Zwi­schen Schwarz und Weiss – Ein Dia­log ohne Parolen
Jasmin El-Sonbati (l.) und Gabrielle Girau Pieck (r.), wagen sich an tabuisierte Grenzlinien, um über den Nahostkonflikt ins Gespräch zu kommen.
Bild: © Leo­nie Wollensack

Zwi­schen Schwarz und Weiss – Ein Dia­log ohne Parolen

«Feind und/oder Freund?» hiess die Veranstaltung des ​­Forums für Zeitfragen, bei der Jasmin El-Sonbati und ­Gabrielle Girau Pieck verschiedene Narrative zum ­Nahostkonflikt herausarbeiteten. An den Impulsfragen ​von Theologin Regula Tanner orientiert, erzählen sie, wie sie dazu kamen, nach ­Ausdrücken jenseits von proisraelischen und ­propalästinensischen Aussagen zu suchen.


Das gegen­sei­ti­ge Leid anerkennen


Jas­min El-Son­ba­ti ist Ara­be­rin und als jun­ge Schü­le­rin in den 1960er Jah­ren in Kai­ro mit einer, wie sie es bezeich­net, «ägyp­ti­schen, anti­is­rae­li­schen Pro­pa­gan­da indok­tri­niert wor­den». Damals war für sie klar: «Israe­li sind die Bösen.» Mit 13 Jah­ren zog sie in die Schweiz. Sie erin­nert sich, wie irri­tiert sie war, als sie in den schwei­ze­ri­schen Läden Jaf­fa-Oran­gen ent­deck­te. Wie konn­ten die Men­schen hier die­se Oran­gen des «Fein­des» ver­kau­fen?
Und doch konn­te sie sich spä­ter von die­sen Ein­stel­lun­gen lösen. In ihrer neu­en Schu­le in der Schweiz hat­te sie eine israe­li­sche Mit­schü­le­rin. Obwohl sie Israe­li bis­her als ihre Fein­de ange­se­hen hat­te, merk­te sie, dass sie mit die­sem Mäd­chen mehr kul­tu­rel­le Gemein­sam­kei­ten hat­te als mit den ande­ren Jugend­li­chen in der Klas­se. Ein «du weisst ja, wie das bei uns ist» mach­te den bei­den Mäd­chen deut­lich, dass es nicht nur Tren­nen­des, son­dern eben auch Ver­bin­den­des gab. El-Son­ba­ti lern­te in der Bezie­hung zu die­sem Mäd­chen ihre Vor­ur­tei­le abzu­bau­en, der per­sön­li­che Kon­takt ver­än­der­te ihre Ein­stel­lung. Seit die­sem Moment lässt sie eine Fra­ge nicht mehr los: «Wie kom­men wir zusam­men, und wie kön­nen wir ler­nen, Empa­thie für­ein­an­der zu emp­fin­den?»
Für El-Son­ba­ti ist klar: «Ein Mensch mit Empa­thie muss in einer histo­ri­schen Dif­fe­ren­ziert­heit natür­li­cher­wei­se sagen: ‹Mit die­sem Kon­flikt und damit, wie er von bei­den Sei­ten aus­ge­tra­gen wird, kann ich nicht ein­ver­stan­den sein.›»
El-Son­ba­tis gröss­te Sor­ge ist, dass es nicht mög­lich sein wird, mit der ara­bi­schen Sei­te ein Gespräch über den Kon­flikt zwi­schen Palä­sti­na und Isra­el zu füh­ren, in dem Empa­thie für die ande­re, die israe­li­sche, Sei­te auf­ge­bracht wird. Wenn sie in Ägyp­ten sagt, dass sie nicht gegen Isra­el ist, wird ihr vor­ge­wor­fen, sie sei «zio­ni­stisch unter­wan­dert». Auf­ge­ben ist für sie jedoch auch ange­sichts die­ser Schwie­rig­kei­ten kei­ne Opti­on. Sie ver­sucht wei­ter­hin, einen Zugang zu den Men­schen zu fin­den, zum Bei­spiel, indem sie Emp­fin­dun­gen spie­gelt. Trotz der Sor­gen und einer gros­sen Mut­lo­sig­keit ist El-Son­ba­ti auch hoff­nungs­voll und wünscht sich, dass Men­schen aus Palä­sti­na und Isra­el, Mus­li­me und Juden in Wür­de und mit Empa­thie mit­ein­an­der ins Gespräch kommen.

Jas­min El-Son­­ba­ti ist die Toch­ter einer Öster­rei­che­rin und eines Ägyp­ters. Gebo­ren in Wien, ver­brach­te sie ihre Kind­heit in Kai­ro, bevor sie mit 13 Jah­ren in die Schweiz kam. Sie ist Leh­re­rin in Basel und Mit­be­grün­de­rin des «Forum für einen fort­schritt­li­chen Islam».


Durch reflek­tier­te Spra­che neue Per­spek­ti­ven eröffnen


Die Fami­lie, in die sie hin­ein­ge­bo­ren wur­de, bezeich­net Gabri­el­le Girau Pieck als «sehr zio­ni­stisch». Auch die Syn­ago­ge, in die sie in den USA als Kind und Jugend­li­che ging, war zio­ni­stisch. Dass auch ara­bi­sche Men­schen in Isra­el leben, wur­de ihr erst mit 12 Jah­ren bewusst, als Girau Pieck zum ersten Mal in Isra­el war. Kon­takt mit palä­sti­nen­si­schen Men­schen hat­te sie erst­mals wäh­rend der Jah­re, die sie für ihr Stu­di­um in Jeru­sa­lem ver­brach­te. Eben­falls wäh­rend die­ser Zeit fuhr sie gemein­sam mit einer Freun­din für ein Inter­view zu einem Regis­seur nach Naza­reth. Auf dem Rück­weg sties­sen sie auf eine Demo, sahen Pla­ka­te und hör­ten Rufe: «Israe­lis sind Mon­ster». Demon­strie­ren­de began­nen, die bei­den Frau­en mit Stei­nen zu bewer­fen. In Todes­angst rann­ten sie zur Bus­hal­te­stel­le, an der sich sie­ben Frau­en in Hijabs auf­hiel­ten. Die Frau­en erkann­ten die Situa­ti­on und nah­men die bei­den Israe­lin­nen zwi­schen sich, um sie zu schüt­zen. Die­se Begeg­nung hat einen tie­fen Ein­druck bei Girau Pieck hin­ter­las­sen, und in ihr form­te sich der Wunsch, eine Lösung für die Situa­ti­on in Isra­el und Palä­sti­na zu fin­den.
Im Gespräch mit Fami­lie, Freun­din­nen und Freun­den in Isra­el spürt sie eine Ver­zweif­lung, aber auch ein Bewusst­sein, dass es in Palä­sti­na «zwei Mil­lio­nen See­len gibt» und dass die Fra­ge im Raum steht: «Wie geht es mit die­sen Men­schen wei­ter?»
Wie aber nach Lösun­gen suchen? Für Girau Pieck steht davor zunächst ein ande­rer Schritt, eine ande­re Fra­ge: Wie spre­chen wir über den Kon­flikt? Wel­che Wor­te fin­den wir? Als Mit­grün­de­rin und ehe­ma­li­ges Vor­stands­mit­glied des «Inter­re­li­giö­sen Think-Tanks» hat sich Girau Pieck in den letz­ten Jah­ren inten­siv mit die­sem The­ma befasst und gemein­sam mit den ande­ren Expo­nen­tin­nen einen Leit­fa­den für den inter­re­li­giö­sen Dia­log ent­wickelt. Girau Pieck möch­te bei­spiels­wei­se mit neu­en Begrif­fen arbei­ten. Sie ori­en­tiert sich dabei an Erfah­run­gen mit der Gen­der­spra­che, die zei­gen, dass neue For­mu­lie­run­gen neue Räu­me in den Gedan­ken der Men­schen öff­nen kön­nen. Durch neue Ter­mi­no­lo­gien für den Lebens­raum von Israe­li und Palästinensern/innen möch­te sie die Mög­lich­keit schaf­fen, die­ses Gebiet der Erde neu zu begreifen.

Gabri­el­le Girau Pieck wur­de in Oma­ha, in den USA in eine libe­ra­le jüdi­sche Fami­lie gebo­ren, hat von 1992 bis 1995 an der Uni­ver­si­tät in Jeru­sa­lem stu­diert und ist heu­te Leh­re­rin in Basel. Sie ist Mit­grün­de­rin des «Inter­re­li­giö­sen Think-Tanks» (www-interrelthinktank.ch).

Leonie Wollensack
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