Lichtträger sein in unserer Zeit

Lichtträger sein in unserer Zeit

Don­ner­stag, 8. Dezem­ber 2016. Maria Empfäng­nis. In Luzern ein offizieller Feiertag. Der Pila­tus­markt in Kriens hinge­gen hat geöffnet. Seit zehn Jahren gibt es dieses Shop­ping­cen­ter. Seit zehn Jahren tritt dort im Advent der Zirkus Stey auf. Ein­mal während dieser Zeit wird in der Mini-Manege ein vor­wei­h­nächtlich­er Gottes­di­enst gefeiert. Geleit­et von Zirkusp­far­rer Adri­an Bolz­ern.9.30 Uhr. Das Parkhaus des Pila­tus­mark­ts füllt sich zügig. Die Roll­treppe, die zu den ver­schiede­nen Verkauf­sebe­nen führt, bevölk­ert sich zuse­hends. Mit­ten in der fes­tlich geschmück­ten Mall ist eine kleine, feine Zirkusare­na aufge­baut. Bunt kari­ert gek­lei­det und das Gesicht bere­its geschminkt, lüm­meln Clown Pipoli und Clown Polo auf der dreirei­hi­gen Tribüne herum. Von Zirkusp­far­rer Adri­an Bolz­ern keine Spur, obwohl sein mit «Pfar­rer Bolz­ern» bunt beschriftetes Auto unüberse­hbar im Parkhaus ste­ht. «Er ist einkaufen gegan­gen», weiss Clown Pipoli. Das Gesicht der Wer­be­fly­er- und ‑plakate für den Wei­h­nacht­szirkus Stey gehört zum drit­ten Mal dem Ensem­ble an, das im Pila­tus­markt auftritt. Seit eh und je dabei ist Clown Polo. Kein Wun­der. Steckt doch hin­ter der Masker­ade Rolf Stey, der Seniorchef des gle­ich­nami­gen Tra­di­tion­szirkus. «Wir sind die älteste Gauk­ler- und Artis­ten­dy­nas­tie der Schweiz, wenn nicht die Älteste Europas», begin­nt der gesprächige 72-Jährige. «Unser Stamm­baum lässt sich bis ins Jahr 1437 zurück ver­fol­gen.»

Messerscharf

Vor vier Jahren hat Rolf Stey die Direk­tion des Fam­i­lien­be­triebs seinem Sohn Mar­tin über­tra­gen. Der Wei­h­nacht­szirkus im Pila­tus­markt hinge­gen ist noch immer sein Ding. Vor dem Hauptein­gang ins Shop­ping­paradies ste­hen die Stey-Wohn­wa­gen gemütlich grup­piert zusam­men. Ein im alten Stil gebauter, aber offen­sichtlich neuer Wohn­wa­gen sticht beson­ders ins Auge. Darauf ange­sprochen, strahlt der Seniorchef. «Den habe ich eigen­händig gebaut. Mit allem. Mod­ern­ste Küche. Luxus­badez­im­mer samt Clo­so­mat. Meine Frau möchte am lieb­sten nur noch in diesem Wohn­wa­gen und gar nicht mehr in unserem Haus wohnen.» Im Früh­ling hat der handw­erk­lich Begabte mit dem Bau seines Schmuck­stücks begonnen. Seit Herb­st ist das fahrende Zuhause in Betrieb. Rolf Stey ist ein Tausend­sas­sa. «Wis­sen Sie, in unserem Zirkus müssen sie ein All­rounder sein. Wir repari­eren auss­er den Last­wa­gen alles sel­ber», so der ehe­ma­lige Artist, der als Einziger weltweit seinen Hoch­seilakt mit ein­er Messer­w­er­fer­num­mer vere­inen kon­nte.

Brotkörbchen

Leicht auss­er Atem trifft nun Adri­an Bolz­ern ein. Unterm Arm zwei Brotkör­bchen. Die Preiss­childer noch dran. «Ich habe die Opfer­kör­bchen vergessen», lacht der in Aarau tätige Priester und ent­fer­nt die Etiket­ten. Der­weil platzieren sich bere­its vere­inzelte Gottes­di­en­st­gäste auf den Bänken und in den Logen. Unter ihnen Fam­i­lie Ercolani. Sie besucht schon seit Jahren diese Feier, weil sie die Kom­bi­na­tion von Wort­gottes­di­enst und artis­tis­chen Ein­la­gen schön find­et. Sohn Yamiro freut sich auf die Hun­de­num­mer: «Ich habe sie bei der Probe gese­hen.» Auch Schwest­er Lean­dra find­et die Hündli lustig und weiss zusät­zlich etwas von ein­er Num­mer mit Kerzen. Alessia meint: «Mir gefällt der Wei­h­nacht­szirkus im Shop­ping­cen­ter, weil er jedes Jahr anders ist.» Auch Rolf Stey rühmt seine Artis­ten, die heuer aus Deutsch­land, Kuba, Rumänien, der Schweiz und Chi­na oder wie das Live-Orch­ester aus Polen kom­men. «Es ist nicht selb­stver­ständlich, dass sie in ein­er so kleinen Man­age auftreten. Und gell Adi, du hat­test in dieser May­on­naise deinen allerersten Auftritt.»

Dort, wo die Leute sind

In der Tat gab Adri­an Bolz­ern vor drei Jahren hier seinen Ein­stand als Nach­fol­ger von Ernst Heller in der Seel­sorge der Zirkusleute, Schausteller und Mark­thändler. Mit­tler­weile ist er ins­beson­dere mit der Fam­i­lie Stey eng ver­bun­den. Taufte vor weni­gen Wochen Rolf Steys gle­ich­nami­gen Enkel und plant mit den Steys eine Aktion zum Zirkustag 2017 des Pas­toral­raums Aarau. War Adri­an Bolz­ern bish­er 70 Prozent als Priester in Aarau tätig und 30 Prozent als Zirkusp­far­rer, ver­schieben sich die Pensen auf Anfang 2017 zu je 50 Prozent. «Wenn ich die Auf­gabe als Seel­sorg­er der Zirkusleute, Schausteller und Mark­thändler ernst nehmen will, braucht es diesen Ein­satz», der dem 37-Jähri­gen auf den Leib geschnei­dert scheint. Seine Begeis­terung für diese Auf­gabe grün­det vor allem in seinem Ver­ständ­nis von Seel­sorge, «die dor­thin gehen soll, wo die Leute sind».

Fanfare

Unter der wach­senden Zahl von Zirkus­gottes­di­enst-Besucherin­nen und –Besuch­ern sitzt Eduard Lötsch­er. Seit 30 Jahren ist er Mit­glied im «Club der Circus‑, Var­iété- und Artis­ten­fre­unde der Schweiz» und nicht nur mit den anwe­senden Grössen, son­dern schlicht der ganzen Szene per Du. «In mein­er Jugend gab es in der Freizeit noch wenig Abwech­slung. Darum habe ich die Zirkuswelt schätzen gel­ernt», so der Her­giswiler und bevor er weit­er bericht­en kann, set­zt die Zirkus­band zur Fan­fare an, Clown Pipoli und Clown Polo heben den Samtvorhang und in die Manege tritt Pfar­rer Bolz­ern im Mess­ge­wand mit far­ben­fro­her Sto­la, bestickt mit Zirkus- und Schausteller­mo­tiv­en.

Symbol Weihnachtspyramide

Der Gottes­di­enst begin­nt in Erin­nerung an den eben erst ver­stor­be­nen, 49-jähri­gen Leit­er des Pila­tus­mark­ts. Das Licht der Osterk­erze soll ihn begleit­en. Noch liegt etwas Ner­vosität in der Stimme von Adri­an Bolz­ern. Er erwäh­nt den Feiertag Maria Him­melfahrt statt Maria Empfäng­nis. Find­et jedoch rasch zur gewohnt gelasse­nen Form, als die Wei­h­nacht­spyra­mide mit Hil­fe der Clowns entzün­det ist, sich flott dreht und er die dazu passende Geschichte erzählen kann. «Jesus war ein­er, der das Leben feierte», schliesst der Pfar­rer seine fro­he Botschaft. «Um eine solche Mitte drehe ich mich gerne», sagt er in Anlehnung an die Pyra­mide, bei der auf ver­schiede­nen Eta­gen Hirten, Könige sowie Tiere um die heilige Fam­i­lie rotieren. Eben­falls auf den Sym­bol­ge­gen­stand bezo­gen, lädt er alle Anwe­senden ein, «Licht­träger in unser­er Zeit zu sein».

Witzige Pointe

Zwis­chen Worten, Gebeten und Für­bit­ten treten die Artistin­nen und Artis­ten in Aktion: Während die «Crazy Dogs» mit ihren flinken Pfoten die Lach­muskeln stim­ulieren, stra­paziert der smarte Anto­nio mit sein­er waghal­si­gen Akro­batik an der Polestange dur­chaus das Gottver­trauen. Irgend­wann taucht Mar­tin Stey mit Fam­i­lie auf. Die kleine Tochter gesellt sich schnurstracks zu ihrer Nani, Irene Stey, welche das Pro­gramm mod­eriert. Klein Rolf wird von Clown Polo herumge­tra­gen und ver­sucht krampfhaft her­auszufind­en, wer denn dieser Mann unter der Schminke sein kön­nte, der­weil die chi­ne­sis­che Schlangen­frau auf Kopf, Hän­den und Füssen Stän­der bal­anciert, die mit bren­nen­den Kerzen bestückt sind. Zum «Vater unser» beruhigt sich das Geschehen etwas, alle Kinder sind ein­ge­laden, in die Manege zu kom­men, gemein­sam zu beten und her­nach den Frieden in die Ränge hin­auszu­tra­gen. Dank, Segen – und Pfar­rer Bolz­ern typ­isch – ein Witz beschliessen die lebens­fro­he und lichtvolle Feier.

Kirche im Einkaufswagen

Nach dem Gottes­di­enst ver­sam­melt sich die ad hoc-Gemeinde vor dem Bril­lengeschäft zum gespon­serten Apéro. Die Artis­ten schenken Jus und Scham­pus aus. Adri­an Bolz­ern rollt einen Einkauf­swa­gen in die Manege und füllt ihn mit den Uten­silien, die er für die kirch­liche Feier genötigte. Inklu­sive Brotchör­bli, die ihre Feuer­taufe als Opfer­stöck­li bestanden haben.

Bescheidene Besinnung

Auf Luzern fol­gt Solothurn: Am 11. Dezem­ber feiert Adri­an Bolz­ern mit dem Zirkus Gasser Wei­h­nachts­gottes­di­enst. Und am 24. Dezem­ber fol­gt der Wei­h­nachts­gottes­di­enst im Salto Natale. «Ich kann dort natür­lich nie lange bleiben, weil ich an Heili­ga­bend auch bei uns im Pas­toral­raum im Ein­satz bin. Dieses Jahr in Ent­felden», meint der Vielbeschäftigte. Bleibt da über­haupt noch Zeit, wei­h­nächtliche Einkehr zu hal­ten? «Nein, seit ich in der Kirche arbeite, ist diese Zeit ein­fach zu streng», gibt er unumwun­den zu.

Frohe Festtage

11.30 Uhr. Adri­an Bolz­ern schiebt sein litur­gisch bestück­tes Posti­wägeli hin­ter den Samtvorhang und mis­cht sich unter die Apérogäste. Lernt den neuen Leit­er des Pila­tus­mark­ts ken­nen. Stösst mit den Steys an. Lässt sich von der Leut­seligkeit der Zirkus­fam­i­lie ansteck­en und lebt insofern das, was er eben grad gepredigt hat: «Jesus war ein­er, der das Leben feierte. Um eine solche Mitte drehe ich mich gerne.» Ganz nach dem Mot­to: Fro­he Fest­tage.
Redaktion Lichtblick
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