Zufluchts­raum Kirche

Zufluchts­raum Kirche

In Lau­sanne und Basel ver­schan­zen sich abge­wie­se­ne Asyl­be­wer­ber in beset­zen Kir­chen und beru­fen sich auf das Kir­chen­asyl. Ein Vor­ge­hen, dass Schu­le machen könn­te, wenn die Schweiz gegen­über Asyl­su­chen­den einen här­te­ren Kurs fährt. Im Aar­gau haben sich ein­zel­ne Seel­sor­gen­de sowie Ver­tre­ter von Flücht­lings­or­ga­ni­sa­tio­nen mit der «Was wäre wenn»-Frage beschäftigt.Der Sei­ten­ein­gang der Mat­thä­us­kir­che in Basel. Eine graue Haras­se, zuge­deckt mit einem Brett. Dar­auf zwei Zet­tel: «Wir blei­ben», steht in drei Spra­chen auf dem einen; er zeigt rote Bei­ne auf blau­em Grund. Auf dem ande­ren, links dane­ben, ist eine Lebens­mit­tel-Wunsch­li­ste. Seit bald drei Wochen leben die abge­wie­se­nen Asyl­be­wer­ber, denen die unmit­tel­ba­re Aus­schaf­fung droht, gemein­sam mit eini­gen Akti­vi­sten im Unter­ge­schoss der Mat­thä­us­kir­che. Am 7. Febru­ar 2016 ver­kün­de­te die Grup­pe im mul­ti­na­tio­na­len «Mit­enand Got­tes­dienst»: «Wir blei­ben!» Die Akti­on stiess sei­tens der Got­tes­dienst­teil­neh­men­den auf Wohl­wol­len. Die Evan­ge­lisch-Refor­mier­te Kir­che Basel-Stadt spricht in ihrem Com­mu­ni­qué von «Haus­frie­dens­bruch», dul­det den Zustand aber vor­erst.Mit einer Beset­zung ein Zei­chen setzen Ist die­se Form von Wider­stand gegen bestehen­des Asyl­recht ein sinn­vol­les Mit­tel? «Es hat vor allem die Wir­kung, dass der Pro­zess der Abschie­bung ver­län­gert und der ein­zel­ne Fall viel­leicht noch­mals genau­er ange­schaut wird», sagt Marie-Eve Morf, Sozi­al­dia­ko­nin und refor­mier­te Seel­sor­ge­rin im Bun­des­asyl­zen­trum Brem­gar­ten. Patri­zia Bert­schi, Prä­si­den­tin des Ver­eins Netz­werk Asyl Aar­gau, erklärt: «Man kann damit ein Zei­chen set­zen. Das ist legi­tim. Wenn ein Flücht­ling nach dem Dub­lin-Abkom­men in das Erst-Auf­nah­me­land aus­ge­schafft wer­den muss und die Zustän­de dort nicht trag­bar sind, kann man mit einer Beset­zung dar­auf auf­merk­sam machen. Doch das Gesetz ist sehr klar for­mu­liert und kann auf die­sem Weg nicht geän­dert wer­den.» Die Akti­vi­sten in Basel schrei­ben auf ihrer Home­page dar­um auch, dass sie neben dem Schutz der abge­wie­se­nen Asyl­be­wer­ber einen «Raum für Begeg­nung und Aus­tausch» schaf­fen wol­len. Eine der jun­gen Betei­lig­ten sagt: «Wir wol­len mit der Akti­on auf das unmensch­li­che Asyl­ge­setz der Schweiz auf­merk­sam machen.»«Wir erhof­fen uns den Schutz der Kirche» Auf die Fra­ge, ob die Akti­vi­sten kon­kret von Kir­chen­asyl spre­chen, sagt sie: «Ja, schon. Wir erhof­fen uns Schutz von der Kir­che.» Die­sen Schutz gewährt die Evan­ge­lisch-Refor­mier­te Kan­to­nal­kir­che Basel-Stadt, die Eigen­tü­me­rin und Ver­wal­te­rin des Gebäu­des, inso­fern, als sie den Auf­ent­halt dul­det und im Moment von einer Anzei­ge wegen Haus­frie­dens­bruch absieht. Es gibt zwar kein klas­si­sches Kir­chen­asyl mehr, den­noch wis­sen sich die christ­li­chen Kir­chen die­ser Tra­di­ti­on ver­pflich­tet. Schutz für die Bedroh­ten – darf eine christ­li­che Kir­che da nein sagen? Auch, wenn sie – wie die Kan­to­nal­kir­che im Fall Basel – vor voll­ende­te Tat­sa­chen gestellt wird? Basel ist nicht der ein­zi­ge Ort, an dem abge­wie­se­ne und von Aus­schaf­fung bedroh­te Asyl­be­wer­ber in einem Kir­chen­raum leben. Auch in Lau­sanne ist eine Kir­che von abge­wie­se­nen Asyl­be­wer­bern besetzt. Mit den dor­ti­gen Orga­ni­sa­to­ren, dem «col­lek­tif R», haben die Akti­vi­sten in Basel zumin­dest im Vor­feld Kon­takt gehabt, man sei in ande­re Kan­to­ne ver­netzt. Ob man vor­ab im Gespräch mit Teil­neh­men­den der «Mitenand»-Gottesdienste war, oder ob man Hand bie­ten wür­de, soll­ten ande­re Grup­pie­run­gen um Orga­ni­sa­ti­ons­hil­fe oder Tipps bit­ten, lässt die Gesprächs­part­ne­rin offen.Kir­chen im Aar­gau: Was wäre wenn? Ein kon­kre­ter Fall von Kir­chen­asyl im Aar­gau ist weder Ver­tre­tern der Römisch-Katho­li­schen Lan­des­kir­che noch der Refor­mier­ten Schwe­ster­kir­che für die letz­ten Jahr­zehn­te bekannt. Und wie wür­den die Lan­des­kir­chen reagie­ren, wenn sie mit einem Fall von Kir­chen­asyl kon­fron­tiert wür­den? «Es gibt dazu kei­ne Grund­satz­dis­kus­si­on oder Stel­lung­nah­me im Kir­chen­rat, weil der Kir­chen­rat bis­her damit nicht kon­fron­tiert war. Sicher ist, dass wir jeden Fall indi­vi­du­ell anschau­en wür­den und nicht auf­grund irgend­ei­nes Prin­zips», erklärt Chri­stoph Weber-Berg, Kir­chen­rats­prä­si­dent der Refor­mier­ten Lan­des­kir­che Aar­gau. Luc Hum­bel, Kir­chen­rats­prä­si­dent der Römisch-Katho­li­schen Lan­des­kir­che Aar­gau, sagt: «Das ist abstrakt schwie­rig zu beant­wor­ten.» Doch die Lan­des­kir­che in der Funk­ti­on der Ver­mitt­le­rin? «Im Ver­mit­teln sind wir geübt», erklärt Luc Hum­bel.Kir­chen­asyl wur­de als Opti­on bereits angedacht Dass das The­ma auch im Aar­gau prä­sent ist, wird deut­lich, wenn Patri­zia Bert­schi sagt: «Es kam zwar nie dazu, doch das The­ma Kir­chen­asyl wur­de im pri­va­ten Rah­men und auch im Ver­ein vor ein paar Jah­ren durch­aus ange­spro­chen.» Es sei des­halb nicht dazu gekom­men, weil sich ent­we­der ande­re Lösun­gen erge­ben hät­ten, oder die ent­spre­chen­den Per­so­nen gegan­gen sei­en. Aus­ser­dem, so erklärt Patri­zia Bert­schi wei­ter, kön­ne das Kir­chen­asyl viel­leicht mehr Kraft ent­fal­ten und zu einem Umden­ken füh­ren, wenn «ein Kir­chen­asyl mit ande­ren Enga­gier­ten zusam­men an vie­len Orten durch­ge­führt wird, und nicht nur ver­ein­zelt wie heu­te». In Brem­gar­ten hat sich Marie-Eve Morf gemein­sam mit ihrem katho­li­schen Kol­le­ge Jai­me Armas eben­falls Gedan­ken zur «Was wäre wenn»-Frage gemacht: «Wir wür­den uns mit der Schwei­ze­ri­schen Flücht­lings­hil­fe in Ver­bin­dung setz­ten und mit dem Netz­werk Asyl und mit den Lan­des­kir­chen im Dia­log sein. Doch erzwin­gen lässt sich durch ein Kir­chen­asyl wohl kein Ent­scheid.» Beat Schalk, katho­li­scher Seel­sor­ger in der Pfar­rei Aar­au, erklärt auf Anfra­gen: «Wir wür­den als Seel­sor­ge­team bestimmt das Gespräch mit den Beset­zern auf­neh­men und die Situa­ti­on, Rah­men­be­din­gun­gen und Wei­te­res klä­ren. Zudem wäre es wich­tig, uns von einer rechts­kun­di­gen Per­son sowie von Ver­tre­tern des Ver­eins Netz­werk Asyl Aar­gau bera­ten zu las­sen. Gleich­zei­tig müss­te die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­ant­wort­li­che des Pasto­ral­raums ein­ge­schal­tet wer­den, um Infor­ma­tio­nen für die Pfar­rei und die Öffent­lich­keit gezielt und gebün­delt bereit­zu­stel­len.»Beat Schalk bringt einen wei­te­ren wich­ti­gen Aspekt zur Spra­che: «Ein Kir­chen­asyl hat eine zeit­li­che Beschrän­kung.» Einen Punkt, den auch Patri­zia Bert­schi auf­greift: «Es ist wich­tig, dass Kir­chen in das Enga­ge­ment mit ein­be­zo­gen wer­den, doch wie lan­ge kann ein Kir­chen­asyl orga­ni­siert und auf­recht erhal­ten wer­den?» In Lau­sanne jeden­falls dau­ert die Beset­zung der Kir­che bereits ein Jahr.
Anne Burgmer
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