Wir als Wunder in der Welt

Wir als Wunder in der Welt

 Markus 13,24–26Aber in jenen Tagen, nach jen­er Drangsal, wird die Sonne verfin­stert wer­den und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne wer­den vom Him­mel fall­en und die Kräfte des Him­mels wer­den erschüt­tert wer­den. Dann wird man den Men­schen­sohn in Wolken kom­men sehen, mit gross­er Kraft und Her­rlichkeit.Ein­heit­süber­set­zung 2016 

Wir als Wunder in der Welt

Ich kenne Leute, die zap­pen im Fernse­hen die Nachricht­ensendun­gen weg. Der fik­tive Mord und Totschlag in Grossauf­nahme scheint ihnen viel inter­es­san­ter als die Berichte über das reale Töten in den Kriegs- und Krisen­ge­bi­eten unser­er Welt. Zu wis­sen, dass die Film­toten schon mor­gen in ein­er anderen Rolle wieder aufer­ste­hen, macht die Bild­schir­mge­walt zur lustvollen Unter­hal­tung, die durch das wirk­liche Leben nicht gestört wer­den will. Aber es gibt auch diejeni­gen, die die Tagess­chau auss­chal­ten, weil sie die offen­sichtliche Not und das schreiende Elend hin­ter den sach­lich mod­erierten Bericht­en schlicht nicht mehr aushal­ten. Darüber in der Zeitung zu lesen, ist noch zu ertra­gen, aber die Bilder berühren irgend­wie tiefer und bren­nen Wun­den in unsere See­len. In viel zu vie­len Welt­ge­gen­den gehören Ter­ror und Krieg, Tote, Ver­stüm­melte und verzweifelt Trauernde zur Selb­stver­ständlichkeit des All­t­ags wie der Vor­abend­kri­mi zu unserem Fernseh­pro­gramm. Zwar wer­den viele Kon­flik­therde ausser­halb Europas bei uns kaum zur Ken­nt­nis genom­men, aber die Ukraine an der Gren­ze zur EU und das Heilige Land fast in Sichtweite der Ferienorte am Mit­telmeer, kom­men uns schon ver­dammt nahe.Vor 40 Jahren hat der amerikanis­che Com­put­er­spezial­ist Joseph Weizen­baum mit Blick auf unsere Welt davon gesprochen, dass sie auf einen Eis­berg zus­teuere. Er ver­glich unser Schick­sal mit dem der Titan­ic. Alle hiel­ten sie für unsinkbar, doch schon auf ihrer ersten Reise kratzte sie einen Eis­berg und ver­sank mit über 1500 Men­schen inner­halb weniger Stun­den im Meer. Im Moment, als die Gefahr erkan­nt wurde, war es zu spät. Das Schiff war so in Fahrt, dass der Kurs nicht rasch genug kor­rigiert wer­den kon­nte, zu gross war die Dynamik, zu träge die Reak­tions­fähigkeit. Auch die Welt sei nicht unsinkbar und sie halte mit gross­er Geschwindigkeit auf den Eis­berg zu, nur ein Wun­der würde sie ret­ten kön­nen, meinte Weizen­baum damals (J. Weizen­baum, Kurs auf den Eis­berg, Zürich 1984).Verzweifelt war er darob allerd­ings nicht. Er ver­traute, dass das die nöti­gen Wun­der geschehen wer­den. Nun ist das Prob­lem bei Wun­dern, dass sie wed­er berechen- noch plan­bar sind. Was aber nicht bedeuten darf, dass wir sie erstar­rt erwarten müssen. Im Gegen­teil! Wer auf ein Wun­der hofft, ist auch zum Han­deln aufgerufen. Selb­st wenn wir Wun­der nicht «machen», so geschehen sie doch auch durch Men­schen, die die Wirk­lichkeit sehen wollen und sich durch sie nicht läh­men lassen. Wun­der – oder bess­er: wir — bekom­men Chan­cen durch ganz alltägliche Men­schen, die sich der Sit­u­a­tion stellen, die tun, was sie tun kön­nen, auch jen­seits des Gewohn­ten und des bish­er Ver­traut­en, die nicht das Unmögliche von sich erwarten, aber bere­it sind, das Mögliche zu tun.Ob die Welt nur durch ein Wun­der zu ret­ten ist, ver­mag ich nicht zu sagen. Aber so zu leben und zu han­deln, dass Wun­der tat­säch­lich auch durch uns geschehen kön­nen, scheint mir eine hoff­nungsvolle und wertvolle Leben­shal­tung zu sein.Felix Ter­ri­er, Rek­tor der Klosterkirche Dor­nach
Regula Vogt-Kohler
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