Was macht Nepomuk auf der Brücke?
Matthäus 10,28–31Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch eher vor dem, der Seele und Leib in der Hölle verderben kann! Verkauft man nicht zwei Spatzen für einen Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.Einheitsübersetzung 2016 Was macht Nepomuk auf der Brücke?
Sein Schritt war quer zur Fahrtrichtung. Normalerweise ist eine Brücke ja dazu da, zwei Ufer miteinander zu verbinden, also einen Übergang zu schaffen zwischen den Ufern eines Flusses oder über eine Schlucht. Der heilige Johannes Nepomuk stand quer zur weltlichen Macht und wurde über das Brückengeländer hinuntergestossen in die Moldau. Quer zur Fahrtrichtung steht er als Statue seither auf mancher Brücke, nicht Wächter und nicht Polizist. Er ist ein Segnender und bewacht den sicheren Weg der Passanten.Wir haben uns daran gewöhnt, die sicheren Brücken kaum mehr zu bemerken, wenn wir auf Autobahnen unterwegs sind. Wir ahnen manchmal kaum mehr, dass es unter der Fahrbahn hundert Meter in die Tiefe geht. Nur manchmal, bei einem Unglück wie in Genua oder beim Überqueren einer Schlucht auf einer Hängebrücke in den Bergen, erleben wir die Unsicherheit beim Blick in die Tiefe. Letzteres kann durchaus mit einem Lustgefühl verbunden sein, einem Kribbeln im Magen, einem Schwindel im Kopf, einer leichten Sehnsucht nach Fliegenkönnen, einer Angst vor dem Fallen.Manchmal muss man den gewohnten sicheren Boden unter den Füssen verlassen. Sich ein Leben lang auf die gewohnten Bedingungen zu verlassen, ist keine gute Strategie. Manche Veränderung verlangt uns das Schicksal ab und ist der Not geschuldet. Andere sind freiwillige Aufbrüche zu neuen Ufern, aus Abenteuerlust oder einfach Lebenssehnsucht. Und das Altern verlangt uns die permanente Anpassung an neue Umstände ab. Abstürzen kann man dabei immer, und schon die Vorstellung davon kann uns den Schauer des Schreckens über den Rücken jagen.Während ich diese Ungewissheiten unseres Lebensweges vor Augen habe, denke ich an die Menschen, die von der Gewalt der Kriege aus ihrer Heimat vertrieben werden. Sie müssen sich auf einen Weg machen, der sie mit vielen Gefahren und Nöten konfrontiert. Sie verlassen ihr gewohntes Leben und wissen nicht, was auf sie zukommt. Sie verlassen geliebte Orte und Menschen und wissen nicht, wo sie ankommen werden. Finden sie die rettende Brücke?Der tiefste Graben, den wir zu überschreiten haben, wird unser Tod sein. Wir haben ihn alle noch vor uns, manche haben vielleicht schon hinabgeschaut in die Bodenlosigkeit und Abgründigkeit des Sterbens. Gibt es das jenseitige Ufer? Und gibt es die tragende Brücke?Wie gut, dass wir nicht nur für die Gefahr Bilder haben. Unseren Weg begleiten auch die schützenden Gestalten, die Schutzengel etwa oder auch der heilige Nepomuk. Aber auch wir können helfende Hände und schützende Begleiter sein für Menschen auf den verschiedensten Brücken und Übergängen des Lebens. Wir können Halt geben, wenn sie sich zaghaft vorwärtstasten, und wir können loslassen, wenn sie neuen sicheren Halt haben.
Ludwig Hesse, Theologe, Autor und Teilzeitschreiner, war bis zu seiner Pensionierung Spitalseelsorger im Kanton Baselland.