Weih­nach­ten im Osten

  • Sh. F. (Name der Redak­ti­on bekannt) stammt aus Afgha­ni­stan. Er stu­dier­te und arbei­te­te im Iran, bevor er 2018 mit Frau und Kin­dern in die Schweiz flüchtete.
  • Der Sozio­lo­ge mit Master-Abschluss kennt sich mit Reli­gi­ons­fra­gen aus. Im Cari­tas-Pro­jekt «Mit Deutsch unter­wegs» hat er einen Text über die Fei­er von Weih­nach­ten und Neu­jahr «im Osten» verfasst.
  • Den Text hat Sh. F. auf Per­sisch geschrie­ben und zusam­men mit einem Freund ins Deut­sche über­setzt. Hori­zon­te ver­öf­fent­licht den Text unter abge­kürz­tem Namen, um den Autor vor mög­li­chen Repres­sio­nen zu schützen.

Jesus Chri­stus hat eine sehr hohe Stel­lung im reli­giö­sen Glau­ben der Mus­li­me und die Mus­li­me betrach­ten ihn als einen ihrer Pro­phe­ten. Aus die­sem Grund wird in den mei­sten mus­li­mi­schen Län­dern die Geburt Jesu und die Fei­er des Beginns des neu­en Jah­res gefei­ert. Dar­über hin­aus beein­flusst die Anwe­sen­heit christ­li­cher Min­der­hei­ten in eini­gen mus­li­mi­schen Län­dern die Abhal­tung von Zere­mo­nien, die Deko­ra­ti­on von Stras­sen und Passagen. 

Üppi­ge Fei­ern am Per­si­schen Golf

In den Län­dern des Per­si­schen Golfs wer­den die Geburt Jesu (PBUH = Peace Be Upon Him) und das neue Jahr gefei­ert. In die­sen Län­dern leben­de Chri­sten kön­nen Weih­nach­ten und die Geburt Chri­sti frei fei­ern. Daher sind die Märk­te, Ein­kaufs­zen­tren und Hotels deko­riert. Die Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­te haben jetzt die Ober­hand und über­tref­fen punk­to Fei­er­lich­kei­ten sogar vie­le west­li­che Län­der. Hun­der­te von Chri­sten aus aller Welt ver­sam­meln sich in der St. Fran­cis Church im Süden Dubais, um die Geburt Jesu Chri­sti zu fei­ern. In Abu Dha­bi fin­det anläss­lich der Geburt Jesu Chri­sti eine beson­de­re Zere­mo­nie statt. Chri­sten in Kuwait, Bah­rain, Katar und Oman fei­ern auch Weih­nach­ten und Neujahr. 

Eine Grup­pe jor­da­ni­scher Tau­cher (San­ta Claus Tau­cher) taucht im tra­di­tio­nel­len San­ta Claus Kostüm im Golf von Aqa­ba unter Was­ser. Sie fei­ern Weih­nach­ten und die Geburt von Jesus, dem Sohn Mari­as, mit Fischen und Koral­len sowie einem Erin­ne­rungs­fo­to. An eini­gen Orten wer­den Weih­nachts­bäu­me an öffent­li­chen Orten auf­ge­stellt, und es ist üblich, dass Orte beleuch­tet und Märk­te über­füllt sind. 

Lan­ge Tra­di­ti­on des Christentums

Die Kir­che Mariä im Damas­kus ist eine der wich­tig­sten und schön­sten anti­ken christ­li­chen Stät­ten, an denen zahl­rei­che Zere­mo­nien statt­fin­den. Die Geschich­te die­ser alten Kir­che reicht bis ins erste Jahr­hun­dert des Chri­sten­tums zurück.

Die mei­sten isla­mi­schen Län­der erlau­ben den christ­li­chen Min­der­hei­ten ihres Lan­des, ihre reli­giö­sen Riten und Zere­mo­nien durch­zu­füh­ren. Neu­jahr wird in den mei­sten ara­bi­schen Län­dern, der Tür­kei, Paki­stan, Malay­sia, Indo­ne­si­en und Zen­tral­asi­en sowie im Kau­ka­sus gefei­ert. Aber die gre­go­ria­ni­sche Geschich­te ist in den mei­sten mus­li­mi­schen Län­dern fast uni­ver­sell und wird in admi­ni­stra­ti­ven, wis­sen­schaft­li­chen und histo­ri­schen Ange­le­gen­hei­ten ver­wen­det.  Jesus Chri­stus hat einen wich­ti­gen Platz im reli­giö­sen Glau­ben des afgha­ni­schen Vol­kes. Er ist einer der aus­er­wähl­ten Pro­phe­ten, der im Koran mit Ehr­furcht erwähnt wird. 

Tod und Ter­ror statt Freu­de in Afghanistan

Des­halb haben die Men­schen in Afgha­ni­stan Chri­stus lan­ge respek­tiert. Dar­über hin­aus haben die Bür­ger Afgha­ni­stans in den letz­ten Jah­ren das neue Jahr begrüsst und ande­ren gra­tu­liert. Gegen­wär­tig wird das Gre­go­ria­ni­sche Datum zusam­men mit dem Solar­da­tum in Afgha­ni­stan häu­fig in natio­na­len und inter­na­tio­na­len Berech­nun­gen verwendet. 

Die anhal­ten­de Unsi­cher­heit in Afgha­ni­stan hat jedoch nicht nur den Raum für Anhän­ger ande­rer Reli­gio­nen und Grup­pen ein­ge­schränkt, son­dern auch die Mus­li­me Afgha­ni­stans haben ernst­haf­te Schwie­rig­kei­ten, loka­le Zere­mo­nien und Fei­ern abzu­hal­ten. Die Men­schen in Afgha­ni­stan wagen es nicht, aus Angst vor dem Ter­ror des Tali­ba­nis­mus zu fei­ern. Ter­ro­ris­mus und reli­giö­ser Extre­mis­mus haben wie­der­holt die Fei­er­lich­kei­ten und Zere­mo­nien des afgha­ni­schen Vol­kes ins Visier genom­men und Tau­sen­de von Kin­dern, Män­nern und Frau­en getö­tet. Mus­li­mi­sche Moscheen, Sikh-Schrei­ne, Hoch­zei­ten, Schu­len, Uni­ver­si­tä­ten usw. wur­den wie­der­holt von Ter­ro­ri­sten in die Luft gesprengt. Daher gibt es in Afgha­ni­stan der­zeit kei­nen Grund für Fei­ern und Freude. 

Geflüch­te­te beto­nen das Verbindende

Aber für vie­le Afgha­nen, die auf­grund der anhal­ten­den Krie­ge in west­li­che Län­der aus­ge­wan­dert oder geflüch­tet sind, ist das Fei­ern von Neu­jahr und Weih­nach­ten ein sozia­les Prin­zip, das mit der kul­tu­rel­len Ver­schmel­zung ver­bun­den ist. Sie haben eine Mischung ver­schie­de­ner Kul­tu­ren geschaf­fen, um Weih­nach­ten und Neu­jahr zu fei­ern. Sie igno­rie­ren fast die Unter­schie­de und fei­ern Weih­nach­ten, indem sie die Ähn­lich­kei­ten zwi­schen Neu­jahr und den Fei­er­ta­gen des afgha­ni­schen Vol­kes wie Eid al-Fitr, Eid al-Adha und Nowruz erken­nen. 

Tat­säch­lich kom­bi­nie­ren sie den Inhalt öst­li­cher Feste mit dem Auf­tre­ten west­li­cher Weih­nach­ten und fei­ern und freu­en sich. Sie fei­ern die Ankunft des neu­en Jah­res, indem sie afgha­ni­sches Essen kon­su­mie­ren und ver­schie­de­ne Wett­be­wer­be und Unter­hal­tungs­pro­gram­me für Kin­der star­ten, dar­un­ter den Weih­nachts­mann, und Weih­nachts­lie­der und Musik auf­füh­ren. Tat­säch­lich kann gesagt wer­den, dass die Migra­ti­on den Grund­stein für eine star­ke kul­tu­rel­le, sozia­le und sogar fami­liä­re Bin­dung des afgha­ni­schen Vol­kes an die west­li­che Welt gelegt hat. 

Neu­jahrs­fei­er soll Men­schen auf der gan­zen Welt verbinden

Im All­ge­mei­nen wer­den in vie­len isla­mi­schen Län­dern Weih­nach­ten und Neu­jahr gefei­ert. Vie­le Men­schen glau­ben, dass das Fei­ern des neu­en Jah­res ihren Über­zeu­gun­gen nicht wider­spricht. Eini­ge hal­ten die Fei­er die­ses Tages für nütz­lich für die Soli­da­ri­tät und Inter­ak­ti­on der Welt des Chri­sten­tums und des Islam. Ande­re ver­bin­den es mit der Geschich­te und glau­ben an sei­ne öst­li­chen Ursprün­ge und betrach­ten es als abge­lei­tet vom mithrai­schen Ritus, dem Geburts­tag von Mithra. Schliess­lich glaubt die Mehr­heit, dass Weih­nach­ten und Neu­jahr nicht nur ein reli­giö­ser Tag sind, son­dern eine all­ge­mei­ne und nicht reli­giö­se Zere­mo­nie der gesam­ten Mensch­heit, die unter dem Gesichts­punkt der kul­tu­rel­len Inter­ak­ti­on gefei­ert wer­den sollte. 

Marie-Christine Andres Schürch
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