«Wie ein schnüf­feln­der Hund»

  • Zuerst woll­te Tho­mas Aure­li­us Belz ein­fach alte Instru­men­te nach­bau­en. Doch dabei mach­te er eine uner­war­te­te Entdeckung.
  • Seit nun­mehr über zehn Jah­ren erforscht der Cem­ba­lo- und Kla­vier­bau­mei­ster den Ein­fluss der katho­li­schen Kir­che auf die Ent­wick­lung der abend­län­di­schen Musik.
  • Im ersten Teil der Hori­zon­te-Serie «Musik und Kir­che» schil­dert Tho­mas Belz, wie er dank sei­ner Spür­na­se auf den Zusam­men­hang zwi­schen Musik­wis­sen­schaft und Theo­lo­gie stiess.

For­scher­geist oder For­schungs­drang reicht bei wei­tem nicht, um das aus­zu­drücken, was den Mei­ster des Cem­ba­lo- und Kla­vier­baus und Dok­tor der Kunst­wis­sen­schaft, Tho­mas Aure­li­us Belz, antreibt. Es ist mehr als wis­sen­schaft­li­che Neu­gier. Es ist pure Fas­zi­na­ti­on, die Lust an detek­ti­vi­scher Spu­ren­su­che, die Befrie­di­gung beim Schlies­sen von Wis­sens­lücken und die rei­ne Freu­de dar­an, dass Her­kunft und Geschich­te der Musik hör- und sicht­bar wer­den, wenn Tho­mas Belz alte Instru­men­te ori­gi­nal­ge­treu nach­baut, um unser Kul­tur­er­be vor dem Ver­ges­sen zu bewahren.

Der­zeit arbei­tet Tho­mas Belz an der Rekon­struk­ti­on des wohl älte­sten besai­te­ten Tasten­in­stru­ments der Welt, einem Kla­vi­zi­theri­um, das um das Jahr 1470 her­um ent­stan­den sein muss und im Ori­gi­nal im Roy­al Col­lege of Music in Lon­don steht; aller­dings nicht mehr bespiel­bar. Die­ses Instru­ment hat der Schwei­zer Pia­nist und Autor Franz Josef Hirt (1899–1985) in sei­nem Buch «Mei­ster­wer­ke des Kla­vier­baus» mit ein paar weni­gen Sät­zen erwähnt. Tho­mas Belz war begei­stert von Hirts kunst­hi­sto­ri­scher Betrach­tungs­wei­se, die es ermög­lich­te, einen erhel­len­den Blick auf den kul­tur­ge­schicht­li­chen Hin­ter­grund eines Instru­men­tes zu wer­fen. Gleich­zei­tig erwach­te sein eige­ner Drang, mehr über die­ses Kla­vi­zi­theri­um zu erfah­ren, denn er zwei­fel­te an den Aus­sa­gen des Autors zu den Bil­dern auf dem Gehäu­se und im Kor­pus des Instruments.

Schon mehr als zehn Jahre

So mach­te sich Tho­mas Belz auf den Weg nach Lon­don, um sich vor Ort ein Bild von die­sem Urur­ah­nen der heu­ti­gen Kla­vie­re zu machen. Dem stu­dier­ten Kunst­wis­sen­schaft­ler wur­de schnell klar, dass die Bema­lung des Kla­vi­zi­theri­ums kei­nes­falls rei­ne Ver­zie­rung war, son­dern ein­deu­tig bibli­sche Sze­nen und Bot­schaf­ten ver­mit­tel­te. Damit begann sei­ne nun schon mehr als zehn­jäh­ri­ge For­schungs­ar­beit zum Ein­fluss der katho­li­schen Kir­che auf die abend­län­di­sche Musik. Publi­ziert hat er sei­ne Ent­deckun­gen in zahl­rei­chen Schrif­ten und Vor­trä­gen, doku­men­tiert in Bild, Text und Ton auf sei­ner Web­site www.aurelius-belz.ch.

Je tie­fer der Instru­men­ten­bau­er in die hand­werk­li­chen Geheim­nis­se sei­ner Vor­gän­ger vor­drang, desto deut­li­cher zeig­te sich dem Volks­kund­ler und Bau­for­scher Tho­mas Belz, dass in die­ser Mate­rie zwei wei­te­re Fach­ge­bie­te untrenn­bar mit­ein­an­der ver­bun­den waren: die Musik­wis­sen­schaft und die Theo­lo­gie. «Dabei hat­te ich gar nichts Reli­giö­ses gesucht», erin­nert sich Tho­mas Belz, der zwar wohl vor 61 Jah­ren ein­mal römisch-katho­lisch getauft wor­den ist, heu­te aber der Insti­tu­ti­on Kir­che skep­tisch gegen­über­steht. «Ich hat­te mich erst ein­mal für die Instru­men­te inter­es­siert. Aber jedes­mal, wenn ich merk­te, dass da irgend­et­was nicht stimm­te, hat mich der For­scher­geist gepackt. So gelang­te ich plötz­lich auf Neu­land, wo man ein­fach nie­man­den mehr fra­gen kann. Ich muss­te den Spu­ren also allei­ne wei­ter fol­gen – wie ein schnüf­feln­der Hund.»

Ein Geschenk Gottes

Auf­grund der Bau­wei­sen und Aus­schmückun­gen alter Instru­men­te erkann­te Tho­mas Belz die direk­te Ver­bin­dung zu sakra­len Bau­ten und deren Sym­bo­lik. Etwa bei einem Taber­na­kel-Kla­vi­zi­theri­um, das eben die Form eines Taber­na­kels hat­te. Nur wur­de dar­in nicht das Aller­hei­lig­ste, son­dern ein Musik­in­stru­ment und damit Musik auf­be­wahrt respek­ti­ve zum Leben erweckt. Zurecht ver­weist Tho­mas Belz dabei auf das Leit­mo­tiv des Kir­chen­mu­sik­gi­gan­ten Johann Seba­sti­an Bach: musi­ca donum Dei – die Musik ist ein Geschenk Gottes.

Wenn im Musik­un­ter­richt heu­te gelehrt wird, dass unser Ton­sy­stem auf die alten Grie­chen zurück gehe, so ist das zwar im Grund­satz rich­tig, doch es ist nur die hal­be Wahr­heit. Tho­mas Belz weist dar­auf hin, dass die Römer vor der Chri­stia­ni­sie­rung zuerst die grie­chi­schen Fach­aus­drücke in der Musik ver­wen­de­ten, dann aber, mit der Über­set­zung durch die Früh­chri­sten, zugleich eine Neu­in­ter­pre­ta­ti­on erfolg­te. Seit­dem hat bei­spiels­wei­se die Ton­lei­ter ein theo­lo­gi­sches Äqui­va­lent in der Jakobs­lei­ter, und die Benen­nung der Oktav ent­stammt christ­li­cher Zah­len­sym­bo­lik (vgl. die acht Selig­kei­ten). Als Inbe­griff der Kon­so­nanz, also des gött­li­chen Ein­klangs, ste­hen Prim und Oktav, der erste und der letz­te, ach­te Ton einer Ton­lei­ter, für das A und das Ω.

Key­board ist Kla­via­tur ist Schlüsselmoment

Den Ein­fluss des christ­li­chen Got­tes- und Welt­bil­des auf unse­re abend­län­di­sche Musik­leh­re zeigt Tho­mas Belz gut nach­voll­zieh­bar in 23 Videoer­klär­stücken auf sei­ner Web­site. Das geht noch weit über die rei­ne Zah­len­sym­bo­lik hin­aus. Die­ser Ein­fluss ist sogar noch nach­weis­bar in jedem unse­rer heu­ti­gen Appa­ra­te, die mit einem Key­board, also einer Kla­via­tur bedient werden. 

Jedes Ton­in­ter­vall erhält in der christ­li­chen Deu­tung sei­nen eige­nen Wert. Und war­um wohl gibt es zwei­mal sie­ben Kir­chen­ton­ar­ten? Und ist es wohl ein Zufall, dass die Sol­mi­sa­ti­ons­sil­ben, die Urbe­nen­nung der Ton­stu­fen (ut, re, mi, fa, sol, la) von Bene­dik­ti­ner­mönch Gui­do von Arez­zo aus dem Johan­nes-Hym­nus gewon­nen wur­den? Wie sich die­ser Sym­bol­schatz auch im Werk von Johann Seba­sti­an Bach wie­der­fin­den lässt, zei­gen wir im zwei­ten Teil unse­re Serie «Musik und Kirche».

Christian Breitschmid
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