Weis­heit und Stär­ke – alles nur törich­te Eitelkeit?

Weis­heit und Stär­ke – alles nur törich­te Eitelkeit?

1. Korin­ther­brief 1,26–29Seht doch auf eure Beru­fung, Brü­der und Schwe­stern! Da sind nicht vie­le Wei­se im irdi­schen Sinn, nicht vie­le Mäch­ti­ge, nicht vie­le Vor­neh­me, son­dern das Törich­te in die­ser Welt hat Gott erwählt, um die Wei­sen zuschan­den zu machen, und das Schwa­che in der Welt hat Gott erwählt, um das Star­ke zuschan­den zu machen. Und das Nied­ri­ge in der Welt und das Ver­ach­te­te hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu ver­nich­ten, damit kein Mensch sich rüh­men kann vor Gott.Ein­heits­über­set­zung 2016 

Weis­heit und Stär­ke – alles nur törich­te Eitelkeit?

Man muss sich eine Mei­nung bil­den! Es gehört zu unse­rer Kul­tur, dass wir uns infor­mie­ren, uns ein­mi­schen, abstim­men und enga­gie­ren. Natür­lich kann und muss man viel­leicht in man­chen kom­ple­xen Pro­ble­men sagen: Ich ver­ste­he die Zusam­men­hän­ge nicht oder zu wenig. Ich muss da auf Men­schen mei­nes Ver­trau­ens hören.Auf wen will ich hören, wenn es dar­um geht, aus dem brei­ten Spek­trum der Mei­nun­gen aus­zu­wäh­len und mir ein eige­nes Urteil zu bil­den? Es geht dar­um, kri­tisch zu beur­tei­len, ob jemand mit Sach­kennt­nis und Unab­hän­gig­keit ein glaub­wür­di­ger Mensch ist. Den wer­de ich dann einen wei­sen Men­schen nen­nen und ihn ernst neh­men.Was ich auf die­se Wei­se her­aus­fin­de, ist dann viel­leicht nicht abso­lut rich­tig und löst nicht alle Pro­ble­me, aber ich bin mei­nen Grund­wer­ten treu geblie­ben und hän­ge mein Fähn­lein nicht ein­fach in den Wind. Da kön­nen eini­ge Leu­te als Wei­se auf­tre­ten, alle mög­li­chen Dis­zi­pli­nen ver­tre­ten und Auto­ri­tät bean­spru­chen. Sie sind wich­tig und füh­len sich manch­mal noch wich­ti­ger. Aber allein schon des­halb, weil sie sich gegen­sei­tig wider­spre­chen, weiss ich, dass ich mir einen Raum der Unab­hän­gig­keit bewah­ren muss.Die Weis­heit der Welt, um es mit den Wor­ten des hl. Pau­lus zu sagen, ist sehr anfäl­lig für ver­schie­de­ne Erkran­kun­gen. Da gibt es Mode­strö­mun­gen und Kon­kur­renz­pro­ble­me, Selbst­ge­fäl­lig­keit und Fana­tis­mus. Aber ein­fa­cher geht es nun mal nicht in unse­rer Welt. Wenn Pau­lus dar­auf hin­weist, dass Gott das «Törich­te» erwählt, so ist dies sein Hin­weis auf himm­li­sche Mass­stä­be, die anders sind als unse­re Wirk­lich­keit.Aller­dings kön­nen die Wor­te des Pau­lus zu einer gefähr­li­chen Schief­la­ge füh­ren. Es geht nicht dar­um, sich der Metho­de Got­tes irdisch anzu­schlies­sen und das Törich­te, das Dum­me also, für das Rich­ti­ge zu hal­ten. Auch für got­tes­fürch­ti­ge Men­schen gilt: Miss­erfolg ist nicht per se ein Zei­chen für Gott­ver­trau­en. Wir brau­chen die Wei­sen die­ser Welt, aber wir müs­sen ihnen gegen­über kri­tisch blei­ben. Sie nicht zu hören wird mit Sicher­heit in eine Kata­stro­phe füh­ren. Wir brau­chen Men­schen, die Macht aus­üben kön­nen, aber wir müs­sen sie kon­trol­lie­ren. Auf sie zu ver­zich­ten führt ins Cha­os.Im Geist der Berg­pre­digt Jesu und des Magni­fi­cat Mari­ens wird deut­lich: Es geht um eine Umwer­tung. Was sich aus sich selbst her­aus für wich­tig und wert­voll hält, wird abge­straft. Weis­heit und Stär­ke sind nicht Mit­tel der Selbst­dar­stel­lung und erst recht kei­ne Selbst­recht­fer­ti­gung der Macht. Nur als Dienst für all­ge­mei­nes Wohl­erge­hen und Gerech­tig­keit sind sie von Wert. Fehlt ihnen die­se Ziel­set­zung, sind sie törich­te Eitel­keit.Um der Gefahr der Selbst­über­schät­zung zu ent­ge­hen, braucht es den Glau­ben, die Gewiss­heit, dass mit all dem, was wir in die­ser Welt ent­schei­den, das letz­te Wort nicht gespro­chen ist. Das letz­te Wort gehört, wie das erste, allein Gott. So blei­ben wir Men­schen, die nach dem rich­ti­gen Weg suchen mit den Mit­teln, die uns gege­ben sind, dem Ver­stand und der Lie­be. Bei­de sind geeig­net und nötig, um uns die Augen zu öff­nen. Und es bleibt uns der Glau­be, dass Gott auf die krum­men Lini­en unse­res Lebens die letz­te Weis­heit schrei­ben wird.Lud­wig Hes­se, Theo­lo­ge, Autor und Teil­zeit­schrei­ner, war bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung Spi­tal­seel­sor­ger im Kan­ton Baselland
Regula Vogt-Kohler
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