«Wir haben die Unschuld definitiv verloren»
Unter dem anhaltenden Druck von Betroffenen und ihren Organisationen und von Seiten der Medien werden seit bald 40 Jahren in immer mehr Ländern Berichte über Missbrauchsfälle veröffentlicht. Dabei kommen auch systembedingte Ursachen ans Licht. Sofern sie die katholische Kirche, ihre Institutionen und Verantwortungsträger betreffen, zeigt sich je länger je mehr: Die Kirche ist konfrontiert mit einer selbstverschuldeten Katastrophe. In ihrer Mitte und durch ihre Repräsentanten wurde das Leben unzähliger Unschuldiger und Wehrloser ruiniert. Wir kommen nicht um die bittere Feststellung herum: Die Orden und die religiösen Gemeinschaften sind ein Teil des Problems. Unser Selbstbild entspricht nicht der Realität. Wir haben die Unschuld definitiv verloren, auch enorm viel Vertrauen verspielt. Das schmerzt. Verdrängen macht die Sache nur noch schlimmer.
Den Betroffenen Raum und Stimme geben
Wir brauchen, gemeinsam und individuell, Zeit zum Trauern und Bereuen, wir brauchen viel Zeit, um auf die Betroffenen zu hören. Ihnen und ihren Erfahrungen wollen wir Raum und Stimme geben in der Kirche; auch weil wir wissen, dass es in den Ordensgemeinschaften nicht nur Täter und Täterinnen gibt, sondern auch Opfer. Wir sind entschlossen zur Umkehr, zum Neubeginn. Dazu gehören auch scheinbar nebensächliche Dinge, z.B. die Archive ordnen und zugänglich machen und mit den Forschenden offen kooperieren.
Vollkommenheitsideale auf Hohlstellen abklopfen
Zwar setzen unsere personellen Ressourcen den guten Absichten enge Grenzen. Trotzdem halten wir fest an den beschlossenen Präventionsmassnahmen. Wir verpflichten uns, die geltenden Rechtsnormen zu befolgen, um weiteres Unheil zu verhindern. Auch setzen wir uns ein für eine effiziente Zusammenarbeit der nationalen katholischen Institutionen SBK, RKZ und KOVOS. Wir bemühen uns um Weiterbildung und lernen in unsern sehr unterschiedlichen Kontexten, mit Nähe und Distanz umzugehen. Wir sind gewillt, unsere Vollkommenheitsideale auf Hohlstellen abzuklopfen und zentrale Kategorien unserer religiös geprägten Lebensform zu hinterfragen, wie Berufung und Freiheit; Gehorsam und Selbstverwirklichung; Stellenwert von Sexualität und emotionalen Bedürfnissen; Verbindlichkeit der Gelübde, Individualisierung, Präsenz der sozialen Medien und Ansprüche der Gemeinschaft; Kritik, Selbstkritik und Mitverantwortung im Zusammenleben …
Neudefinition
Auch die emanzipatorische Relecture der Bibel und der Kirchen- und Theologiegeschichte gehört dazu, ebenso die kreative Weiterentwicklung von Liturgie und Spiritualität. Wir sind überzeugt, dass die lernwillige Auseinandersetzung mit den Humanwissenschaften unserm Lebensentwurf neue Dynamik und Glaubwürdigkeit verleihen und zur Heilung beitragen kann. Wir halten es schliesslich für überfällig, das in der katholischen Kirche hierarchisch-patriarchal und klerikal geprägte (Miss-)Verhältnis zwischen Mann und Frau grundlegend neu zu definieren, auch in seinen strukturellen und rechtlichen Dimensionen.