Arbeiten, Wohnen, Zweifeln, Glauben — Teil 2

Arbeiten, Wohnen, Zweifeln, Glauben — Teil 2

  • Zwei Men­schen, ein The­ma: Die Hor­i­zonte Som­merserie 2019 bringt Men­schen unter­schiedlich­er Stand­punk­te ins Gespräch.
  • Für den zweit­en Teil der Hor­i­zonte-Som­merserie besuchte die Redak­tion die bald 90-jährige Rent­ner­in Rose­marie Amstutz und den 21-jähri­gen Flüchtling Zana Hame aus Syrien. Die bei­den leben seit einem Jahr zusam­men unter einem Dach.
 «Schon meine Mut­ter war Frem­den gegenüber stets aufgeschlossen», erin­nert sich die bald 90-jährige Rose­marie Amstutz. Vor einem Jahr hat sie den heute 21-jähri­gen Zana Hame aus Syrien bei sich aufgenom­men. Die bei­den leben sei­ther erfol­gre­ich in ein­er Art Wohnge­mein­schaft.

Er: Dank der UMA-Schule raus aus der Asylunterkunft

Sie Mut­ter von sechs Kindern, aufgewach­sen in Zürich, er aus Syrien, vor vier Jahren als unbe­gleit­eter min­der­jähriger Asyl­suchen­der (UMA) vor dem Bürg­erkrieg in die Schweiz geflo­hen. Zana lebte zunächst in zwei ver­schiede­nen Asy­lun­terkün­ften, besuchte die UMA-Schule in Aarau, lernte Deutsch und kon­nte sich eine Lehrstelle als Logis­tik­er sich­ern.Für seine neue Her­aus­forderung brauchte Zana eine passendere Umge­bung. Die ständi­ge Unruhe in den Mehrbettz­im­mern der Asy­lun­terkun­ft, die Kon­flik­te und Reibereien unter den anderen Jugendlichen unter­schiedlich­er Herkun­ft waren kein geeigneter Ort für konzen­tri­ertes Ler­nen. Dank Sil­via Balmer-Tomassi­ni von der UMA-Schule kam Zana in ein­er Fam­i­lie unter. Zu dieser fand Zana jedoch den Draht nicht, weshalb er sich nach einem neuen Zuhause umschaute. Erneut war es Sil­via Balmer Tomassi­ni, die ihm den Kon­takt zu Rose­marie Amstutz ver­mit­telte.

Sie: «Das Evangelium hat meinen Entscheid beeinflusst»

«Ich habe das natür­lich mit meinen Kindern besprochen», erin­nert sich die rüstige Rent­ner­in. Ein Klin­gel­ton reist sie aus ihren Aus­führun­gen. Das Handy. Eine SMS-Nachricht von ihrer jüng­sten Tochter. «Ich bin über­rascht, wie gut sie das kann», lobt Zana Rose­maries Umgang mit der mod­er­nen Infor­ma­tion­stech­nolo­gie. «Er hil­ft mir ab und zu», ent­geg­net sie anerken­nend. Aber ja: Mit Infor­ma­tion­stech­nolo­gie hat Rose­marie-Amstutz keine Berührungsäng­ste. Noch mit 80 Jahren kam sie zu einem Com­put­er und mailt sei­ther fleis­sig.Wie sie dazu kam, einen Flüchtling bei sich aufzunehmen? «Ein­er mein­er Söhne meinte natür­lich schon, warum denn eine 89-Jährige noch einen Flüchtling aufnehmen muss», begin­nt die gebür­tige Zürcherin die Geschichte. Lange über­legt habe sie dann aber nicht: Nach­dem Sil­via Balmer-Tomassi­ni mit dem jun­gen Zana zu Besuch war, war die Sache entsch­ieden: «Für mich war klar, dass ich nun Farbe beken­nen muss. Alle sagen immer: Man sollte machen… und erwarten dies dann von den anderen. Ich möchte nach dem Evan­geli­um leben, das hat meinen Entscheid sehr bee­in­flusst», bringt Rose­marie Amstutz ihren Entscheid auf den Punkt.

Er: Syrische Küche fürs gemeinsame Abendessen

Bereut hat sie es nicht. «In meinem Alter hat man schon so seine Prob­leme. Die Augen beispiel­sweise. Wenn ich etwas nicht sehe oder auch eine Wasser­flasche nicht auf­machen kann, bin ich froh, wenn mir Zana helfen kann». Sie habe dem jun­gen Syr­er von Anfang an voll ver­traut. «Zana ist ein abso­lut anständi­ger, gut erzo­gen­er und treuer Men­sch», lobt sie ihn. «Wenn ich denke, wie viele Men­schen sich über­haupt nicht vorstellen kön­nen, jemand Frem­den im Haus zu haben. Aber das bin ich vielle­icht gewohnt: Mein Mann brachte früher immer span­nende Men­schen aus frem­den Län­dern nach Hause, erzählt Rose­marie Amstutz.Rose­marie und Zana kom­men gut miteinan­der klar, Rose­marie fühlt sich nicht eingeengt, Zana nicht bevor­mundet. Und bekocht wird Zana nicht, obwohl er es ist, der tagsüber zur Arbeit auss­er Haus ist, und Rose­marie zuhause das Rent­ner­leben geniesst. «Das haben wir von Anfang an klar gestellt, dass ich nicht kochen würde», sagt Rose­marie Amstutz. «Ich habe früher für eine grosse Fam­i­lie gekocht». So also hat Zana schon wieder­holt für bei­de gekocht: Syrisch. Rose­marie Amstutz hat es geschmeckt – die ara­bis­che Küche ist ihr ver­traut, ein­er ihrer Schwiegersöhne ist Tune­si­er.

Sie: «Wenn er zufrieden ist, bin ich es auch»

So viel Har­monie erscheint schon fast verdächtig. Gibt es da nichts, das zu Auseinan­der­set­zun­gen führt? «Wir haben schon einen unter­schiedlichen Rhyth­mus», meint Rose­marie Amstutz. «Er kocht sich sein Aben­dessen erst um neun Uhr abends». Nach ein­er kurzen Denkpause, während sie den jun­gen Mann anschaut, sagt sie dann: «Aber nein, es ist alles gut». Dann wen­det sie sich Zana zu und fragt: «Oder hast du etwas, das du gern anders möcht­est?» «Nein, alles stimmt so für mich», antwortet dieser. Und sie ergänzt: «Wenn er zufrieden ist, dann bin auch ich zufrieden».Nach einem kurzen Moment kommt dann doch noch etwas: «Da ist noch so ein Gefühl, wir haben darüber noch nie gesprochen», begin­nt Rose­marie Amstutz und wen­det sich erneut an Zana: « Wenn du Besuch hast, dann sind deine Gäste immer oben bei dir im Zim­mer. Da habe ich mich gefragt, ob du dich in den Räu­men hier unten nicht wohl fühlst. Sog­ar essen tut ihr oben im Zim­mer.» «Wir wollen dich ein­fach nicht stören», antwortet Zana. «Aber ihr stört doch nicht», beschwichtigt Rose­marie Amstutz.

Er: «Dank Rosemarie kann ich so gut Deutsch»

Flüchtlinge in Fam­i­lien unterzubrin­gen, ist nichts Neues, das wird schon seit län­ger­er Zeit mit Erfolg prak­tiziert. Neu sei aber die Idee, junge Flüchtlinge und ältere Men­schen zusam­men­zubrin­gen, erk­lärt Sil­via Balmer-Tomassi­ni gegenüber Hor­i­zonte. Das Net­zw­erk Asyl und die UMA-Schule in Aarau wollen solche «Gen­er­a­tio­nen-WGs« noch ver­mehrt fördern: «Auch in Buchs und Nieder­lenz haben wir bere­its ältere Men­schen und junge Flüchtlinge zusam­menge­bracht, in Bein­wil am See ste­hen wir noch in der Ver­mit­tlung», berichtet Sil­via Balmer Tomassi­ni.Für die Lehrerin ist klar, dass bei­de Seit­en enorm prof­i­tieren. «Ger­ade aufgeschlossene, alle­in­ste­hende ältere Men­schen hät­ten jeman­den, der sie im All­t­ag gele­gentlich unter­stützen könne. Umgekehrt ergäben sich für junge Flüchtlinge ide­ale Bedin­gun­gen für die Inte­gra­tion. Ohne Rose­marie, so ist Zana überzeugt, kön­nte er nicht so gut Deutsch. «Wir reden oft miteinan­der und sie hil­ft mir bei Wörtern, die ich nicht ver­ste­he», sagt er. Und Sil­via Balmer-Tomassi­ni ergänzt: «In den Flüchtling­sun­terkün­ften haben die jun­gen Erwach­se­nen keine Ruhe, da herrscht oft Stress und Unruhe. Keine guten Voraus­set­zun­gen, wenn die Leute für eine Lehre gefordert sind». Der Kan­ton habe das Prob­lem erkan­nt, aber noch keine brauch­baren Lösun­gen. «Indem wir ältere Men­schen und Flüchtlinge zusam­men­brin­gen, zeigen wir bere­its, wie es funk­tion­ieren kön­nte.» Finanziell kommt den Kan­ton die WG nicht teur­er als die Unterkun­ft. Er bezahlt bei vor­läu­fig Aufgenomme­nen die oblig­at­en neun Franken pro Tag.

Sie: «Er beeindruckt mich»

Zana und Rose­marie – ein ungle­ich­es, aber har­monis­ches Paar. Bei­de wirken glück­lich, kom­men gut miteinan­der aus und aneinan­der vor­bei, gle­ichzeit­ig find­en sie aber immer wieder auch Berührungspunk­te im gegen­seit­i­gen Aus­tausch. Auch bei der Reli­gion. Sie Katho­likin, sagt über ihn, den Moslem: «Mich hat beein­druckt, warum du so entsch­ieden auf Dis­tanz gehst zur Reli­gion. Und das nicht ein­fach, weil ihr als Kur­den ohne­hin einen dis­tanzierten Umgang zur Reli­gion habt». Zana dazu: «Der Islamis­che Staat IS mehrere mein­er Onkel und Cousins getötet. Zu sehen, was Reli­gion anrichtet, das hat schon eine Rolle gespielt».Rose­marie Amstutz pflegt ihren Glauben, geht noch regelmäs­sig zur Kirche, die sich in Sichtweite zu ihrem Haus befind­et. «Weil ich noch gern zu diesem immer klein­er wer­den­den Grüp­pchen gehören möchte, dass der Kirche die Treue hält», sagt sie mit dem ihr eige­nen Schalk. Ob sie Zana schon ein­mal mitgenom­men habe? «Nein, bis jet­zt nicht. Aber er möchte mich mal begleit­en», sagt sie. Die bei­den lachen.

  
Andreas C. Müller
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