich im Ver­laufe der ver­gan­genen 150 Jahre zu einem Ver­wal­tungsap­pa­rat aufge­baut, der einen erhe­blichen Teil der Kirchen­s­teuern ver­schlingt. Wäre es nicht sin­nvoller, wenn die Kirche als Gemein­schaft der Gläu­bi­gen diese Gelder direkt erhielte, um sie da einzuset­zen, wo sie gebraucht wer­den?
Die Ver­wal­tung der Kirche ist effizient und entspricht der föderalen Struk­tur der Schweiz und dem Prinzip der Sub­sidiar­ität. Lohntabellen sind generell ein heik­les The­ma. Schon als Pfar­rer habe ich mich gefragt, warum staatskirchen­rechtliche Gremien für jede Sitzungsstunde hon­ori­ert wer­den, pas­torale Gremien aber frei­willig tagen. Wenn die finanziellen Mit­tel weniger wer­den, wird sich zeigen, ob eine gerechte und angemessene Mit­telverteilung obsiegt.

Papst Franziskus redet immer wieder der «armen Kirche» das Wort. Wäre die Aufhe­bung des dualen Sys­tems nicht ein Schritt in diese Rich­tung? Die Kirche würde dann von denen getra­gen, die sich wahrhaftig für sie ein­set­zen und sie mit­tra­gen wollen. Der ganze Über­bau würde weg­fall­en und die Kirche würde wieder da stat­tfind­en, wo sich die Gläu­bi­gen ver­sam­meln, die Gemein­schaft pfle­gen, füreinan­der da sind, dem Wort Gottes lauschen und Tis­chge­mein­schaft hal­ten.
Gegen den Vor­wurf, sie wür­den bloss einen Über­bau zu ihren Gun­sten am Leben erhal­ten, vertei­di­ge ich die Getauften, die sich heute in unser­er Kirche engagieren. Was wäre gewon­nen, wenn die Schweiz­er Bevölkerung drei Vier­tel ihres Ver­mö­gens und ihrer Einkün­fte ver­schenken würde, um ein­fach arm zu sein? Es sind nicht die finanziellen Mit­tel an sich, welche die Kirche arm oder reich machen. Das, was die Kirche mit diesen Mit­teln bewirkt, das macht sie arm oder reich. Das bleibt eine Her­aus­forderung, ein Anspruch.

Wie sähe für Sie, den Gen­er­alvikar des Bis­tums Basel, die per­fek­te Kirchen­struk­tur der römisch-katholis­chen Kirche aus?
Ich hoffe, es wird nie eine per­fek­te Organ­i­sa­tion geben, denn Per­fekt ist eine Zeit­form der Ver­gan­gen­heit, einem Organ­is­mus wie der Kirche wün­sche ich Gegen­wart und Zukun­ft. Was der Verkündi­gung des Evan­geli­ums dient, ist willkom­men. Was das Leben für viele Men­schen lebenswert macht, ist willkom­men. Was uns hil­ft, Jesu Christi Heil­swerk für alle Men­schen für wahr zu hal­ten und dankbar anzunehmen, ist willkom­men.


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Christian Breitschmid
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