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Eine filmÂreiÂfe Familie
Die Heilige Familie ist ein beliebtes Filmmotiv – längst nicht nur in Bibelfilmen. Und eine «Idealvorstellung mit hohem Irritationspotenzial», sagt Religionswissenschaftlerin Natalie Fritz.
Am 24. DezemÂber läuft der Film «Es geschah aber zu jener Zeit…». Sind Maria, Joseph und Jesus in dieÂsem Film eine typiÂsche HeiÂliÂge FamiÂlie?
NataÂlie Fritz: EigentÂlich fokusÂsiert dieÂser Film in erster ÂLinie auf die BezieÂhung von Maria und Joseph, die verÂständÂliÂcherÂweiÂse nicht ganz einÂfach war: SchliessÂlich war Maria Joseph verÂsproÂchen und wurÂde ohne sein Zutun schwanÂger – eine TatÂsaÂche, die für ihn wohl schwer zu verÂdauÂen war und am Ruf der EheÂleuÂte in spe kratzÂte. Erst eine VierÂtelÂstunÂde vor FilÂmenÂde entÂbinÂdet Joseph einen blitzÂsaubeÂren Jesus. Es stellt sich also die FraÂge, ob Maria und Joseph auch mit dem ungeÂboÂreÂnen Jesus bereits als FamiÂlie gelÂten. Muss Jesus geboÂren sein, um dieÂse speÂziÂelÂle FamiÂlie zu vervollständigen?
Muss er das?
In der christÂliÂchen BildÂtraÂdiÂtiÂon werÂden hauptÂsächÂlich dieÂjeÂniÂgen DarÂstelÂlunÂgen als HeiÂliÂge FamiÂlie bezeichÂnet, die alle drei FiguÂren bezieÂhungsÂweiÂse sogar alle vier FiguÂren – inkluÂsiÂve GottÂvaÂter – zeiÂgen. InsoÂfern würÂde ich sagen, dass der Film in der letzÂten VierÂtelÂstunÂde die gänÂgiÂge IkoÂnoÂgraÂfie aufÂnimmt, die wir von GemälÂden, FilÂmen, KripÂpen und andeÂren mediaÂlen UmsetÂzunÂgen kennen.
Der histoÂriÂsche FilmÂtipp: «Es begab sich aber zu der Zeit …»
Am 24. DezemÂber um 17.30 Uhr und am 25. DezemÂber um 09.05 Uhr strahlt SRF 2 den Film über die GeschichÂte MariÂas aus, der erzählt wie ein einÂfaÂches jüdiÂsches MädÂchen zur MutÂter GotÂtes wurde.
Ein Jahr im Leben der Maria von NazaÂreth, das mit der Geburt ihres SohÂnes Jesus und der Flucht nach ÄgypÂten schliesst. Mit dieÂser WeihÂnachtsÂgeÂschichÂte im histoÂriÂsieÂrenÂden Stil bringt Fox-WarÂÂner einen expliÂzit reliÂgiöÂsen Film ins Kino. Die konÂvenÂtioÂnelÂle BibelÂverÂfilÂmung überÂzeugt durch die glaubÂwürÂdiÂge InszeÂnieÂrung eines EntÂwickÂlungsÂdraÂmas. Maria und Josef werÂden als junÂges Paar gezeigt, das sich im KonÂflikt mit FamiÂlie und DorfÂgeÂmeinÂschaft zu einem gemeinÂsaÂmen LebensÂweg durchÂringt. Ein GlücksÂfall ist KeiÂsha CastÂÂle-HugÂhes, die der Maria ein authenÂtiÂsches Gesicht gibt. Der VerÂsuch, die MariÂenÂfiÂgur aus der IkoÂnoÂgraÂphie der GotÂtesÂmutÂter zu lösen und ihr einen «Sitz im Leben» zu geben ist deutÂlich sichtbar.
BibelÂtheoÂloÂgisch komÂbiÂniert der Film die ErzähÂlunÂgen von Lukas und MatÂthäÂus mit der MesÂÂsiÂas-ProÂÂpheÂÂzeiÂung bei JereÂmiÂas. Auch wenn die EngelÂdarÂstelÂlung und die KripÂpenÂszeÂne sehr staÂtisch wirÂken, so ist der Film doch ein BeiÂtrag zur AdventsÂbeÂsinÂnung im Kino. Vor allem der erste Teil über das Leben in NazaÂreth unter der HerrÂschaft von HeroÂdes bringt spanÂnenÂde und kenntÂnisÂreiÂche Details aus dem Leben der BauÂern und HandÂwerÂker in PaläÂstiÂna zur Zeit von Jesu Geburt. BesonÂders die BegegÂnung mit den FrauÂen dieÂser Zeit ist aufÂfalÂlend: Anna, die MutÂter von Maria, ihre CouÂsiÂne EliÂsaÂbeth und eine jüdiÂsche LehÂreÂrin im Dorf mit Namen Ruth sind AnsätÂze eines FrauÂenÂbilÂdes, das zwar nicht revoÂluÂtioÂnär, aber für einen MainÂÂstream-Film doch bemerÂkensÂwert ist.
«The NatiÂviÂty StoÂry» («Es begab sich aber zu der Zeit …»), USA 2006; Regie: CatheÂriÂne HardÂwicke; BesetÂzung: KeiÂsha CastÂÂle-HugÂhes, Shohreh AghÂdaÂshÂloo, Oscar Isaac;
Charles MarÂtig (Der Autor war damals FilmÂbeÂaufÂtragÂter des kathoÂliÂschen MediÂenÂdienÂstes ​und arbeiÂtet heuÂte als LeiÂter AufÂbau KomÂpeÂtenzÂzenÂtrum der BerÂner Landeskirche)

Wie wird die HeiÂliÂge FamiÂlie in FilÂmen inszeÂniert?
In klasÂsiÂschen BibelÂfilÂmen, die sich mehr oder weniÂger auf die kanoÂniÂschen TexÂte bezieÂhen, wird die Geburt des KinÂdes und dann Jesu HanÂdeln ins ZenÂtrum gestellt. Das ist insoÂfern sinnÂvoll, weil im NeuÂen TestaÂment sehr wenig über die famiÂliäÂren VerÂhältÂnisÂse Jesu berichÂtet wird. «Es geschah aber zu jener Zeit …» bezieht sich wohl ebenÂfalls auf apoÂkryÂphe SchrifÂten, TextÂstelÂlen aus dem Alten TestaÂment und HeiÂliÂgenÂleÂgenÂden, die verÂsuÂchen, dieÂse Lücken zu fülÂlen. Das hat seiÂnen Reiz, weil man so die blinÂden Flecken belieÂbig ausÂschmücken und den Stoff adapÂtieÂren kann.
Und abgeÂseÂhen von den BibelÂfilÂmen?
Es ist fasÂziÂnieÂrend, wie geraÂde auch zeitÂgenössische SpielÂfilÂme, die verÂmeintÂlich gar nichts mit ReliÂgiÂon oder der HeiÂliÂgen FamiÂlie zu tun haben, sich an dieÂsem IdeÂal abarÂbeiÂten, es hinÂterÂfraÂgen oder neu definieren.
Im wahÂren Leben sind FamiÂliÂen nie ideÂal.
DarÂum befasst sich das ArtÂhouseÂkiÂno gern mit den BrüÂchen in den FamiÂliÂen. Denn wie Albrecht KoschorÂke in seiÂnem Buch «Die HeiÂliÂge FamiÂlie und ihre FolÂgen» richÂtig anmerkt, ist die HeiÂliÂge FamiÂlie in ihren GrundÂlaÂgen unnachÂahmÂlich und «ausÂserÂweltÂlich». Und wenn man es genau nimmt, ist sie ja eigentÂlich eine Ur-PatchÂworkÂfaÂmiÂlie mit PfleÂgeÂvaÂter und Âeinem Sohn, der für sich selbst ein Leben in GemeinÂschaft mit seiÂnen NachÂfolÂgeÂrinÂnen und NachÂfolÂgern einer KernÂfaÂmiÂlie vorÂzieht – ein gefunÂdeÂnes FresÂsen für Filmschaffende!
Seit wann gibt es das Motiv der HeiÂliÂgen FamiÂlie? Und wie ist es entÂstanÂden?
Im ausÂgeÂhenÂden MitÂtelÂalÂter interÂesÂsierÂte man sich zunehÂmend für die menschÂliÂchen SeiÂte von Jesus und für seiÂne AbstamÂmung. Die GrundÂlaÂge für die IkoÂnoÂgraÂfie zur HeiÂliÂgen FamiÂlie bilÂdeÂten schriftÂliÂche VorÂlaÂgen: die LegenÂda aurea des ChroÂniÂsten JacoÂbus de VorÂaÂgiÂne oder die ProÂtevanÂgeÂliÂen von JakoÂbus und ThoÂmas. Stand in der BilÂdenÂden Kunst bis dahin Maria mit Kind im ZenÂtrum, begann ab MitÂte des 16. JahrÂhunÂderts der AufÂschwung der HeiÂliÂgen FamiÂlie als TugendÂvorÂbild – und zwar im kathoÂliÂschen wie auch im proÂteÂstanÂtiÂschen Bereich. Die DarÂstelÂlunÂgen dienÂten den KirÂchen als konÂkreÂte HilfsÂmitÂtel, um die GläuÂbiÂgen auf ihre PflichÂten und RolÂlen im AllÂtag einÂzuÂschwöÂren. Sie sollÂten die GläuÂbiÂgen darÂan erinÂnern, dass sie in der NachÂfolÂge dieÂser heiÂliÂgen GemeinÂschaft leben und der FamiÂlie entÂspreÂchend SorÂge traÂgen sollen.
Die liebÂsten ​(HeiÂliÂge) FamiÂÂliÂen-FilÂÂme ​von NataÂlie Fritz
NataÂlie Fritz ist ReliÂgiÂonsÂwisÂsenÂschaftÂleÂrin und hat zum Motiv der HeiÂliÂgen FamiÂlie im zeitÂgeÂnösÂsiÂschen ArtÂhouÂse-Kino proÂmoÂviert. Ihre DisÂserÂtaÂtiÂon ist unter dem Titel: «Von RabenÂväÂtern und ÃœberÂmütÂtern. Das reliÂgiÂonsÂhiÂstoÂriÂsche Motiv der heiÂliÂgen FamiÂlie im SpanÂnungsÂfeld zwiÂschen ReliÂgiÂon, Kunst und Film» erschienen.
THE LOUD HOUSE ist eine KinÂÂder-AniÂÂmaÂtiÂonÂsÂÂseÂrie und hanÂdelt von den AbenÂteuÂern eines JunÂgen, der zusamÂmen mit seiÂnen zehn SchweÂstern in einem Haus lebt. StreaÂming auf Netflix
CHILDREN OF MEN ist eine düsteÂre VerÂsiÂon der WeihÂnachtsÂgeÂschichÂte in einer dysÂtoÂpiÂschen Welt, in der die MenÂschen unfruchtÂbar geworÂden sind. StreaÂming auf Sky und Apple TV
MUM ist eine ComeÂÂdy-Serie, die leichtÂfüsÂsig und mit viel schwarÂzem Humor einen kriÂtiÂschen Blick auf die AbsurÂdiÂtäÂten des AllÂtags und die RolÂle der MutÂter in unseÂrer GesellÂschaft wirft. GraÂtis zum StreaÂmen in der Arte-Mediathek
DIE WEGE DES HERRN ist eine 20-teilÂiÂÂge Serie über die däniÂsche FamiÂlie Krogh, der eine lanÂgen Linie von PastoÂren entÂstammt. StreaÂming auf Apple TV
Was macht MütÂterÂlichÂkeit aus? Im Film FIGLIA MIA steht ein Kind zwiÂschen zwei MütÂtern und macht deutÂlich, dass LieÂbe keiÂne BlutsÂbanÂde braucht. StreaÂming auf filmingo.ch
LE TEMPS QUI RESTE erzählt die GeschichÂte eines junÂgen ManÂnes, der eine tödÂliÂche KrankÂheit hat und seiÂne Zeit in enger VerÂbunÂdenÂheit zu seiÂner GrossÂmutter und andeÂren LiebÂlingsÂmenÂschen verÂbringt. StreaÂming auf GoogÂle Play, Apple TV

Wie hat sich das Bild der HeiÂliÂgen FamiÂlie im VerÂlauf der Zeit geänÂdert?
Je nach KonÂtext wurÂden in den BildÂproÂgramÂmen der christÂliÂchen KirÂchen eher die häusÂliÂchen oder berufÂliÂchen PflichÂten der einÂzelÂnen FamiÂliÂenÂmitÂglieÂder, die GeschlechterhierÂarchien oder reliÂgiÂös-tugendÂhafÂte AspekÂte betont. InterÂesÂsant ist, dass Joseph, der lanÂge im SchatÂten von Maria und Kind stand, mit der ReforÂmaÂtiÂon in seiÂner RolÂle als pater famiÂliÂas immer wichÂtiÂger wurÂde. Er war nun StellÂverÂtreÂter GotÂtes und moraÂliÂsches VorÂbild der Familie.
Und was pasÂsierÂte mit Maria?
Eine gewisÂse EntÂsaÂkraÂliÂsieÂrung MariÂas im proÂteÂstanÂtiÂschen Bereich ist zu beobÂachÂten. Maria mutierÂte zur vorÂbildÂliÂchen HausÂfrau und MutÂter. EntÂspreÂchend werÂden in der ÂproÂteÂstanÂtiÂschen TraÂdiÂtiÂon die MitÂglieÂder der HeiÂliÂgen FamiÂlie häuÂfig in AllÂtagsÂsiÂtuaÂtioÂnen und in ihren speÂziÂfiÂschen RolÂlen innerÂhalb der HausÂgeÂmeinÂschaft inszeniert.
Wie wird heuÂte die HeiÂliÂge FamiÂlie darÂgeÂstellt?
AktuÂelÂle künstÂleÂriÂsche UmsetÂzunÂgen zeiÂgen ethÂnisch durchÂmischÂte, homoÂseÂxuÂelÂle und andeÂre FamiÂliÂenÂspielÂarÂten, meist haben sie aber eines gemein: Sie alle symÂboÂliÂsieÂren eine intiÂme und essenÂziÂelÂle Form der Nähe und Zuneigung.
Ist die HeiÂliÂge FamiÂlie im ZusamÂmenÂhang mit dieÂsen verÂschieÂdeÂnen FamiÂliÂenÂmoÂdelÂlen noch releÂvant?
Ich glauÂbe schon, und zwar als IdeÂalÂvorÂstelÂlung mit hohem IrriÂtaÂtiÂonsÂpoÂtenÂziÂal. DenÂken wir nur an die keuÂsche Ehe des Joseph oder an die dopÂpelÂte VaterÂschaft, die er sich mit dem himmÂliÂschen Vater teiÂlen muss. DenÂnoch strahlt die HeiÂliÂge FamiÂlie eine derÂarÂtiÂge InnigÂkeit aus, die überÂall verÂstanÂden wird und kaum jemanÂden kalt lässt.
AusÂserÂdem sind die KonÂseÂquenÂzen der patriÂarÂchaÂlen RolÂlenÂverÂteiÂlung, die unter andeÂrem mit der HeiÂliÂgen FamiÂlie legiÂtiÂmiert wurÂden, bis heuÂte spürÂbar. In der Schweiz ist beiÂspielsÂweiÂse die KinÂderÂbeÂtreuÂung ausÂser Haus immer noch nicht selbstÂverÂständÂlich und finanÂziÂell herÂausÂforÂdernd. Das macht einerÂseits arbeiÂtenÂden MütÂtern das Leben schwer, andeÂrerÂseits ruft es auch die FraÂge auf, ob GrossÂfaÂmiÂliÂen – blutsÂverÂwandt oder nicht – oder MehrÂgeÂneÂraÂtioÂnenÂhausÂhalÂte eine erwäÂgensÂwerÂte LebensÂform sein könnÂten. Was mich interÂesÂsant dünkt: Trotz hoher ScheiÂdungsÂraÂte und GenÂderÂdeÂbatÂten zeiÂgen die UmfraÂgen der letzÂten JahÂre, dass die häuÂfigÂste FamiÂliÂenÂform in der Schweiz immer noch die klasÂsiÂsche KleinÂfaÂmiÂlie ist – die irdiÂsche VerÂsiÂon des himmÂliÂschen Vorbildes.