«Morgen suchen wir weiter»

«Morgen suchen wir weiter»

  • Die Kirchge­meinde Geben­storf-Tur­gi sorgt seit gut drei Jahren immer wieder für Schlagzeilen.
  • Das grosse Hor­i­zonte-Dop­pelin­ter­view liefert Antworten auf einige Fra­gen, direkt von der Quelle.

Am pol­nis­chen Sal­va­to­ri­an­er­pa­ter Adam Ser­afin und seinem Kirchen­ver­ständ­nis schei­den sich in Geben­storf-Tur­gi nach wie vor die Geis­ter, auch wenn er vom Bischof und den staatskirchen­rechtlichen Anstel­lungs­be­hör­den offiziell all sein­er Ämter enthoben wurde. Pater Adam feiert, unter­stützt vom Kirchenpflegepräsi­den­ten von Geben­storf-Tur­gi, Daniel Ric, und weit­eren Anhängern sein­er Art, nach wie vor die Messe. Auch die im ver­gan­genen Novem­ber neu gewählten Kirchenpflegemit­glieder Hilde Seib­ert, Willy Deck und Bern­hard Hollinger, die zusam­men mit Andreas Zil­lig ver­suchen, dem Duo Adam/Ric Paroli zu bieten, scheinen mehr zu reagieren als zu agieren. Um die Vorgänge im Wasser­schloss bess­er einord­nen zu kön­nen, hat Hor­i­zonte bei­den Parteien schriftlich exakt diesel­ben Fra­gen gestellt. Die Antworten der Parteien lesen Sie hier im je eige­nen Wort­laut.

Der Kon­flikt in Geben­storf-Tur­gi beste­ht seit fast vier Jahren. Was eracht­en Sie als Kern des Prob­lems?
Hilde Seib­ert*: Der Kern des Prob­lems liegt darin, dass mit Pater Adam Ser­afin im August 2015 ein Priester eingestellt wor­den ist, den es bis heute nicht inter­essiert, wo wir als Pfar­rei ste­hen, welch­er Geist bei uns herrscht. Vielmehr will er uns rück­sicht­s­los auf seine eigene «Glaubens»-Linie brin­gen. Ander­s­denk­ende und Ander­s­gläu­bige wer­den aus­ge­gren­zt: «Sie kön­nen gehen, wenn sie das wollen», sagte er vor kurzem in TeleM1, emo­tion­s­los. In dieser Hal­tung wird er von der gle­ich denk­enden 3‑köpfigen alten Kirchenpflege unter­stützt.
Seine Anstel­lung vor knapp sieben Jahren war kein Verse­hen. Es war im Gegen­teil ein bewusster Entscheid, mit dem sich die dama­lige Kirchenpflege über die War­nung des Bischofs hin­wegset­zte, es werde Prob­leme mit Pater Adam geben. Die gibt es nun seit langem, aber Daniel Ric ver­weigert das Gespräch darüber.
Daniel Ric: Ich bin seit zwölf Jahren Präsi­dent der Kirchenpflege. In diesen zwölf Jahren wurde ständig gestrit­ten, teil­weise noch viel erbit­tert­er als heute. Vieles wurde ein­fach nicht öffentlich aus­ge­tra­gen. An diesen heim­lichen Kon­flik­ten lit­ten sehr viele Men­schen. Es ist gut, dass nun öffentlich debat­tiert wird, was über­haupt Sinn und Zweck der Kirche ist.
Daher würde ich nicht von einem Prob­lem reden, son­dern von ein­er notwendi­gen und bere­its lange fäl­li­gen Grund­satzdiskus­sion. Viele Men­schen erken­nen, dass gewisse Missstände im Bis­tum haus­gemacht sind und nicht die Schuld der Weltkirche. Hier ist vor allem der haus­gemachte Priester­man­gel zu nen­nen, der bewusst geschaf­fen wird und der dadurch in vie­len Pfar­reien zu einem Pfar­reileben führt, in dem die Sakra­mente keine Rolle mehr spie­len.

Die Kirchenpflege scheint in zwei Lager ges­pal­ten. Was ist der kle­in­ste gemein­same Nen­ner der zwei Parteien?
Seib­ert: In Anlehnung an Sokrates: «Wir haben den kle­in­sten gemein­samen Nen­ner gesucht. Wir haben ihn nicht gefun­den. Mor­gen suchen wir weit­er.»
Ric: Ich attestiere grund­sät­zlich jedem Men­schen, der sich in der Kirche engagiert, guten Willen. Die Auf­fas­sung zu vertreten, dass das Gegenüber das Beste für die Kirchge­meinde möchte, muss der kle­in­ste gemein­same Nen­ner sein. Darüber hin­aus wird es jedoch zurzeit nicht nur bei uns schwierig, weit­ere gemein­same Nen­ner zu for­mulieren, was mit der derzeit­i­gen Sinnkrise in unserem Bis­tum zusam­men­hängt. Wenn vom Kirchen­rat­spräsi­dent der Lan­deskirche wie vom Bischofsvikar zen­trale Glaubensin­halte der Kirche – wie die Bedeu­tung der Eucharistie – infrage gestellt wer­den, muss man nicht von lokalen Gremien wie den Kirchenpfle­gen ver­lan­gen, dass diese viele gemein­same Nen­ner aufweisen wer­den.

Was ist Ihrer Ansicht nach Ihre wichtig­ste Auf­gabe als Kirchenpflegemit­glied?
Seib­ert: Endlich wieder die Inter­essen der Kirchge­meinde nach innen und aussen zu vertreten und die uns anver­traut­en Gelder ver­ant­wor­tungsvoll zu ver­wal­ten. So, wie das Organ­i­sa­tion­sstatut der katholis­chen Lan­deskirche es vor­sieht.
Unter Beach­tung des dualen Sys­tems, von dem wir ja Teil sind, Struk­turen zu schaf­fen, beziehungsweise zu stärken, um die Seel­sorge sicherzustellen und die Arbeit der Pfar­reigrup­pierun­gen auf der staatskirchen­rechtlichen Ebene zu unter­stützen.
Ver­lässlich­er Part­ner sein für das Bis­tum, die Lan­deskirche, im Seel­sorge­ver­band und für alle anderen Insti­tu­tio­nen, mit denen wir zusam­me­nar­beit­en.
Seit unser­er Amt­süber­nahme, im Jan­u­ar dieses Jahres, ist unsere wichtig­ste Auf­gabe jedoch: aufräu­men. Das, was unter der «alten» Kirchenpflege ver­säumt wurde oder in falsche Bah­nen gelenkt wor­den ist.
Ric: Die zen­trale Auf­gabe aller in der Kirche täti­gen Men­schen, vom Bischof bis zum Laien in der Kirchenpflege, muss es sein, den Men­schen die Feier der Eucharistie und den Emp­fang der Sakra­mente zu ermöglichen. Anson­sten hat eine Römisch-Katholis­che Kirche, die Mil­lio­nen von Kirchen­s­teuern ein­nimmt, gar keine Daseins­berech­ti­gung. Das bedeutet nicht, dass andere Grund­vol­lzüge der Kirche wie die Diakonie nicht geschätzt wer­den. Aber wenn nicht ein­mal mehr das Ker­nange­bot der Kirche gewährleis­tet wer­den kann, wie dies in vie­len Pfar­reien des Bis­tums selb­stver­schuldet der Fall ist, hat eine solche Kirche keine Zukun­ft. Daher sollte nie­mand über­rascht sein, wenn im Kan­ton Aar­gau jedes Jahr mehr und mehr Men­schen aus der Kirche aus­treten.

Wie kom­mu­nizieren Sie mit der «Basis» Ihrer Kirchge­meinde und wie erfahren Sie, was sich die Pfar­reiange­höri­gen wün­schen?
Seib­ert: Momen­tan noch eher unstruk­turi­ert. Fast über­all ist die Sit­u­a­tion in unser­er Kirchge­meinde Gespräch­s­the­ma. In Vere­inen, bei zufäl­li­gen Begeg­nun­gen und seit zwei Wochen auch wieder in Gesprächen nach einem Gottes­di­enst. Wir suchen solche Gespräche ganz bewusst. Dann gibt es natür­lich auch Rück­mel­dun­gen der 110er Ini­tia­tiv­gruppe und ihrer Delegierten. Aus­sagekräftig waren die Wort­mel­dun­gen an der Kirchge­mein­de­v­er­samm­lung vom Novem­ber 2021, und wir wer­den sehr aufmerk­sam hören auf das, was an der ausseror­dentlichen KGV am 17. Mai 2022 kri­tisiert und gefordert wird.
Ric: Wir sind keine poli­tis­che Partei oder ein weltlich­er Vere­in, daher ist der Begriff Basis in Bezug auf die Pfar­rei falsch. In Geben­storf und Tur­gi leben mehr als 2500 Katho­liken, von denen wed­er ich noch andere Kirchenpfleger mehr als einen Bruchteil ken­nen. Ich kann Ihnen daher nicht sagen, was sich 2500 Katho­liken genau wün­schen.
Ich denke, wenn jemand katholisch ist und Kirchen­s­teuern zahlt, wün­scht er sich Ange­bote, die der katholis­chen Lehre entsprechen und im Ein­klang mit der Weltkirche sind. Was ich mit gutem Gewis­sen sagen kann ist, dass ich in zwölf Jahren Kirchenpflegetätigkeit immer ver­sucht habe, Pro­jek­twün­sche, die von Pfar­reiange­höri­gen kamen, zu unter­stützen.

Welch­es ist momen­tan Ihr offizielles Pub­lika­tion­sor­gan?
Seib­ert: Seit wir die Home­page unser­er Kirchge­meinde www.kathkirchegetu.ch geschlossen haben: das Kan­tonale Pfar­rblatt Hor­i­zonte. Anson­sten veröf­fentlichen wir unsere Mit­teilun­gen in den Aushängekästen bei­der Kirchen oder lassen sie im Gottes­di­enst verkün­den.
Ric: Wenn Sie mit offiziell meinen, was in der Kirchge­mein­de­ord­nung ste­ht, dann ist dies «Hor­i­zonte» und «Rund­schau».

Wur­den darin die Beschlüsse der Kirchge­mein­de­v­er­samm­lung vom 23. Novem­ber 2021 mit dem Hin­weis auf das fakul­ta­tive Ref­er­en­dum bekan­nt­gemacht?
Seib­ert: Nein. Die sein­erzeit­ige Kirchenpflege hat am Tag nach der KGV lediglich das Ergeb­nis der Ergänzungswahl mit Hin­weis auf die 30-tägige Ein­sprachefrist in den Aushang gehängt. Alle anderen Beschlüsse wur­den bis heute nir­gends veröf­fentlicht.
Ric: In der «Rund­schau» wurde dies auf Wun­sch der vier neuen Kirchenpflegemit­glieder gemacht. Im «Hor­i­zonte» noch nicht.

Wer zeich­net für die Texte auf der Web­site www.roemischkatholischekirchegetu.ch ver­ant­wortlich?
Seib­ert: Sie sind ja immer anonym, daher weiss das auss­er den Ver­fassern nie­mand. Es wurde deswe­gen schon von ein­er Per­son ausser­halb unser­er Kirchge­meinde eine Anzeige beim Schweiz­er Presser­at ein­gere­icht. Mit Kopie an uns zur Infor­ma­tion.
Ric: Pater Adam, Pfar­reiange­hörige und ich, je nach­dem, um was es geht. Artikel zu Pfar­reian­lässen wer­den natür­lich von Pater Adam ver­fasst.

Warum sind die Texte auf diesen Seit­en nicht mit Autoren­na­men geze­ich­net?
Seib­ert: Wir wis­sen es nicht. Vielle­icht aus Scham? Vielle­icht aus Angst, da die Web­site ja ille­gal ist? Aber das kön­nen nur die Autoren selb­st beant­worten. Unser Ruf ist zum Glück so gut und gefes­tigt, dass wir nicht in Ver­dacht ger­at­en.
Ric: Weil die Lan­deskirche um Luc Hum­bel fast jeden Ein­trag auf der Home­page, der sich kri­tisch zur Sit­u­a­tion in der Lan­deskirche und dem Bis­tum äussert, mit einem eingeschriebe­nen Brief samt Dro­hun­gen quit­tiert. Das ist ein unhalt­bar­er Zus­tand und wed­er mit dem zweit­en Vatikanum noch mit einem frei­heitlichen Reli­gionsver­ständ­nis vere­in­bar. Die Lan­deskirche fördert kri­tis­che Stim­men gegen Rom, unter­drückt jedoch auf der anderen Seite jede Kri­tik an Aarau oder Solothurn. Diese Dop­pel­moral ist unerträglich.

Die Web­site erweckt den Anschein, vom Seel­sorge­ver­band Bir­men­storf-Geben­storf-Tur­gi betrieben zu wer­den. Gle­ichzeit­ig wurde dieselbe Web­site, mit densel­ben Inhal­ten, unter der Adresse www.kathkirchegetu.ch von der Kirchenpflege Geben­storf-Tur­gi vom Netz genom­men. Agieren hier Teile der Kirchenpflege in Eigen­regie?
Seib­ert: Ja, die «alte» Zusam­menset­zung. Und sie ver­let­zen damit die Rechte unser­er Kirchge­meinde. Denn das Schliessen der Web­site war ein Mehrheits­beschluss der Kirchenpflege, weil wir uns von vie­len Inhal­ten dis­tanzieren; von der Het­ze, den Ver­leum­dun­gen und den ein­seit­i­gen, rück­wärts­ge­wandten Beiträ­gen.
Ric: Die Sper­rung der Home­page erfol­gte ohne Pro­tokollbeschluss. Ich finde es gegenüber den Pfar­reiange­höri­gen falsch, eine Home­page zu sper­ren, ohne zu ver­suchen, diese selb­st mit Inhal­ten zu füllen. Man ist gegen etwas, möchte aber keine Alter­na­tiv­en anbi­eten.
Und hier ist noch ein­mal zu erwäh­nen, dass die Lan­deskirche bei dieser Sper­rung aktiv mit­ge­holfen hat. Der kirch­liche Jour­nal­is­mus und die kirch­liche Diskus­sion sollen lieber inhaltlich entleert wer­den, als dass irgend­je­mand ein kri­tis­ches Wort über Missstände im Bis­tum äussern kann.

Welche Entwick­lun­gen der Kirchge­meinde Geben­storf-Tur­gi wür­den Sie mit Blick auf die ver­gan­genen vier Jahre als pos­i­tiv bew­erten?
Seib­ert:
Unsere Wahrnehmung: Die Pfar­reiange­höri­gen sind aufmerk­samer gewor­den, kri­tis­ch­er den Amt­strägern gegenüber. Ein Priester wird kün­ftig keinen Amts­bonusvorschuss mehr erhal­ten. Wir sind uns bewusster gewor­den, dass wir wirk­lich Kirche sind und nicht ein­fach alles hin­nehmen müssen. Wir tra­gen Ver­ant­wor­tung für das Woh­lerge­hen unser­er Pfar­reien – und es lohnt sich, sich dafür einzuset­zen.
Vier Jahre lang haben wir durch unsere eigene Kirchenpflege und Pater Adam erfahren, was es heisst, aus­ge­gren­zt und nicht gehört, ver­leumdet, beschuldigt und beschimpft zu wer­den. Solche Erfahrun­gen soll kün­ftig nie­mand machen müssen. Die Sen­si­bil­isierung dafür ist gewach­sen.
Und eine weit­ere Wahrnehmung: Dieser lange Kampf für das Gute hat Men­schen auch näher zusam­menge­bracht. Und vielle­icht kehren irgend­wann Gläu­bige zurück, die aus­ge­treten sind, und wir kön­nen zusam­men unsere Pfar­reien wieder beleben und gestal­ten.
Ric: Die Mess­be­such­er, die zu uns an die Messe kom­men, sind viel jünger und kul­turell durch­mis­chter als früher – und zahlre­ich­er. Wir sind nun wirk­lich eine katholis­che, allum­fassende Kirche. Katho­liken mit Migra­tionsh­in­ter­grund, die bei uns die Mehrheit stellen, müssen nicht mehr in die fremd­sprachi­gen Mis­sio­nen gehen, um ihren Glauben zu leben.

Wenn Sie die Zeit zurück­drehen kön­nten, an welchem Punkt wür­den Sie heute anders han­deln und auf welche Weise?
Seib­ert: Eigentlich nir­gends. Wir waren als Ini­tia­tiv­gruppe, als Delegierte, immer anständig und zurück­hal­tend im Öffentlich­machen all unser­er Vor­würfe. Manch­mal waren wir uns nicht ganz sich­er, ob diese Zurück­hal­tung richtig ist, ob wir nicht fordern­der, lauter auftreten müssten, ein Sün­den­reg­is­ter öffentlich machen soll­ten. Das haben wir nach lan­gen Diskus­sio­nen immer wieder ver­wor­fen und stattdessen in dem pos­i­tiv for­mulierten Papi­er «Wün­schen Sie sich das auch endlich wieder» unsere Vorstel­lung von Pfar­rei, Seel­sorge und Kirchenpflege for­muliert.
Eigentlich wür­den wir wieder genau gle­ich han­deln: Uns mit Betrof­fe­nen und Gle­ich­gesin­nten zusam­men­tun, die vagen Vor­würfe konkret fassen, das Gespräch suchen, an die näch­ste Instanz gehen, Überzeu­gungsar­beit bei den Entschei­dungsträgern leis­ten… Und vor allem nicht aufgeben. Dran­bleiben.
Und als neue Kirchenpflegemit­glieder haben wir uns vorgenom­men, im Gegen­satz zur «alten» Kirchenpflege per­son­elle War­nun­gen des Bischofs nicht in den Wind zu schla­gen, son­dern sie anzuhören und uns damit auseinan­derzuset­zen.
Ric: Ich per­sön­lich habe viele Fehler gemacht, das ste­ht auss­er Frage. Daher würde ich sehr vieles anders machen. Ein entschei­den­der Fehler war das Vorge­hen beim Pas­toralen Entwick­lungs­plan, PEP. 17 Sitzun­gen haben wir damals in den Jahren 2011–2014 durchge­führt, die völ­lig ergeb­nis­los waren und bei denen über­haupt keine Auf­bruchsstim­mung zu erken­nen war. Jed­er hat sich nur selb­st beweihräuchert und über die guten alten Zeit­en gesprochen, die schon lange nicht mehr exis­tent waren.
Dort hätte die Kirchenpflege, speziell ich, merken sollen, dass es einen Neuan­fang braucht. All die Grund­satzdiskus­sio­nen, die nun hitzig und fälschlicher­weise auf Per­so­n­en bezo­gen geführt wer­den, hätte man damals in grösser­er Ruhe führen müssen. Aber ich denke, dass dies nicht nur bei uns der Fall war, son­dern im ganzen Bis­tum. Bischof Felix hat­te nicht die Kraft, das Pro­jekt, welch­es von Kar­di­nal Kurt Koch zu Recht lanciert wurde, im Sinne ein­er Neue­van­ge­lisierung zu Ende zu führen.

Inwiefern ste­hen die Geschehnisse in Ihrer Kirchge­meinde Ihrer Mei­n­ung nach im Ein­klang mit den christlichen Grundw­erten, nach denen sich alle Katho­liken richt­en soll­ten – Stich­worte: Fein­des- und Näch­sten­liebe, Verge­bung, Achtung, Respekt?
Seib­ert: Über­haupt nicht. Was Daniel Ric und Pater Adam unseren Pfar­reien in den ver­gan­genen Jahren zuge­fügt haben, hat mit christlichen Grundw­erten gar nichts zu tun. Es geht dem Kirchenpflegepräsi­den­ten und Pater Adam auss­chliesslich um Machter­halt und darum, sich mit ihrer eige­nen, eng­stirni­gen Glaubenslin­ie durchzuset­zen. Achtung und Respekt sind Aus­drücke, die wir mit ihnen nicht in Verbindung brin­gen.
Ric: Ich habe per­sön­lich nichts gegen irgend­je­man­den, der in Bezug auf die Kirche eine andere Mei­n­ung als ich ver­tritt. Wie gesagt, attestiere ich jedem Men­schen einen guten Willen. Aber ist es christlich­er, wenn wir die Kirche ein­fach sang- und klan­g­los zugrunde gehen lassen, als dass wir nun harte Diskus­sio­nen führen? Wer sich die Aus­trittszahlen im Bis­tum Basel anschaut, weiss, dass es nun wirk­lich fünf vor zwölf ist. Und diese Aus­tritte haben nur am Rande etwas mit der Weltkirche, son­dern vor allem mit Missstän­den im Bis­tum selb­st zu tun. Für die Pro­tag­o­nis­ten bei uns in der Kirchge­meinde ist dieser Kon­flikt vielle­icht müh­sam, aber für die Kirche selb­st heil­sam.

Wie beurteilen Sie die Rolle der Lan­deskirche und des Bis­tums in Bezug auf Ihren Kon­flikt in Geben­storf-Tur­gi?
Seib­ert: Zu Beginn waren wir mit unseren naiv­en Erwartun­gen für die Lan­deskirche und das Bis­tum sich­er etwas lästig. Sie kon­nten sich ja nicht ein­fach auf unsere Seite schla­gen. Sie mussten sich­er sein, wer die Spalt­pilze waren. Also lern­ten wir. Und je konkreter wir wur­den, umso mehr wur­den wir gehört. Bei allem achtete die Lan­deskirche stets sorgfältig auf ihre neu­trale Rolle. Durch unsere bei­den Auf­sicht­sanzeigen kippte die Waagschale dann aber mehr und mehr auf unsere Seite.
Auf Bis­tums­seite erwies sich dann auch der Wech­sel zu Bischofsvikar Dr. Kole­doye als Glücks­fall. Er über­nahm die Pfar­rver­ant­wor­tung für Tur­gi und Geben­storf. Er war zwar nicht vor Ort, arbeit­ete aber inten­siv an Lösun­gen zusam­men mit Bischof Felix und Luc Hum­bel im Hin­ter­grund. Zeitweise mit einem Aufwand von weit mehr als 50 Prozent seines Arbeit­spen­sums.
Die Ergeb­nisse dieser Zusam­me­nar­beit lassen sich sehen: Der Kirchen­rat hat seine Auf­sicht­spflicht wahrgenom­men und Pater Adam vor mehr als einem Jahr ent­lassen. Der Bischof hat Pater Adam die Mis­sio ent­zo­gen und ihm ver­boten, in Geben­storf und Tur­gi Gottes­di­en­ste zu pla­nen oder durchzuführen. Bischofsvikar Kole­doye hat Pfar­rer Hans-Peter Schmidt die Mis­sio als Pfar­rad­min­is­tra­tor erteilt.
Ric: Die Lan­deskirche Aar­gau hat unter Luc Hum­bel den Boden des dualen Sys­tems ver­lassen. Sie ver­mis­cht innerkirch­liche The­men mit der Auf­gabe der Lan­deskirche, die rechtlichen und organ­isatorischen Struk­turen für ein gedeih­lich­es Kirchen­leben zu schaf­fen. Den Men­schen wird sug­geriert, dass die Tat­sache, dass Laien­the­olo­gen und Diakone im Bis­tum Basel Priester bei der Ausübung der Pfar­rver­ant­wor­tung ver­drän­gen, ein Merk­mal des dualen Sys­tems sei, was eine völ­lige Per­vertierung des Sys­tems darstellt.
Damit wird die Kirche nicht nur in einen Kon­flikt mit der Weltkirche geführt, son­dern auch mit der Kan­tonsver­fas­sung, die den Katho­liken erlaubt, den Pfar­rer – notwendi­ger­weise einen Priester – zu wählen und Kirchen­s­teuern nur für kirch­liche Zwecke zu erheben.
Eine katholis­che Kirche, die den Men­schen keine Sakra­mente bietet, besitzt gar keine rechtlichen Grund­la­gen, um von den Men­schen Kirchen­s­teuern zu ver­lan­gen. Was den Bischof bet­rifft, denke ich, dass die Haup­tauf­gabe eines Bischofs wäre, seine Mit­brüder im Priester­amt zu stärken. Er sollte ein geistiger Vater aller Priester sein. Die Antwort darauf, ob er dies ist, ken­nt Bischof Felix selb­st am besten – und auch die im Bis­tum wirk­enden Priester.

Wieviele Kirchge­mein­demit­glieder aus Geben­storf-Tur­gi nehmen an den Messen, die Pater Adam zele­bri­ert, regelmäs­sig teil?
Seib­ert: Es sind in der Regel zwis­chen fünf und zehn.
Ric: Wie bere­its erwäh­nt, kenne ich nicht alle 2500 Katho­liken aus unser­er Kirchge­meinde und ste­he auch nicht an der Kirchen­tür, um von den Men­schen einen Ausweis zu ver­lan­gen. Wir sind eine katholis­che Kirche, keine Nation­alkirche und schon gar nicht eine Dor­fkirche. Schön ist, dass erstens viele Men­schen kom­men, dass auch Kinder und Jugendliche dabei sind und Men­schen mit unter­schiedlich­er Herkun­ft.
Mich erin­nert diese ganze Diskus­sion über die Frage, wer an die Messen kommt, an Max Frischs dama­li­gen Ausspruch, als viele Gas­tar­beit­er in die Schweiz kamen. Die Lan­deskirche und einige Expo­nen­ten des Bis­tums scheinen schock­iert, dass Arbeit­er gerufen wur­den, jedoch Men­schen und sog­ar Katho­liken kamen. Die Schweiz ist halt nicht mehr so wie vor 50 Jahren, und das ist nicht die Schuld der Men­schen, die nun hier sind und den Anspruch haben, gle­ich­w­er­tig in Gesellschaft und Kirche behan­delt zu wer­den.

Aus welchen Pfar­reien oder Regio­nen reisen die anderen Mess­be­such­er an?
Seib­ert: Aus den Pas­toral­räu­men Brugg-Windisch, Surbtal/Würenlingen, Siggen­thal, Aar­gauer Lim­mat­tal und ver­schiede­nen anderen Regio­nen.
Ric: Da in vie­len Pfar­reien kein sakra­men­tales Leben mehr stat­tfind­et und die Eucharistiefeier durch andere For­men des Gottes­di­en­stes ver­drängt wird, kom­men Men­schen aus ver­schiede­nen Pfar­reien zu uns. Das ist auch jedem Katho­liken erlaubt. Ich wurde im Aus­land noch nie gefragt, ob ich Ital­iener, Fran­zose oder Deutsch­er bin, als ich an eine Messe ging. Wieso ist dies bei uns im Bis­tum anders?

Was ist nötig, um die Sit­u­a­tion zu beruhi­gen und zu einem friedlichen Miteinan­der zu find­en?
Seib­ert: Viel, viel Zeit, um ver­lorenge­gan­ge­nes Ver­trauen wieder zurück­zugewin­nen. Denn Daniel Ric behauptet wider besseres Wis­sen bei jed­er sich bietenden Gele­gen­heit, wir woll­ten die Eucharistie abschaf­fen, seien gegen Priester und über­haupt gegen Sakra­mente. Und es braucht eine Per­son, wie wir sie jet­zt mit Pfar­rer Hans-Peter Schmidt haben: Jemand mit Mut und ein­er klaren Lin­ie. Jemand, der Men­schen wirk­lich gern hat und dem Ver­söh­nung ein Herzen­san­liegen ist. Wir sind Hans-Peter Schmidt sehr dankbar, dass er die schwierige Auf­gabe auf sich nimmt und unser Seel­sorg­er ist. Wir wer­den ihn unter­stützen, wo und wie wir nur kön­nen.
Ric: Es ist hier noch ein­mal wichtig zu beto­nen, vor welchen zwei Alter­na­tiv­en die katholis­che Kirche im Bis­tum Basel ste­ht. Die Aus­trittszahlen und die weltweit einzi­gar­tig tiefe Par­tizipa­tion an der Kirche sind im Bis­tum Basel so gross, dass die Kirche entwed­er sang- und klan­g­los völ­lig in die totale Bedeu­tungslosigkeit versinkt oder nun Grund­satzdiskus­sio­nen geführt wer­den, die wie bei uns auch heftig sein kön­nen. Ich hoffe und bete, dass nach diesen Diskus­sio­nen mehr Ruhe einkehren wird. Aber eine Fried­hof­s­ruhe schadet der Kirche.

Wie liessen sich die divergieren­den Auf­fas­sun­gen von dem, was Kirche ist oder wie sie zu sein hat in Geben­storf-Tur­gi allen­falls unter einen Hut brin­gen?
Seib­ert: Kirche hat ja nicht irgend­wie «zu sein». Kirche ist das, was wir leben, miteinan­der gestal­ten. So gese­hen, wäre es verbinden­der, von Vielfalt zu reden statt von Diver­gen­zen. Eine Vielfalt, die als Gewinn gese­hen wird und nicht als Bedro­hung. Vielle­icht wird es ja eines Tages möglich, allen Men­schen – gle­ich, welch­er Spir­i­tu­al­ität – zu ver­mit­teln, dass wir alle zusam­men Kirche sind.
Ric: Durch Tol­er­anz. Die Kirche kann von ver­schiede­nen Grup­pen 24 Stun­den lang sieben Tage die Woche benutzt wer­den. Die Pfar­reiräum­lichkeit­en eben­falls. Vor vier Jahren hat Pater Adam dem dama­li­gen Diakon und Vertretern der Ini­tia­tiv­gruppe gesagt, sie sollen die Kirche doch für Ange­bote nutzen, die ihren Vorstel­lun­gen entsprechen. Es kam gar keine Rück­mel­dung. Ähn­lich wie bei der Home­page, schafft man etwas ab, erset­zt es aber nicht durch Neues. Mit Tol­er­anz und Gelassen­heit wären viele Prob­leme vom Tisch. Men­schen den Zutritt zur Kirche zu ver­bi­eten, ist dage­gen sicher­lich der falsche Weg.

Ist ein solch­es Nebeneinan­der über­haupt noch möglich, nach allem, was bish­er schon geschehen ist? Welche Bedin­gun­gen müssten dazu erfüllt sein?
Seib­ert: Gefragt ist hier der gute, alte Wert der Tol­er­anz. Tol­er­anz von allen Seit­en. So, wie wir es in der Vor-Adam-Zeit gekan­nt und gelebt haben. Bei uns soll nie­mand guten Wil­lens aus­ge­gren­zt wer­den. Nie­mand muss in den Unter­grund.
Ric: Nicht nur ein Nebeneinan­der, son­dern auch ein Miteinan­der ist möglich. Es gibt ja viele Ver­anstal­tun­gen in unser­er Kirchge­meinde, wie beispiel­sweise die Erwach­se­nen­bil­dungsrei­he, die von allen Seit­en geschätzt wer­den. Viele Men­schen in unser­er Kirchge­meinde haben jedoch eine rote Lin­ie, wenn es um die Pfar­rei geht. Dies bet­rifft die Eucharistie. Wird die Eucharistie infrage gestellt, sehen viele Gläu­bige keinen Grund, Mit­glied ein­er solchen Kirche zu sein. Hier müsste ein guter Bischof oder ein guter Bischofsvikar an vorder­ster Front sein, um den­jeni­gen Men­schen, welche die Feier der Heili­gen Messe bekämpfen, den Sinn dieses tiefen Geheimniss­es unser­er Kirche zu erk­lären.

*Hilde Seib­ert hat die Fra­gen gemein­sam mit den Kirchenpflegemit­gliedern Bern­hard Hollinger, Willy Deck und Andreas Zil­lig beant­wortet und spricht im Namen dieser Gruppe.

Christian Breitschmid
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