Zeit­ge­mäs­se Form der Freiwilligenarbeit

Zeit­ge­mäs­se Form der Freiwilligenarbeit

Es gibt freud­vol­le­re Akti­vi­tä­ten, als Unter­la­gen für die Steu­er­erklä­rung vor­zu­be­rei­ten oder Ver­si­che­rungs­for­mu­la­re aus­zu­fül­len. Den­noch erle­di­gen die mei­sten Leu­te die­se lästi­gen admi­ni­stra­ti­ven Din­ge sel­ber. Es gibt aber Men­schen, denen sol­che Auf­ga­ben der­art über den Kopf wach­sen, dass sie ohne Hil­fe kei­nen Aus­weg mehr fin­den. Seit fünf Jah­ren zeigt das öku­me­ni­sche Ange­bot «Weg­be­glei­tung» Men­schen im Aar­gau einen Weg aus der Krise.Im öku­me­ni­schen Pro­jekt Weg­be­glei­tung beglei­ten Ehren­amt­li­che die Kli­en­ten mit zeit­lich befri­ste­ter, geziel­ter Hil­fe. Regio­na­le Ver­mitt­lungs­stel­len brin­gen die frei­wil­li­gen Mit­ar­bei­ter mit den Hil­fe­su­chen­den in Kon­takt und arbei­ten eine Ver­ein­ba­rung aus, die Zie­le und Ein­satz­dau­er fest­legt. In der Regel gelan­gen Sozi­al­ar­bei­ter, Pfar­rer und Fach­stel­len an die Ver­mitt­le­rin­nen und Ver­mitt­ler mit der Anfra­ge zu einer Beglei­tung.

Idee aus dem Besuchsdienst

Chri­sti­an Härt­li war von Anfang an dabei. Seit 2011 arbei­tet er auf der Fach­stel­le Dia­ko­nie der Refor­mier­ten Lan­des­kir­che Aar­gau und hat die Weg­be­glei­tung von der Pla­nungs- über die Pilot­pha­se bis zum festen Ange­bot betreut. Die Idee, eine Weg­be­glei­tung zu schaf­fen, sei von den Frei­wil­li­gen des Besuchs­diensts gekom­men, erin­nert er sich. Bei ihren Ein­sät­zen sahen sie viel Uner­le­dig­tes, das weder zu ihrem Auf­trag gehör­te, noch in ihr knap­pes Zeit­bud­get pass­te. Auf der Suche nach einem Kon­zept stiess man auf die bereits bestehen­den Weg­be­glei­tun­gen im St. Gal­li­schen und im Kan­ton Basel-Stadt. Chri­sti­an Härt­li fasst zusam­men: «Von Basel-Stadt haben wir das Kon­zept über­nom­men und auf unse­re Ver­hält­nis­se ange­passt. Als Kan­ton mit 96 katho­li­schen und 75 refor­mier­ten Kirch­ge­mein­den haben wir völ­lig ande­re Vor­aus­set­zun­gen als eine Stadt wie Basel.» Dann wur­den die Grund­la­gen erar­bei­tet, das Logo geschaf­fen und die Pilot­pha­se geplant.

Ins Cock­pit klet­tern und den Flug­schein machen

Im Früh­ling 2012 nah­men die ersten vier Ver­mitt­lungs­stel­len ihre Arbeit auf. Es waren die zwei refor­mier­ten Kirch­ge­mein­den Dür­re­näsch und Mel­lin­gen sowie die zwei katho­li­schen Pfar­rei­en Brugg und Schöft­land. Das Pro­jekt nahm rasch Fahrt auf: Im Ver­lauf des ersten Jah­res 2012 wur­den fünf Ver­mitt­lungs­per­so­nen und über 50 Weg­be­glei­te­rin­nen und Weg­be­glei­ter in zwei Kur­sen aus­ge­bil­det. Bis Ende 2012 kamen bereits 40 erfolg­rei­che Ver­mitt­lun­gen und damit Weg­be­glei­tun­gen zustan­de. Im Früh­ling 2014 fei­er­ten die bei­den Lan­des­kir­chen mit den vier «Pilot­ge­mein­den» den Abschluss der erfolg­rei­chen Test­pha­se und den Über­gang zum festen Ange­bot. Der Prä­si­dent der Refor­mier­ten Kir­che im Aar­gau, Chri­stoph Weber-Berg, for­mu­lier­te sei­nen Wunsch für die Zukunft damals so: «Pilot­pha­se heisst, es gibt Men­schen, die sich ins Cock­pit set­zen. Es ist zu hof­fen, dass nun noch mehr Frei­wil­li­ge ins Cock­pit klet­tern und den Flug­schein machen, damit sich das Ange­bot im Aar­gau wei­ter eta­bliert.»Heu­te, drei Jah­re spä­ter, sagt der refor­mier­te Sozi­al­dia­kon Chri­sti­an Härt­li: «Aus mei­ner Sicht ist die Weg­be­glei­tung im Aar­gau in gesun­dem Mass ste­tig gewach­sen. Die Initia­ti­ve zur Schaf­fung neu­er Ver­mitt­lungs­stel­len kommt von der Basis, näm­lich den Kirch­ge­mein­den. Das gibt Hoff­nung, dass die geschaf­fe­nen Stel­len Bestand haben.»

«Frei­wil­li­gen­ar­beit ist nicht tot»

Eben­falls von Anfang an bei der Weg­be­glei­tung dabei ist Moni­ka Lüscher. Sie arbei­tet für die katho­li­sche Pfar­rei Schöft­land, und lei­tet im Auf­trag von Pfar­rei­en und Kirch­ge­mein­den die Ver­mitt­lungs­stel­len Weg­be­glei­tung für die Regio­nen Aar­au, Schöft­land, Aar­burg, Rothrist und Zofin­gen. Gestar­tet ist Moni­ka Lüscher mit einer 15-Pro­zent-Stel­le. Inzwi­schen arbei­tet sie für die drei Regio­nen ins­ge­samt 45 Pro­zent. Moni­ka Lüscher erin­nert sich: «Wir fan­den schnell frei­wil­li­ge Mit­ar­bei­ten­de und zu unse­rer Über­ra­schung auch vie­le Män­ner.» Heu­te sei­en etwa die Hälf­te ihrer ehren­amt­li­chen Mit­ar­bei­ter Män­ner. Der Ein­satz als Weg­be­glei­ter ist zeit­lich begrenzt, das sei beliebt. Die­sen Umstand hat­te auch der inzwi­schen pen­sio­nier­te Pro­jekt­lei­ter von katho­li­scher Sei­te, Mar­kus Schmid, her­vor­ge­ho­ben. Er hat­te zum Abschluss der Pilot­pha­se gesagt: «Wir haben mit dem Pro­jekt Weg­be­glei­tung eine Form zeit­ge­mäs­ser Frei­wil­li­gen­ar­beit. Die Frei­wil­li­gen kön­nen aus­stei­gen oder pau­sie­ren. Durch die Ziel­ver­ein­ba­rung mit den Kli­en­ten, die zeit­li­che Begren­zung der Beglei­tun­gen, die fach­li­che Betreu­ung durch die Ver­mitt­lungs­stel­len und die Fort­bil­dungs- und Super­vi­si­ons­mög­lich­kei­ten haben die Frei­wil­li­gen ein hohes Mass an Mit- und Selbst­be­stim­mung. Die Frei­wil­li­gen­ar­beit ist nicht tot.» Um die anspruchs­vol­le Frei­wil­li­gen­ar­beit aus­üben zu kön­nen, erhal­ten Weg­be­glei­ter zunächst einen Ein­füh­rungs­kurs. Dar­über hin­aus wer­den von jeder Ver­mitt­lungs­stel­le pro Jahr drei Tref­fen, wo sich die Weg­be­glei­ter aus­tau­schen und wei­ter­bil­den kön­nen, sowie zwei kan­to­na­le Wei­ter­bil­dungs­an­ge­bo­te orga­ni­siert.Dann gibt es pro Jahr drei Tref­fen mit Schu­lun­gen, wo sich die Weg­be­glei­ter aus­tau­schen und wei­ter­bil­den kön­nen.

2253 Stun­den Beglei­tung im Jahr 2016

Moni­ka Lüscher betont: «Wir ver­su­chen immer dort eine Beglei­tung zu machen, wo kein ande­res Ange­bot exi­stiert. Wir machen zum Bei­spiel kei­ne Steu­er­be­ra­tung. Der Weg­be­glei­ter hilft aber beim Zusam­men­su­chen und Ord­nen der Unter­la­gen, die es für eine Steu­er­be­ra­tung braucht. Die­se Arbeit macht sonst nie­mand.» Wel­che Auf­ga­ben in den Bereich einer Weg­be­glei­tung fal­len, erzählt Eri­ka Albert im Inter­view. Sie ist eine von kan­tons­weit 140 Ehren­amt­li­chen, die seit Pro­jekt­start im Ein­füh­rungs­kurs auf ihre Auf­ga­be vor­be­rei­tet wor­den sind. Im Jahr 2016 lei­ste­ten die frei­wil­lig Täti­gen ins­ge­samt 2253 Stun­den Arbeit. Eine durch­schnitt­li­che Weg­be­glei­tung dau­er­te dabei 23 Stun­den und erstreck­te sich über 20 Wochen. 11 Ver­mitt­lungs­stel­len gibt es inzwi­schen im Aar­gau. Drei davon sind erst gestar­tet oder noch im Auf­bau: Woh­len und Umge­bung, Mut­schel­len-Reus­s­tal und Baden. Die Nach­fra­ge nach Weg­be­glei­tung über­stei­ge inzwi­schen das Ange­bot, so dass die Ver­mitt­lungs­stel­len auf der Suche nach Frei­wil­li­gen sei­en, sagt Moni­ka Lüscher. Inter­es­sier­te könn­ten sich jeder­zeit bei der zustän­di­gen Ver­mitt­lungs­stel­le mel­den.

Dank Füh­rer­schein weg von der Sozialhilfe

«Ein High­light ist, wenn die Weg­be­glei­tung in die Selb­stän­dig­keit führt.», sagt Moni­ka Lüscher und nennt als Bei­spiel einen vier­fa­chen Fami­li­en­va­ter aus Eri­trea, der dank der Weg­be­glei­tung eine Stel­le gefun­den hat und nun kei­ne Sozi­al­hil­fe mehr benö­tigt. Sie erzählt auch von einer Frei­wil­li­gen, die einer Frau beim Auto­fah­ren ler­nen hilft. Mit Füh­rer­schein wird die Frau ihr bestehen­des Stel­len­pen­sum erhö­hen kön­nen und sich so eben­falls von der Sozi­al­hil­fe ablö­sen. Hil­fe zur Selbst­hil­fe sei ein wich­ti­ger Grund­satz. Das funk­tio­nie­re gut, denn die mei­sten Kli­en­ten näh­men Weg­be­glei­tung nur ein Mal in Anspruch.

Mit Leib und See­le dabei

Für ihre ehren­amt­li­chen Mit­ar­bei­ter fin­det Moni­ka Lüscher nur loben­de Wor­te: «Es ist eine Grup­pe, die Bestand hat. Mit der Zeit hat sich ein har­ter Kern an Leu­ten her­aus­ge­bil­det, die mit Leib und See­le dabei sind.» Wie alle ande­ren ins Pro­jekt Invol­vier­ten sagt auch Moni­ka Lüscher ganz deut­lich: «Wert­voll­ster Bestand­teil der Weg­be­glei­tung sind die vie­len Mit­ar­bei­ten­den, die ihre Zeit und ihre Erfah­rung unent­gelt­lich inve­stie­ren.»

Von der Cari­tas zurück zur Landeskirche

Das Ange­bot ist auf kan­to­na­ler Ebe­ne öku­me­nisch auf­ge­baut. Die bei­den Fach­stel­len Dia­ko­nie der Refor­mier­ten und der Katho­li­schen Lan­des­kir­che tra­gen die Weg­be­glei­tung gemein­sam. Die katho­li­sche Sei­te hat­te das Pro­jekt seit sei­ner Grün­dung bei der Cari­tas Aar­gau unter­ge­bracht, wel­che die Fach­stel­le Dia­ko­nie im Auf­trag der Lan­des­kir­che führ­te. Nun geht die Fach­stel­le Dia­ko­nie zurück unter das Dach der Römisch-Katho­li­schen Kir­che im Aar­gau. Die Herbst­syn­ode 2016 stimm­te dem Antrag des Kir­chen­ra­tes zur Schaf­fung einer neu­en Fach­stel­le Dia­ko­nie zu. Damit will die Lan­des­kir­che errei­chen, dass auch Aus­sen­ste­hen­de vom Enga­ge­ment der Kir­che im Bereich Dia­ko­nie erfah­ren. Die neue Fach­stel­le kön­ne wich­ti­ge dia­ko­ni­sche Impul­se für die neu­en Pasto­ral­räu­me geben. Zum neu­en Dia­ko­nie­kon­zept gehört die Fach­kom­mis­si­on, in der Ver­tre­ter der Pasto­ral, des Bis­tums und des Kir­chen­ra­tes sit­zen. Die Fach­kom­mis­si­on wird die neue Fach­stel­le beglei­ten und reflek­tie­ren.

Die Dia­ko­nie­stel­le wird neu aufgegleist

Damit ist künf­tig auch die Weg­be­glei­tung der Lan­des­kir­che unter­stellt, denn sie wird der neu­en Fach­stel­le Dia­ko­nie ange­glie­dert. Auch die Auf­ga­ben­be­rei­che der Fach­stel­le Dia­ko­nie wer­den neu defi­niert. Laut Lan­des­kir­che läuft momen­tan das Aus­wahl­ver­fah­ren für eine neue Stel­len­lei­tung, die vor­aus­sicht­lich Mit­te Jahr ihre Arbeit auf­neh­men wird. Der lang­jäh­ri­ge Fach­stel­len­lei­ter Mar­kus Schmid war Ende letz­ten Jah­res pen­sio­niert wor­den. Alle Infor­ma­tio­nen rund um das Ange­bot Weg­be­glei­tung fin­den Sie auf www.wegbegleitung-ag.ch Wer sich ger­ne ehren­amt­lich für das Pro­jekt enga­gie­ren möch­te, kann sich auf der näch­sten Ver­mitt­lungs­stel­le mel­den. Die ein­zel­nen Ver­mitt­lungs­stel­len fin­den Sie hier.
Marie-Christine Andres Schürch
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