Weg­wer­fen ist die letz­te Option

Weg­wer­fen ist die letz­te Option

Immer wie­der kommt es vor, dass Leu­te beim Pfarr­amt anklop­fen und einen reli­giö­sen Gegen­stand abge­ben wol­len. Im Umgang mit aus­ran­gier­ten Devo­tio­na­li­en sind seel­sor­ger­li­ches Fein­ge­fühl und krea­ti­ve Auf­be­wah­rungs­ideen gefragt.Eine Notiz der Pfar­rei Bir­menstorf in «Hori­zon­te» weck­te die Neu­gier der Redak­ti­on. Unter der Ãœber­schrift «Devo­tio­na­li­en» stand da: «In letz­ter Zeit wur­den in der Kir­che diver­se Gegen­stän­de, die eine reli­giö­se Bedeu­tung haben, depo­niert. Wir bit­ten Sie, Devo­tio­na­li­en nur nach Abspra­che mit unse­rem Pfar­rer zu hin­ter­le­gen. Dann kann auch der pas­sen­de Ort zum Hin­stel­len gefun­den werden.»

Das Kru­zi­fix des Grossvaters

Das Latei­ni­sche Wort «Devo­tio» bedeu­tet auf Deutsch «Hin­ga­be» oder «Ehr­furcht». Devo­tio­na­li­en sind Gegen­stän­de, die der Andacht die­nen sol­len, man könn­te auch sagen: Hilfs­mit­tel zum Gebet. Dazu gehö­ren zum Bei­spiel Kru­zi­fi­xe, Rosen­krän­ze, Hei­li­gen­bil­der und –sta­tu­en oder Medail­len. In der Bir­menstor­fer Kir­che waren in den ver­gan­ge­nen Wochen eine Sta­tue von Bru­der Klaus, ein Kreuz und eine Jesus­kind­fi­gur auf­ge­taucht, wie Pfarr­ad­mi­ni­stra­tor Cele­sti­ne Thaz­hup­pil erzählt. Er ver­mu­tet: «Die Men­schen haben Angst, die­se Din­ge weg­zu­wer­fen und brin­gen sie des­halb in die Kir­che.» Wie die Recher­che von Hori­zon­te zeigt, ken­nen auch ande­re Aar­gau­er Pfar­rei­en die­ses Phä­no­men. Alle befrag­ten Pfar­rei­se­kre­tä­rin­nen, Sakri­stane und Seel­sor­ger haben ent­spre­chen­de Erfah­run­gen gemacht. Beson­ders häu­fig scheint es vor­zu­kom­men, dass Pfar­rei­an­ge­hö­ri­ge, die das Haus von ver­stor­be­nen Ver­wand­ten räu­men, beim Pfarr­amt anklop­fen und reli­giö­se Gegen­stän­de vor­bei­brin­gen. Ab und zu pas­siert es auch, dass Din­ge — wie in Bir­menstorf — kom­men­tar­los in der Kir­che depo­niert wer­den. Dem Bis­tum ist das Anlie­gen bestens bekannt. Urs Brun­ner, Pasto­ral­ver­ant­wort­li­cher im Bischofs­vi­ka­ri­at Pasto­ral und Bil­dung, sagt: «Es kommt vor, dass Gläu­bi­ge sich direkt an den Bischof wen­den, um Devo­tio­na­li­en abzu­ge­ben.» Es sei nicht pri­mär Angst, wel­che die Leu­te am pro­fa­nen Ent­sor­gen reli­giö­ser Gegen­stän­de hin­de­re, son­dern ein Gefühl von Ehr­furcht und Pie­tät. Er erin­nert sich an Fäl­le aus sei­ner eige­nen Zeit als Seel­sor­ger und macht ein Bei­spiel: «Ein Kru­zi­fix, das der Gross­va­ter zeit­le­bens über sei­nem Bett hän­gen hat­te, wirft die Enke­lin nicht ein­fach weg.»

Bis­tum: «Seel­sor­gen­de müs­sen Fein­ge­fühl beweisen»

Weg­wer­fen ist also kei­ne Opti­on. Weder für die­je­ni­gen, wel­che Din­ge los­wer­den möch­ten, noch für die Seel­sor­gen­den, wel­che sie ent­ge­gen­neh­men. Aber wohin mit all den Kreu­zen, Bil­dern und Figu­ren? Von Sei­ten des Bis­tums gibt es kei­ne offi­zi­el­le Rege­lung, wie mit aus­ge­dien­ten Devo­tio­na­li­en zu ver­fah­ren ist. Es legt die­se Ver­ant­wor­tung in die Kom­pe­tenz der Seel­sor­gen­den vor Ort. Der Pasto­ral­ver­ant­wort­li­che Urs Brun­ner plä­diert dabei für gesun­den Men­schen­ver­stand und seel­sor­ger­li­ches Fein­ge­fühl. Obwohl klar sei, dass – gut biblisch aus­ge­drückt – alles sei­ne Zeit habe und alles irgend­wann ent­sorgt wer­den müs­se, wäre es fatal, jeman­dem zu sagen ‚Wirf doch den alten Kram weg’. «Der Seel­sor­ger nimmt die Din­ge ent­ge­gen und hilft im Ide­al­fall mit einem guten Wort beim Abschied­neh­men.» Es sei ein Dienst am Näch­sten, jeman­dem einen sol­chen Gegen­stand abzu­neh­men und nach bestem Wis­sen und Gewis­sen damit zu ver­fah­ren.

Ver­steckt in den Mauerritzen

Die­sen Dienst erfüllt auch Schwe­ster Ursu­la Niech­o­lat. Als Sakri­stanin in der Pfar­rei St. Vere­na in Bad Zurz­ach fin­det sie immer wie­der klei­ne Zei­chen des Glau­bens in ihrer Kir­che. So zum Bei­spiel Hei­li­gen­bild­chen, Pla­ket­ten, Anhän­ger oder auch mal einen Rosen­kranz. Die Devo­tio­na­li­en wirft sie nicht weg, son­dern gibt ihnen einen ganz beson­de­ren Platz im Mün­ster. Im Ver­bin­dungs­gang zwi­schen Kir­che und Kryp­ta liegt eine Besen­kam­mer mit altem Gemäu­er. In die Mau­er­rit­zen steckt Schwe­ster Ursu­la die Bild­chen und Anhän­ger. Für die Ordens­schwe­ster steckt in die­ser Hand­lung auch eine Sym­bo­lik: Der per­sön­li­che Glau­be der Pfar­rei­an­ge­hö­ri­gen trägt als Fun­da­ment die Kir­che. Und sie ist offen­bar nicht allein, wie eine Anek­do­te zeigt: «Als bei uns im Klo­ster der alte Lift weg­muss­te, kamen in der Mau­er Sta­tu­en zum Vor­schein, die frü­he­re Schwe­stern dort depo­niert hat­ten.», erzählt die Sakri­stanin.

Eine Ladung Rosen­krän­ze im Osterfeuer

Doch längst nicht alle Din­ge, die auf dem Pfarr­amt abge­ge­ben wer­den, pas­sen in Mau­er­rit­zen. Davon zeugt die Samm­lung von Haus­wart Sacha Rebe­tez. Im Kel­ler des Pfar­rei­heims bewahrt er auf, was Gläu­bi­ge nicht weg­wer­fen woll­ten. Für Hori­zon­te nimmt er sorg­fäl­tig eini­ge der Kreu­ze und Sta­tu­en her­vor. Dar­un­ter eine Art Schrein, gut einen hal­ben Meter hoch und einen Meter lang. Eine Ladung Rosen­krän­ze habe man letz­tes Jahr dem Oster­feu­er über­ge­ben, bemerkt Sacha Rebe­tez. Denn behal­ten kön­ne man beim besten Wil­len nicht alles. Das sagt nicht nur der Haus­wart der Pfar­rei St. Vere­na, son­dern Seel­sor­gen­de quer durch den Kan­ton. Dabei han­deln alle nach ihrem Gewis­sen und ihren Mög­lich­kei­ten. Der Bir­menstor­fer Pfar­rer Cele­sti­ne Thaz­hup­pil ver­sucht zum Bei­spiel, die Gegen­stän­de wei­ter zu ver­mit­teln an Leu­te, die Freu­de dar­an haben. Ab und zu ent­sor­ge man halt doch etwas, geben eini­ge zu.

Devo­tio­na­li­en­han­del im Abwärtstrend

Bad Zurz­ach mit dem Grab der Hei­li­gen Vere­na ist auch Wall­fahrts­ort. Da wäre es nahe­lie­gend, dass dort nicht nur aus­ge­dien­te Devo­tio­na­li­en abge­ge­ben, son­dern auch neue gekauft wer­den. Denn tra­di­tio­nell sind Wall­fahrts­or­te Zen­tren des Devo­tio­na­li­en­han­dels. Doch das ein­zi­ge, was die Pfar­rei regel­mäs­sig ver­kau­fe, sei­en die Wall­fahrts­ker­zen, erzählt Schwe­ster Ursu­la. Es gebe Ein­zel­per­so­nen, die nach einem Andenken an die Hei­li­ge Vere­na frag­ten, doch eine gros­se Nach­fra­ge nach Devo­tio­na­li­en stel­le sie nicht fest. Eine rück­läu­fi­ge Ten­denz im Geschäft mit sakra­len Gegen­stän­den macht auch Ursu­la Bränd­li aus. Die Bad Zurz­a­che­rin weiss, wovon sie spricht. Zusam­men mit ihrem Mann und einem Team von fünf Teil­zeit-Ver­käu­fe­rin­nen betreibt sie die Fir­ma «Ars pro deo Ricken­bach AG» und den dazu­ge­hö­ri­gen Laden am Klo­ster­platz in Ein­sie­deln. Das Spe­zi­al­ge­schäft für christ­li­che Kunst, sakra­le Kult­ge­gen­stän­de und Devo­tio­na­li­en wur­de 1910 gegrün­det und exi­stiert seit über hun­dert Jah­ren. Im Jahr 2002 über­nahm das Ehe­paar Gün­ten­sper­ger Bränd­li zusam­men mit einem wei­te­ren Part­ner die Mehr­heit am Fami­li­en­un­ter­neh­men, um den Tra­di­ti­ons­be­trieb und die Arbeits­plät­ze zu ret­ten. Dazu gehör­ten auch gros­se Lager­be­stän­de an Iko­nen, Kreu­zen und Got­tes­dienstu­ten­si­li­en. «Was wir nach wie vor gut ver­kau­fen, sind Kar­ten, Ker­zen, Rosen­krän­ze und Schutz­en­gel in allen Varia­tio­nen. Aber auch Madon­nen, Weih­rauch und Grab­ker­zen sowie Krip­pen und Krip­pen­fi­gu­ren», zählt Ursu­la Bränd­li auf. «Beliebt sind auch Andenken und Geschen­ke an kirch­li­che Anläs­se wie Erst­kom­mu­ni­on und Fir­mung sowie für Hoch­zeits­paa­re.» Aber die teils sper­ri­gen Iko­nen und geschnitz­ten Bild­nis­se im Lager, viel­fach Hand­ar­bei­ten aus dem Süd­ti­rol, sei­en deut­lich weni­ger gefragt als frü­her. Die hohe Qua­li­tät von Ars pro deo hat ihren Preis. Und weil heu­te sogar die Prie­ster das gün­stig­ste Ange­bot im Inter­net suchen, kämpft das Geschäft ums Ãœber­le­ben. Trotz­dem set­zen die Betrei­ber auf Qua­li­tät: «Es gibt viel Ramsch auf dem Devo­tio­na­li­en­markt. Wir arbei­ten aber bewusst nur mit weni­gen, lang­jäh­ri­gen Lie­fe­ran­ten und set­zen auf ein aus­ge­wo­ge­nes Sor­ti­ment und fun­dier­te Bera­tung im Laden.», erklärt Ursu­la Bränd­li. «Auf dass das Tra­di­ti­ons­un­ter­neh­men trotz oder gera­de wegen des Inter­net­ver­kaufs auch sein zwei­tes Jahr­hun­dert über­le­be!»

Ver­steck­te Wün­sche und Mitteilungen

In Bir­menstorf hat sich die Per­son, wel­che die Gegen­stän­de in der Kir­che abge­stellt hat, bis heu­te nicht gemel­det. Aber der Bir­menstor­fer Pfar­rer Cele­sti­ne Thaz­hup­pil macht sich Gedan­ken: «Gut mög­lich, dass mit dem Abstel­len der Bru­der-Klaus-Sta­tue jemand dar­auf hin­wei­sen woll­te, dass wir das dies­jäh­ri­ge 600-Jahr-Jubi­lä­um fei­ern soll­ten. Das haben wir näm­lich bis jetzt noch nicht getan.» Auch Schwe­ster Ursu­la Niech­o­lat könn­te sich vor­stel­len, dass hin­ter gewis­sen Gegen­stän­den ein Wunsch oder eine ver­steck­te Mit­tei­lung steckt. Das Abbild der Hei­li­gen Fami­lie lag neben dem Für­bit­ten­buch: «Ich glau­be, dass da jemand bewusst ein Zei­chen des Glau­bens set­zen woll­te.» Die Hei­li­ge Fami­lie übri­gens ist nicht in den Mau­er­rit­zen der Besen­kam­mer ver­schwun­den. Sie hat bei Schwe­ster Ursu­la ein neu­es Zuhau­se gefun­den. Mehr zum tra­di­ti­ons­rei­chen Fami­li­en­un­ter­neh­men: www.arsprodeo.ch 
Marie-Christine Andres Schürch
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