Als Format der ersten Fernsehstunde hat es dazu beigetragen, dass sich das Fernsehen als seriöses Medium etablieren konnte. Die Römisch-Katholische, die Reformierte und die Christkatholische Landeskirche haben im Wort zum Sonntag ein wöchentliches Gefäss, in dem sie das Zeitgeschehen aus christlicher Sicht deuten können. Charles Martig, Geschäftsführer und Leiter des Ressorts Radio und Fernsehen beim Katholischen Mediendienst, im Interview.Wie kam es dazu, dass das Wort zum Sonntag im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt wird?
Charles Martig: Anders als in Deutschland, gibt es in der Schweiz keine gesetzliche Verpflichtung, eine Sendung wie das Wort zum Sonntag auszustrahlen. Die Zusammenarbeit zwischen dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) und den Kirchen ist vor rund sechzig Jahren entstanden, zunächst durch die Ausstrahlung der Gottesdienste. Dann kam recht bald auch das Wort zum Sonntag dazu. Es ist ein Format der ersten Stunde. Das Fernsehen hatte in seinen Anfängen ein «Imageproblem» und musste sich erst als seriös erweisen. Die Kirchen haben dazu beigetragen. Heute ist das Wort zum Sonntag eine Art Saurier in der Fernsehlandschaft. Es gibt sonst keine derartige Sendung in deutschsprachigen Programmen. Das Besondere in der Schweiz ist, dass es in der Primetime ausgestrahlt wird, samstags kurz vor 20 Uhr. Das Schweizer Fernsehen ist der Meinung, dass es sinnvoll ist, Gedanken aus christlicher Sicht zu zeigen – und dies zur besten Sendezeit.
Inwiefern hat sich das Wort zum Sonntag in den 60 Jahren verändert?
Wenn man oberflächlich schaut, sieht man einen Sprecher in die Kamera schauen und etwas erzählen und ich als Zuschauer höre zu. Über die Jahrzehnte kann man allerdings sehen, dass sich das Format weiterentwickelt hat. Es gibt heute andere Einstellungen und mehr Kamerabewegungen. Es gibt auch einmal im Jahr die Chance, dass ein Sprecher sagt, ich will das «Wort zum Sonntag» draussen einspielen, ausserhalb das Studios. Das ist dann zwar mit Mehrkosten und Mehraufwand verbunden, macht die entsprechende Ausgabe aber natürlich viel lebendiger und publikumswirksamer.
Lohnt sich die Ausstrahlung, rein von den Zuschauerzahlen her?
Die Zahlen bewegen sich zwischen 300´000 und 450´000 Zuschauern. Vom Sendeplatz her liegt es nach der Tagesschau und Meteo und profitiert damit von den hohen Zuschauerzahlen im Hauptprogramm von Fernsehen SRF 1. Für die Kirchen lohnt sich die Ausstrahlung also auf jeden Fall. Wie viele Zuschauer dabei aktiv zuhören, lässt sich natürlich schwer feststellen.
Das Wort zum Sonntag hat mehrere Sprecher. Wie ist die Verteilung?
Die Zauberformel, die zwischen SRF und den Landeskirchen abgesprochen ist, besteht aus zwei katholischen und zwei reformierten Sprechern. Darüber hinaus gibt es noch Platz für einen Christkatholiken, wenn es einen geeigneten Kandidaten gibt.
Wie genau arbeitet der Mediendienst mit dem SRF zusammen? Beraten Sie auch inhaltlich?
Die Beratung betrifft nur einen Teil der Zusammenarbeit. Die Kooperation geht weit darüber hinaus. Seit den 1970er-Jahren gibt es bezüglich der Gottesdienstübertragungen, Radiopredigten und dem Wort zum Sonntag eine Vereinbarung zwischen dem Schweizer Radio und Fernsehen und den kirchlichen Mediendiensten. Bei uns im Mediendienst arbeitet der Kapuziner Bruno Fäh als Radio- und Fernsehbeauftragter, der mit der Redaktion Religion zusammenarbeitet; also auch mit Sternstunde Religion und den Fachjournalisten beim Radio SRF. Dort werden die Gefässe gemeinsam entwickelt. Die Vorschläge für die katholischen Sprecher kommen von uns. Pascale Huber schlägt die Sprecher für die reformierte Seite vor. Dann wird durch das Auswahlverfahren gesiebt. Wir schauen, ob die Sprecher kameratauglich sind. Wir achten auf ein Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen und überlegen, wie viele hochdeutsche Stimmen verträglich sind. Es gibt eine Art Zauberformel für das Wort zum Sonntag, die wir mittragen. Bis und mit Auswahl des Sprechers stehen wir in der Kooperation mit SRF. Die Verantwortung für die einzelne Sendung liegt dann beim jeweiligen Sprecher und der zuständigen Redaktion. Die Endredaktion liegt bei den verantwortlichen Redaktoren bei SRF. Diese Zusammenarbeit ist vertraglich geregelt, aber nicht im Sinne einer Gesetzespflicht, sondern im Rahmen einer Vereinbarung.
Sie haben die verschiedenen Gefässe erwähnt: Wort zum Sonntag, Gottesdienstübertragungen und Sternstunde Religion. Wie gefragt sind heute noch die Gottesdienstübertragungen?
Es ist erstaunlicherweise so, dass die Gottesdienste mit 130´000 bis 140´000 Hörern am Radio stärker konsumiert werden, als im Fernsehen. Da sind es nur 30´000 bis 40´000 Zuschauer. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Zielgruppe sehr radioaffin ist. Es ist die Gruppe der über 60-jährigen, die selber nicht mehr in den Gottesdienst gehen können und dennoch ihre Sonntagspflicht erfüllen wollen. Die Übertragung im Fernsehen hat eher eine Symbolwirkung. Dennoch ist sie wichtig für uns als Kirchen. Umfragen zeigen, dass sogar die Leute, die nicht mehr besonders kirchennah sind, die Übertragungen für wichtig halten. Selbst, wenn sie am Sonntagmorgen um 10 Uhr noch im Bett liegen, bereits auf einem Sonntagsausflug sind oder sonst nicht schauen würden.
Ist das nicht etwas absurd?
Nein, da gibt es eine Logik hinter diesen Zahlen. Die Gottesdienstübertragungen am Fernsehen haben in der Schweiz den Stellenwert eines Service public. Es gibt immer noch viele Kulturkatholiken in der Schweiz. Sie haben keinen persönlichen Bezug mehr zu Kirche, halten aber bestimmte kirchliche Leistungen im öffentlichen Raum für wertvoll. Das gilt auch für Klöster. Für die Kulturkatholiken ist es wichtig, dass es einen Ort gibt, an dem für die Gesellschaft gebetet wird und eine spirituelle Tradition fortgeführt wird. Es handelt sich dabei um das Gefühl einer Absicherung im Hintergrund, die mit der katholischen Sozialisierung zu tun hat. Auf der anderen Seite gibt es ein festes Stammpublikum, das Gottesdienste am Fernsehen «besucht». Vor drei Jahren wurde eine Umfrage gemacht die zeigte, dass diese Zielgruppe sehr stark an das Format gebunden ist. Diese Gruppe verändert sich auch kaum: es sind meist Frauen im Alter 60 plus. Sie singen zum Beispiel vor dem Bildschirm mit. Deshalb ist es so wichtig, die Liedtexte einzublenden. Im Prinzip ist es eine aktive Teilnahme, eine Form der «Participatio actuosa» über das Medium Fernsehen.
Doch diese Zielgruppe stirbt irgendwann aus; gibt es irgendwann den Punkt, wo ein Format wie ein Fernseh-Gottesdienst keinen Sinn mehr ergibt, weil das Zielpublikum nicht mehr da ist?
Wir haben diese Frage in den letzten Jahren mit dem SRF diskutiert und in Umfragen ausführlich ausgewertet. Wir hatten überlegt, das Format moderner zu gestalten – mit Interviews und Magazineinheiten. Das Fernsehen hat uns interessanterweise gesagt, dass sie das nicht wollen. Die Zielgruppe bewegt sich kaum, das heisst, wenn man das Format dahingehend verändert, verliert man das Stammpublikum. Dennoch achten wir bei der Gestaltung auf einen Mehrwert: mit volkstümlicher Musik, oder mit einer Jodlermesse am Eidgenössischen Musikfest in Davos. Populäre Volksmusik ist ein Publikumsmagnet, oder die Teilnahme von Kindern und Jugendlichen. Es ergibt aber derzeit wenig Sinn einen Jazz-Gottesdienst anzubieten. Der Wunsch des Publikums ist ganz klar: ein eindeutig katholischer Gottesdienst mit volkstümlichen Elementen. Weil wir für die nächsten fünf bis zehn Jahre von einer stabilen Zuschauergruppe ausgehen, bleibt das Format im Grundsatz auf dieser Linie. Weiter in die Zukunft traue ich mich nicht, zu prognostizieren.
Wie sieht es mit der Relevanz der Kirchen im gesellschaftlichen Alltag aus? Immer weniger fühlen sich zu einer Kirche zugehörig.
Die Frage nach dem kulturellen Wandel geht in zwei Richtungen. Einerseits die starke Zunahme von Konfessionslosen und andererseits die stärkere kulturelle Durchmischung der Gesellschaft und Religionslandschaft durch Zuwanderung. Das Gottesdienstformat in diese Richtung zu öffnen, würde dazu führen, dass es auseinanderfällt. Wir suchen also im Moment nach neuen Gefässen. Beispielsweise, indem man Angehörige verschiedener Religionen mischt, die dann eine Aufgabe bekommen, die sie gemeinsam lösen müssen. Das wären unterhaltende Formate und eher für das jüngere Publikum. Im Fachjargon sprechen wir von «Factual Entertainment», das ist ein Unterhaltungsformat, das von echten Menschen und Situationen ausgeht. Wir stellen heute fest, dass Religion in Form von Unterhaltung in Radio und Fernsehen kaum vorkommt. Das könnte man meiner Meinung nach stärker verbinden. Warum nicht eine Mischung aus Information und humorvollen Elementen? Im katholischen Sprachgebrauch würde man das «Erbauung» nennen.
Wie wird zum Beispiel der wachsenden muslimischen Gemeinschaft Rechnung getragen? Kann man das Wort zum Sonntag im Hinblick auf den Islam öffnen?
Ich glaube im Moment ist die Deutschschweizer Gesellschaft nicht reif für das Thema. Wenn das Thema aufkommt, wird schnell geschimpft. Da werden Ängste geweckt und Konflikte brechen auf. Es wäre heute also äusserst kontraproduktiv, wenn wir einen Muslimen auf dieser Plattform seine religiöse oder spirituelle Deutung von Zeitgeschehen vermitteln lassen würden. Wir hätten auch vermutlich nicht die Möglichkeit einen solchen Sprecher vor der Welle der Kritik zu schützen, die dann zu erwarten ist. Es ist für uns als Medienmacher sehr wichtig, dass wir die Leute, die vor der Kamera stehen, redlich behandeln und im Falle eines Konflikts vor dem Druck der Öffentlichkeit schützen können. Bei einem Vertreter einer islamischen Gemeinschaft hätten wir kaum eine Chance dies zu tun. Dafür wäre eine neue Plattform notwendig. Auch wenn es wünschenswert wäre, dass Wort zum Sonntag auch anderen Religions-Gemeinschaften offen stünde.
Provokativ nachgefragt: Wäre es weniger problematisch, wenn ein Rabbiner sprechen würde?
Es ist möglich, dass die Reaktionen milder ausfallen würden. Ein Rabbiner wäre vermutlich eher zu vertreten. Es hängt aber auch sehr viel davon ab, wie derjenige auftreten würde. Wenn wir einen orthodoxen Rabbiner auftreten lassen würden, der eventuell fundamentalistische Ansichten vertritt, hätten wir auch ein Problem. Es hängt also sehr davon ab, aus welcher Grundhaltung heraus jemand spricht. Das gilt für alle drei Religions-Gemeinschaften, auch für Christen. Es kann sich keiner leisten, gegen den Grundtrend der Schweizer Gesellschaft zu sprechen. Schlussendlich entscheiden nicht wir als Kirchen, ob das geht. Wir können anwaltschaftlich in den nächsten Jahren in diese Richtung wirken, können Testgelände suchen. Doch ich denke, wir sind noch nicht bereit dafür, die starke Multikulturalität im staatlichen Fernsehen auszuhalten, das mit Swissness und auch eher mit traditionellen Werten verknüpft wird. Der zweite Aspekt ist, dass wir auf Seiten der anderen Religions-Gemeinschaften keine Ansprechpartner haben, die befugt sind für alle zu sprechen. Es gibt zum Beispiel keinen Vertreter für alle Muslime in der Deutschschweiz. Solange wir einen solchen Kontaktpartner nicht haben, können wir das nicht verantwortet machen. Die Gefahr ist, dass dann die Reaktion kommt: der spricht nicht für uns, sondern nur für einen kleinen Teil der Muslime. Und das gilt auch für die jüdische Seite. Es ist also strukturell nicht möglich und es würde stark der Erwartungshaltung der Schweizer Zuschauer zuwiderlaufen. Es ist für mich eine Form der interreligiösen Klugheit, diesen Schritt im Moment nicht zu wagen.
Der Titel zum Jubiläums-Podium im September heisst «Der Tweet zum Sonntag». Ist das tatsächlich eine neue Form, oder nur der Titel für das Podium?
Wenn man ein so starkes Gefäss mit so einem Erfolg hat, wie das Wort zum Sonntag es darstellt, dann will man nicht nur zurückblicken, sondern fragt auch, wie es weiter geht. Der Anlass am 17. September in Zürich ist für einen solchen Ausblick gedacht. Wir haben uns überlegt, den Titel journalistisch zuzuspitzen und zu fragen: Was gibt es für neue Gefässe – auch in Ergänzung zum klassischen Wort zum Sonntag. Das Format könnte durchaus offener und dialogischer gestaltet sein. Zum Beispiel indem das Publikum das Thema mitbestimmt, oder die Zuschauenden während und nach dem Wort zum Sonntag in Interaktion mit dem Sprecher treten.
Es gibt also noch keinen tatsächlichen Tweet zum Sonntag?
Es gibt einen Twitterkanal, aber der ist noch nicht aktiv gepflegt. Der Titel ist Zeichen dafür, dass sich das Wort zum Sonntag weiterentwickelt und nicht auf dem heutigen Level stehenbleibt. Sonst wäre die Sendung wirklich ein Anachronismus. Die zweite Absicht besteht darin, dass wir mit prominenten Podiumsteilnehmern diskutieren wollen. Die entscheidende Frage für die Kirche heute ist nicht, ob man das Wort zum Sonntag am Samstagabend halten kann oder nicht. Die Frage ist eher, wie können wir in Zukunft mehr mit Leuten kommunizieren, die kirchendistanziert sind? Was machen wir mit der Gruppe der Konfessionslosen? Sie sind in grosser Distanz zu den Kirchen, haben aber auch Interesse an Religion und Kultur. Ob wir im Hinblick auf diese wachsende Gruppe neue Konzepte entwickeln und umsetzen können, die deren Anliegen gerecht werden ist die spannende Frage für die Zukunft. Und drittens: Wie erreichen wir das jüngere Publikum? Das ist nebenbei auch für SRF eine Kernfrage, denn das Durchschnittsalter beim Schweizer Fernsehen liegt bei 57 bis 58 Jahren. Da sind wir als Kirchen also in guter Gesellschaft.
Bei Tweet zum Sonntag denkt man sofort an den ehemalige Abt Martin Werlen. Er war sehr erfolgreich im Umgang mit den neuen Kommunikationswegen. Wie schlagen sich die Kirchen im SocialWeb? Sind sie erfolgreich?
Der springende Punkt ist, dass man den Willen zur Kommunikation mitbringt. Diesen hat man bei Martin Werlen deutlich wahrgenommen. Er war authentisch und ging aktiv in den Dialog mit suchenden Menschen. Bei Facebook sehe ich, dass viele kirchliche Seiten bei ein paar hundert «likes» hängen bleiben und das war es dann. Die Menschen, die im Internet unterwegs sind merken, ob Seitenbetreiber aus einem echten Kommunikationswunsch heraus ihre Seite betreiben, oder nur, damit sie einfach dort vertreten sind. Wenn ich wirklich kommunizieren und in Kontakt treten will, wenn ich da authentisch bin, kommt das an und ich habe Erfolg. Bedingung dafür ist, dass ich bereit bin auch Zeit in diese Kommunikation zu investieren. Da ist auf kirchlicher Seite häufig noch Nachholbedarf.
www.kath.ch