Wo die Reli­gio­nen nicht trennen

Krieg und Ter­ror bestim­men die Nach­rich­ten aus dem Nahen Osten. Dass es auch anders geht, zeigt ein Zen­trum für die Ver­stän­di­gung unter den Reli­gio­nen in Hai­fa. Hier wächst aus Miss­trau­en Freundschaft.Sie mögen sich offen­sicht­lich nicht lei­den. From­me Juden beten am Frei­tag­abend an der Mau­er des zer­stör­ten ersten Tem­pels in Jeru­sa­lem, ihrem höch­sten Hei­lig­tum. Vom dar­über lie­gen­den Ost­teil der Stadt schleu­dern mus­li­mi­sche Ara­ber Stei­ne gegen die Andäch­ti­gen. Aus Syri­en und dem Irak wer­den zehn­tau­sen­de von Chri­sten von Dschi­ha­di­sten, isla­mi­schen Kämp­fern gegen die «Ungläu­bi­gen», ver­trie­ben.Den Dia­log fördern Welt­an­schau­un­gen und Reli­gio­nen pral­len hart auf­ein­an­der. Was nicht sein muss und nicht sein soll­te. «Jeder Mensch hat das Recht, anders zu sein», zitiert Mot­ti Peri den ame­ri­ka­ni­schen Phi­lo­so­phen John Dew­ey. Mot­ti Peri ist Gene­ral­di­rek­tor des Beit Ha Gefen in Hai­fa, der 360’000 Ein­woh­ner zäh­len­den Hafen­stadt im Nor­den Isra­els. Das «Haus der Rebe» – es heisst so, weil an sei­ner Wand Trau­ben wach­sen – setzt sich seit 1963 für einen fried­li­chen Dia­log unter den drei gros­sen mono­the­isti­schen Reli­gio­nen Chri­sten­tum, Islam und Juden­tum ein. Beit Ha Gefen will die ver­schie­de­nen Iden­ti­tä­ten die­ser Reli­gio­nen «ehren und zu deren Ver­stän­di­gung unter­ein­an­der hin­füh­ren». Sarah Vadar von der Baha’i-Gemein­schaft, die ihren Haupt­sitz in Hai­fa hat und eng mit Beit Ha Gefen zusam­men­ar­bei­tet, ver­weist ener­gisch dar­auf, dass die drei gros­sen Reli­gio­nen biblisch den glei­chen Ursprung haben, näm­lich den abra­ha­mi­ti­schen, jenen von Abra­ham. «Dar­auf soll­te man sich besin­nen», plä­diert sie. Beit Ha Gefen lebt die­sem Gedan­ken krea­tiv und erfolg­reich nach. Die Stadt Hai­fa ist dadurch zu einem reli­gi­ös-mul­ti­kul­tu­rel­len Glanz­punkt gewor­den und strahlt über Isra­el hin­aus aus. Die­se Insti­tu­ti­on lebt vor, dass Reli­gio­nen nicht tren­nend sein müs­sen, son­dern im Gegen­teil ver­bin­dend. Direk­tor Asaf Ron sieht das so: «Wenn Mus­li­me soge­nann­te ‹Ungläu­bi­ge› angrei­fen, ist das nicht Reli­gi­on, son­dern Poli­tik, die vie­les kaputt macht.»Poli­tik bei­sei­te lassen Dem stimmt der christ­li­che Prie­ster Canon Hafem She­ha­deh zu: «Wie man sich einer ande­ren Reli­gi­on gegen­über ver­hält, ist in erster Linie eine Ange­le­gen­heit des Respekts. Beit Ha Gefen will mög­lichst vie­le Men­schen ver­schie­de­ner Reli­gi­on in die­se Ver­stän­di­gungs-Mis­si­on ein­be­zie­hen.» Für den Juden Meir Coo­per bei Beit Ha Gefen ist das Gebot «Lie­be dei­nen Näch­sten» kei­ne lee­re Flos­kel. «Mus­li­me sind nicht unse­re Fein­de», sagt er über­zeugt. Chri­sten schon gar nicht. Sein Rezept: «Wir spre­chen nicht über Poli­tik, so ein­fach ist das.» Denn nach der Phi­lo­so­phie Coo­pers – und letzt­lich von Beit Ha Gefen – ist von gröss­ter Bedeu­tung für ein har­mo­ni­sches Zusam­men­le­ben, Poli­tik kon­se­quent bei­sei­te zu schie­ben, Vor­ur­tei­le zu über­win­den «und im Dia­log ein­zig den Men­schen dahin­ter zu sehen und zu ach­ten.»Respekt bekun­den Auch der Mus­lim Muad Oudeh, der bei Beit Ha Gefen mit­wirkt, hat sei­ne Vor­stel­lun­gen, wie Feind­schaf­ten und Gegen­sät­ze inner­halb von Reli­gio­nen über­wun­den wer­den kön­nen: «Wenn man sei­nen Glau­ben aus­drücken kann, ohne den ande­ren zu zwin­gen, sei­nen eige­nen Glau­ben zu ändern.» Beit Ha Gefen stre­be dies bei vie­len Gele­gen­hei­ten an; bei Festen, Semi­na­ren, gemein­sa­men Akti­vi­tä­ten, bei Aus­spra­chen unter­ein­an­der. Muad Oudeh betont, Gegen­sät­ze und Feind­schaf­ten inner­halb von Reli­gio­nen könn­ten über­wun­den wer­den, indem man respekt­vol­le Gesprä­che füh­re und dabei etwas von der eige­nen Reli­gi­on den Part­nern wei­ter­ge­be. Doch gera­de jetzt ist extre­me Gewalt durch den Islam fest­stell­bar, zum Bei­spiel durch die IS, der radi­ka­len Grup­pe Isla­mi­scher Staat. Muad Oudeh bedrückt dies. «Sol­che Ultras sind nicht reprä­sen­ta­tiv für unse­re Reli­gi­on», sagt er. «So wenig, wie es die Chare­dim, die ultra­or­tho­do­xen extrem biblisch-reli­gioe­sen Juden, die sich abschot­ten und jeden Dia­log ver­wei­gern, für das Juden­tum sind.»Vom Frem­den zum Freund Beit Ha Gefen lebt sei­nem Cre­do der Ver­stän­di­gung unter den Reli­gio­nen seit 51 Jah­ren erfolg­reich nach. «Natür­lich nicht in Dimen­sio­nen, die Aus­ein­an­der­set­zun­gen, Ter­ror, Krie­ge zu ver­hin­dern ver­mö­gen», wird bedau­ert. «Das ist Poli­tik. Was wir prak­ti­zie­ren, ist Annä­he­rung, Tole­ranz, Inter­es­se, Neu­gier­de und Freund­schaft.» Das sei ein ent­span­nen­der, lang­sam wach­sen­der Pro­zess. «So erwei­sen sich Men­schen, die man zuvor miss­trau­isch, gar feind­se­lig betrach­te­te, unver­se­hens als Freun­de, nicht mehr Frem­de. Und das zieht stets neue Krei­se», erklärt Asaf Ron. Ha Gefen bringt zum Bei­spiel die rei­che ara­bi­sche Kul­tur in Aus­stel­lun­gen unter die Leu­te. Auch jüdi­sche und christ­li­che. Zum Pro­gramm zählt eben­so das Trai­ning jun­ger Juden und Mus­li­me, «im Geist demo­kra­ti­scher Wer­te mit den kom­ple­xen Aspek­ten einer mul­ti­kul­tu­rel­len Gesell­schaft und Koexi­stenz umge­hen zu kön­nen», erklärt Asaf Ron. Es wer­den an Schu­len Infor­ma­tio­nen und Dis­kus­sio­nen über ver­schie­de­ne Reli­gio­nen abge­hal­ten. An der renom­mier­ten Leo-Baeck-Schu­le bei­spiels­wei­se ist es Tra­di­ti­on, dass deren Stu­den­ten ein Jahr lang jede Woche ein­mal mit Men­schen ande­rer Reli­gi­on zusam­men­tref­fen. «Wir wol­len eine neue, jun­ge Gene­ra­ti­on anspre­chen, die bereit ist für einen offe­nen Dia­log», erklärt Asaf Ron.«Das ist ein Wunder» Durch Begeg­nun­gen kön­nen jedoch Vor­ur­tei­le und Äng­ste gegen­über ande­ren Lebens­wei­sen und Anschau­un­gen abge­baut wer­den, freut er sich. Thea­ter­auf­üh­run­gen, Kon­zer­te, eine Biblio­thek mit Büchern in Ara­bisch, Hebrä­isch und Eng­lisch sol­len die Annä­he­rung eben­falls unter­stüt­zen. Tou­ren durch typisch ara­bi­sche, jüdi­sche und christ­li­che Gebie­te in Isra­el gehö­ren eben­so zum Pro­gramm wie der Ara­bi­sche-Kul­tur-Monat jeweils im Mai, der zehn­tau­sen­den Besu­chern ver­schie­de­ner Reli­gio­nen eine ein­drück­li­che Begeg­nung mit einer ihnen meist unbe­kann­ten Welt und Men­ta­li­tät eröff­net. Auch christ­li­che, ara­bi­sche und jüdi­sche Fei­er­ta­ge wer­den gemein­sam gefei­ert: Von Weih­nach­ten der Chri­sten über Cha­nuk­kah, das Lich­ter­fest der Juden, bis zum Rama­dan der Mus­lims. «Gemein­sam die ver­schie­de­nen reli­giö­sen Feste bege­hen, dabei aber die Eigen­art jeder Reli­gi­on bewah­ren und respek­tie­ren», nennt Asaf Ron das Ziel. Und dies fruch­tet. «Die Men­schen rücken zusam­men, spre­chen mit­ein­an­der, sie erhal­ten Ein­blicke in die Ritua­le ande­rer Reli­gio­nen und es ent­ste­hen neue Kon­tak­te und Freund­schaf­ten, die in den All­tag weit über Hai­fa hin­aus aus­strah­len», sieht Asaf Ron die gros­se Ver­stän­di­gungs­ar­beit bestä­tigt. Der Jude Meir Coo­per, ein herz­li­cher älte­rer Mann, ver­schweigt indes­sen nicht, dass dies alles «viel Ener­gie und Ein­satz erfor­dert». Aber es loh­ne sich, «weil wir von die­ser gros­sen Auf­ga­be von Her­zen über­zeugt sind». Der christ­li­che Prie­ster Canon Hafem She­ha­deh stimmt ihm zu: «Hai­fa ist wie ein Regen­bo­gen, des­sen unter­schied­li­che Far­ben neben­ein­an­der sich ergän­zen. Das ist ein Wun­der.»    Wer­ner P. Wyler
Redaktion Lichtblick
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