Wert­vol­les Puz­zle­teil für Architektur-Archiv

  • Wäh­rend der Pfarr­haus­re­no­va­ti­on in Win­disch war 2016 in einem Archiv­raum ein Kir­chen­mo­dell gefun­den worden.
  • Beim Modell han­delt es sich um einen Wett­be­werbs­bei­trag zum Bau der Mari­en­kir­che in Win­disch von 1962 und stammt von Wal­ter M. För­de­rer, der in den 60er- und 70er-Jah­ren zum erfolg­rei­chen Archi­tek­ten für neo-expres­sio­ni­sti­sche Kir­chen­bau­ten avancierte.
  • Das Modell wur­de kürz­lich von der Kirch­ge­mein­de Brugg-Win­disch als Schen­kung dem Archiv des Insti­tuts für Geschich­te und Theo­rie der Archi­tek­tur (gta) der ETH Zürich übergeben.
 Das Pro­jekt «Fleur» des Archi­tek­tur­bü­ros För­de­rer, Otto und Zwimpf­er in Basel, aus dem das neu ent­deck­te Raum­mo­dell aus Fur­nier­holz stammt, ging aus dem Wett­be­werb für den Neu­bau der Mari­en­kir­che in Win­disch 1963 zwar als Sie­ger her­vor. Gebaut wur­de es jedoch nie. Den Zuschlag erhielt das zweit­plat­zier­te Pro­jekt «Lithos» von Ruth und Edi Lan­ners. Das Archi­tek­ten­paar ent­wickel­te dar­in die Visi­on einer Kir­che für ein Volk, das sich um Jesus schar­te wie in der Berg­pre­digt.

Histo­ri­ke­rin erkann­te den Wert

Das För­de­rer-Modell ver­schwand der­weil im Archiv des Pfarr­hau­ses, wo es ver­ges­sen ging. Über 50 Jah­re spä­ter wur­de es bei der Pfarr­haus­re­no­va­ti­on 2016 «wie­der­ent­deckt». Histo­ri­ke­rin Astrid Bal­din­ger, die gera­de am Buch über die Geschich­te der Katho­li­ken im Bezirk Brugg arbei­te­te, wur­de hin­zu­ge­zo­gen und erkann­te sofort den Wert des Modells. Denn Wal­ter M. För­de­rer hat­te sich in den spä­ten 60er-Jah­ren und anfangs der 70er-Jah­re zu einem der weg­wei­sen­den Kir­chen­ar­chi­tek­ten in der Schweiz ent­wickelt. Im Sti­le des Neo-Expres­sio­nis­mus oder Bru­ta­lis­mus schuf er eine gan­ze Rei­he von Kir­chen in der Schweiz und Deutsch­land, etwa die Hei­lig­kreuz­kir­che in Chur.

Auf­ge­schlos­se­ne Bauherrschaft

In der katho­li­schen Kir­che herrsch­te anfangs der 60er-Jah­re Auf­bruch­stim­mung. Nicht zuletzt wegen des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils. Auch in der Kirch­ge­mein­de Brugg: Hier hat­te sich zudem auf­grund von Migra­ti­ons­strö­men inner­halb von zehn Jah­ren die Zahl der Katho­li­ken ver­dop­pelt, 1965/66 wur­den des­halb gleich zwei Kir­chen – in Win­disch und im Birr­feld – ein­ge­weiht. In die Jury der Wett­be­werbs­kom­mis­si­on für den Bau der Kir­che Win­disch wur­den nam­haf­te Archi­tek­ten geholt. Sie gal­ten als Garan­ten für einen neu­zeit­li­chen Bau­stil mit einer «moder­nen» Kir­che, die Altar und Gemein­de stär­ker ver­bin­det.

46 Ent­wür­fe eingereicht

Im öffent­li­chen Pro­jekt-Wett­be­werb für eine Kir­chen­an­la­ge in Win­disch wur­den schliess­lich 46 voll­stän­di­ge Pro­jekt­ent­wür­fe ein­ge­reicht. Eine statt­li­che Anzahl. Doch an der Kirch­ge­mein­de­ver­samm­lung vom 19. Sep­tem­ber 1962 kon­sta­tier­te man: «Lei­der haben am Wett­be­werb gros­se und bekann­te Kir­chen­bau-Archi­tek­ten nicht mit­ge­macht.» Was man damals nicht wis­sen konn­te: Eini­ge der jun­gen Archi­tek­ten, die sich am Wett­be­werb der Kir­che Win­disch betei­ligt hat­ten, waren spä­ter äus­serst erfolg­reich. Dar­un­ter etwa André M. Stu­der, der Erbau­er des Lass­alle-Hau­ses und eben auch Wal­ter M. För­de­rer, des­sen Kir­chen­mo­dell nun einem nam­haf­ten Archi­tek­tur-Archiv über­ge­ben wur­de.

Schen­kung an das gta-Archiv der ETH

Der Lei­ter des gta-Archivs, Bru­no Mau­rer, der das Kir­chen­mo­dell Ende März aus den Hän­den von Kir­chen­pfle­ge­prä­si­dent Hans Schil­ling als Schen­kung ent­ge­gen­nahm, konn­te den inter­es­sier­ten Gästen an der fei­er­li­chen Über­ga­be am Modell zei­gen, wes­halb man sich wohl für ein ande­res Pro­jekt ent­schie­den hat­te. Kom­pli­ziert und ver­schach­telt wirkt der Ent­wurf. Wuch­tig nach aus­sen, mit wenig Platz für den heu­te so gross­zü­gig gestal­te­ten Kir­chen­platz. Nimmt man das Dach des Kir­chen­mo­dells ab, sieht man, wie es im Inne­ren wegen der indi­rek­ten Licht­füh­rung düster gewirkt haben müss­te. Zudem, erzählt Mau­rer, habe För­de­rer spä­ter auf Bau­stel­len ger­ne ad-hoc-Ent­schei­dun­gen gefällt – etwa wie eine Mau­er ver­lau­fen müss­te. Vor­aus­set­zun­gen, wel­che Zusatz­ko­sten erah­nen las­sen.

Neu in Zürich daheim

Bru­no Mau­rer freut sich über den Neu­zu­gang für sein Archiv: Denn ver­mut­lich han­delt es sich bei dem Ent­wurf für Win­disch um einen der ersten Kir­chen­ent­wür­fe von Wal­ter För­de­rer über­haupt. Für das Archiv ein wert­vol­les Puz­zle­teil, um das Schaf­fen eines Archi­tek­ten zu doku­men­tie­ren, der als Bild­hau­er begann und nach knapp 20 Jah­ren als Archi­tekt zu sei­nen Wur­zeln als Künst­ler zurück­kehr­te. Das Modell wird nun in Zürich inven­ta­ri­siert, ein­ge­la­gert und der For­schung zugäng­lich gemacht wer­den. Gut mög­lich, dass es bald auch ein­mal in einer Aus­stel­lung über Beton­ar­chi­tek­tur in der Schweiz der Öffent­lich­keit prä­sen­tiert wird. 
 
Marie-Christine Andres Schürch
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