Ist Krise immer eine Chance? Ein erstes Fazit zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs
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Ist Krise immer eine Chance? Ein erstes Fazit zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs

Medienmitteilung der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ)

Was braucht es, um die Krise rund um die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche zu bewältigen? Der nationale Vernetzungsanlass der RKZ griff das wohl brennendste Thema der Kirche auf und setzte bewusst auf die Reflexion unter den Teilnehmenden und den Dialog: auf den Dialog zwischen zwei krisenerfahrenen Fachpersonen und den Dialog zwischen den über 100 anwesenden Gästen. Dabei wurde klar: Erst wenn sich alle in der Kirche Engagierten die Krise eingestehen, kann sie bewältigt werden. Und aus der Krise gelangt die Kirche nur, wenn alle in ihrem Wirkungsbereich das Mögliche tun.

«Wer aus ein­er Krise her­auskom­men will, muss zulassen, an den Tief­punkt zu gelan­gen. Das hal­ten viele nicht aus. Die Frage ist: Hat diese Erschüt­terung in der Kirche schon alle erre­icht?» Kathrin Hilber, Medi­a­torin und ehe­ma­lige Regierungsrätin des Kan­tons St.Gallen, brachte damit schon zu Beginn eine Kern­frage auf den Tisch. Im Dia­log mit Iwan Rick­en­bach­er, Unternehmens- und Polit­ber­ater, erläuterte sie die wesentlichen Schritte ein­er Krisen­be­wäl­ti­gung. Die Erschüt­terung – das wurde im weit­eren Ver­lauf des Abends von den anwe­senden Entschei­dungsträgerin­nen und Entschei­dungsträgern ganz unter­schiedlich­er Ebe­nen bestätigt – ist offen­sichtlich noch nicht gross genug. Zu oft wird nach wie vor bagatel­lisiert oder weggewis­cht, zu oft an Betrof­fe­nen vor­bei gehan­delt oder geschwiegen.

Ein wichtiger Anfang ist jedoch gemacht, betonte Iwan Rick­en­bach­er: «Mit ihrer ersten Studie haben SBK, RKZ und KOVOS 2023 eine Basis geschaf­fen, damit fak­tenori­en­tiert disku­tiert wer­den kann. Dieser Ver­such war weg­weisend.» Denn Krise wird nur zur Chance, da waren die bei­den Experten sich einig, wenn alle den Mut haben, sie zu benen­nen und Ver­ant­wor­tung zu übernehmen.

Wer führt in der Krise? Verantwortung als Schlüssel

Sowohl im Dia­log zwis­chen Kathrin Hilber und Iwan Rick­en­bach­er als auch in den Tis­chge­sprächen der Teil­nehmenden wurde eine weit­ere Frage kon­tro­vers disku­tiert. Wer führt eigentlich durch diese Krise? Zwar wird vieles ange­gan­gen, Struk­turen wer­den hin­ter­fragt, Net­zw­erke geschaf­fen und Stellen pro­fes­sion­al­isiert. Doch wurde auch der Kul­tur­wan­del in Gang geset­zt, zu dem sich SBK, RKZ und KOVOS im Sep­tem­ber 2023 als eben­so wesentlichen Schritt bekan­nt haben?

«Bei der Führungs­frage gelan­gen wir zu einem The­ma, das nicht ein­fach zu beant­worten ist in der katholis­chen Kirche. In der Schweiz haben wir im Gegen­satz zur Weltkirche dank des dualen Sys­tems eine Tra­di­tion der gemein­samen Ver­ant­wor­tung an der Basis» stellte Iwan Rick­en­bach­er fest. Und Kathrin Hilber ergänzte: «Das Sys­tem ist gut gedacht, aber nicht immer gut gemacht. Es kann Führung ermöglichen, sie aber auch block­ieren.»

«Die Kirche muss unbe­queme Gedanken zulassen, und es braucht mutige Leute, die vor­ange­hen. Das passiert wahrschein­lich eher von unten nach oben als von oben nach unten», so Kathrin Hilber. Gle­ich­wohl sei es in jed­er Krise unab­d­ing­bar, dass das ober­ste Führungs­gremi­um den Dia­log führe, hin­ste­he und sicht­bar sei. Die Bischof­skon­ferenz könne die Chance ergreifen, einen par­tizipa­tiv­en Weg zu definieren und aufzuzeigen, was erneuert wird.

Vom «man» zum «wir» – es sind alle gefordert

Mit ihrem nationalen Anlass brachte die RKZ Ver­ant­wor­tungsträgerin­nen und ‑träger der Kirche aus ganz unter­schiedlichen Bere­ichen zusam­men und bot ihnen eine Plat­tform, um – erneut – über das The­ma Miss­brauch ins Gespräch zu kom­men. «Wir laden nicht zu ein­er intellek­tuellen Übung ein. Unsere Frage ste­ht im Zen­trum der Real­ität, die wir in der römisch-katholis­chen Kirche in der Schweiz derzeit erleben. Wir müssen uns heute Abend nicht an, Bewäl­ti­gungsstrate­gien aufzuzeigen, son­dern wollen zum gemein­samen Nach­denken anre­gen», unter­strich RKZ-Präsi­dent Roland Loos. Die Frage «Ist Krise immer eine Chance?» mochte zunächst pro­voka­tiv wirken, zumal die Debat­ten um den Miss­brauch zer­störerisch scheinen. Zugle­ich weist die Frage darauf hin, dass ger­ade mit dieser Krise eine Chance oder gar eine Pflicht zum Ler­nen ein­herge­ht. Für diesen Lern­prozess sind alle gefordert, auf ihrer Ebene zu han­deln und die Ver­ant­wor­tung nicht nach oben zu delegieren, das ging bere­its aus den Ein­gangsvoten der bei­den Krisen­ex­perten deut­lich her­vor. Der Aus­tausch zwis­chen den Teil­nehmenden machte – trotz allen offe­nen Fra­gen – Mut, wie Marie-Louise Beyel­er, Vize-Präsi­dentin der RKZ, in ihrem Faz­it for­mulierte: «Wir alle, die wir in der Kirche arbeit­en, stellen auch heute fest: Es stimmt nicht, dass nichts passiert. Es sind Leute mit Aus­dauer, Mut und Elan dran. Vieles wird an die Hand genom­men, Energie und Geld investiert. Wir sind aufgerufen, nicht darauf zu hof­fen, dass das Schlimm­ste vor­bei sei. Es ist und bleibt schwierig. Doch der Zusam­men­halt so viel­er Men­schen macht Mut dranzubleiben und etwas zu tun, auch wenn wir manch­mal noch nicht wis­sen was.»

Weit­ere Auskün­fte erteilt Urs Brosi, Gen­er­alsekretär der RKZ
Tel. 044 266 12 01, E‑Mail:

Quelle: Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ)

Redaktion Lichtblick
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