«Was ist Gott ande­res denn Leben und Lieblichkeit …»

«Was ist Gott ande­res denn Leben und Lieblichkeit …»

Johan­nes 15,3–5Ihr seid schon rein kraft des Wor­tes, das ich zu euch gesagt habe. Bleibt in mir und ich blei­be in euch … Ich bin der Wein­stock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich blei­be, der bringt rei­che Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.Ein­heits­über­set­zung 2016 

«Was ist Gott ande­res denn Leben und Lieblichkeit …»

In den Feri­en. Da darf es end­lich mal sein, dass wir irgend­wo in der Hit­ze des Som­mers her­um­spa­zie­ren, ohne viel nach­zu­den­ken. So war es, als ich vor eini­gen Jah­ren mei­ne Toch­ter in Est­land besuch­te. Sie orga­ni­sier­te eine Über­nach­tung im Gäste­haus des Klo­sters Piri­ta bei Tal­linn. Piri­ta? Kei­ne Ahnung. Andern­tags fas­zi­nier­te mich an dem Ort eine Rui­ne, die Über­bleib­sel eines Klo­sters. Eine Art Innen­raum, kein Dach, der Boden eine Wie­se. Ganz dem Him­mel preis­ge­ge­ben, lässt sich noch eine Kir­che erah­nen. Jedes Jahr wür­den da Abend­kon­zer­te statt­fin­den, hat­ten wir gehört.Jetzt ging mir ein Licht auf. Es war ein ehe­ma­li­ges Klo­ster der Schwe­stern der hl. Bir­git­ta von Schwe­den. Eines der Klö­ster der Bir­git­ten-Schwe­stern. Und das Gäste­haus, in dem wir über­nach­te­ten, gehör­te die­sen Schwe­stern in der Haupt­stadt Est­lands. Eine Hei­li­ge so hoch im Nor­den?Bir­git­ta, eine Frau aus dem 14. Jahr­hun­dert, war Mut­ter, Ehe­frau, eine tief gläu­bi­ge Frau, und eine kri­ti­sche Frau schon als ihr Mann noch leb­te, mit dem sie nach Nor­we­gen und nach Sant­ia­go de Com­po­ste­la in Spa­ni­en pil­ger­te. Die bei­den hat­ten Euro­pa und sei­ne Kir­chen­spal­tun­gen ken­nen­ge­lernt. Nach dem Tod ihres Man­nes begann sie ein aske­ti­sches Leben und war von den Offen­ba­run­gen Chri­sti beseelt, von einer tie­fen Ver­bin­dung mit Chri­stus. Sie blieb, und das beein­druckt mich umso mehr, nicht bei der Kri­tik ste­hen, son­dern bemüh­te sich, wenn auch schein­bar ver­ge­bens, zu ver­bin­den, was aus­ein­an­der zu fal­len droh­te. Sie bewähr­te sich als Bera­te­rin von Köni­gen und zwei­er Päp­ste und wirk­te mit an der Frie­dens­po­li­tik im Krieg zwi­schen Eng­land und Frank­reich. In Rom grün­de­te sie ein Hos­piz für Pil­ger und enga­gier­te sich für Frau­en am Ran­de der Gesell­schaft.«Innen und aus­sen» war bei Bir­git­ta von Schwe­den eines. Tie­fe Fröm­mig­keit und Lie­be zur Ein­heit unter den Men­schen. Von die­ser engen Ver­bin­dung lesen wir auch im Evan­ge­li­um im Bild der Rebe und des Wein­stocks. Die Rebe ver­mag nichts ohne die Ver­bin­dung zum Wein­stock. Jede Gärt­ne­rin weiss das. «Wer in mir bleibt und in wem ich blei­be, der bringt rei­che Frucht.» Ohne die Kraft und Unter­stüt­zung Got­tes kom­men wir all­zu schnell an unse­re Gren­ze. Die inne­re gött­li­che Quel­le sucht uns viel­leicht. Ein Zitat der Hei­li­gen lau­tet:«Was ist Gott ande­res denn Leben und Lieb­lich­keit, leuch­ten­des Licht, unver­gäng­li­che Güte, rich­ten­de Gerech­tig­keit und hei­len­des Erbar­men.»Gut ist es, nur eines die­ser Wor­te immer wie­der zu medi­tie­ren und in sich auf­zu­neh­men beim Spa­zie­ren oder Dösen in der Hit­ze.In die­ser Zeit, in der man den Ein­druck bekom­men kann, dass alles aus­ein­an­der­brö­selt, scheint eine neue Kraft zu wer­den: Wir beka­men durch die Coro­na­kri­se das Gespür dafür, dass wir auf­ein­an­der ange­wie­sen sind. Oder plötz­lich haben wir Far­bi­ge und Weis­se im glei­chen Blick, im glei­chen Gesichts­feld und in glei­cher Wür­de. «Was ist Gott ande­res denn Leben …» – mein, dein, sein, ihr Leben. Wir mögen unter­schied­lich sein und unse­re Sym­pa­thien und Anti­pa­thien haben. Aber wir sind mehr als das: Wir alle tra­gen in uns die Freu­de Got­tes an uns.Anna-Marie Fürst, Theo­lo­gin, arbei­tet in der Gefäng­nis­seel­sor­ge Basel-Stadt 
Redaktion Lichtblick
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