Von Rosen und Disteln

Von Rosen und Disteln

  • «Das sind gewal­ti­ge The­men, die Mona­te, wenn nicht Jah­re in Anspruch neh­men», ant­wor­te­te der Histo­ri­ker Pir­min Mei­er auf die Anfra­ge von Hori­zon­te, wel­che biblisch-sym­bo­li­schen Bezü­ge es in der Pflan­zen­welt gebe. 
  • Trotz­dem wagt er in die­sem Arti­kel den Ver­such, das bunt blü­hen­de und bis­wei­len wild wuchern­de The­ma zu umreissen.
  • Eine Tour d’Ho­ri­zon über die Sym­bol- und Heil­kraft von Blu­men und Kräu­tern – biblisch-reli­gi­ös, mystisch und volksfromm.

«Mit Rosen­knos­pen wol­len wir uns bekrän­zen», rühmt das Buch der Weis­heit (2,8), wobei die Bibel aber sowohl im Alten wie im Neu­en Testa­ment die Dor­nen nie ver­gisst, ein­schliess­lich natür­lich der Dor­nen­kro­ne Jesu (M 15,17 und Jo 19,5). Über­haupt besteht bei Erträ­gen der Fel­der stets die Gefahr, dass sie «unter die Dor­nen fal­len», womit der Dorn nega­tiv kon­no­tiert bleibt, im Gegen­satz zur viel­ge­rühm­ten Lilie, die weder sät noch ern­tet, vgl. auch das Hohe­lied 2,2: «Wie eine Lilie unter den Dor­nen ist mei­ne Freundin.» 

Korn­blu­me

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Die Korn­blu­me war im Mit­tel­al­ter als Mari­en­blu­me bedeutsam

Weiss­dorn als Wallfahrtsziel

Ins­ge­samt vier­zehn­mal sind im Alten und Neu­en Testa­ment «Dor­nen und Disteln» genannt, stets mit nega­ti­ver Bedeu­tung. Dies ändert aber nichts dar­an, dass in der mysti­schen Tra­di­ti­on, auch in Lie­dern, der «Dorn­strauch» gera­de auch wegen der Dor­nen­kro­ne, an die Erlö­sung gemahnt. 

In die­se Tra­di­ti­on reiht sich das frei­bur­gi­sche Dorn­hei­lig­tum Ber­lens in der Nähe von Romont ein. Die dor­ti­ge Kir­che Not­re-Dame de l’Épine stammt aus der Zeit zwi­schen dem 12. und 14. Jahr­hun­dert und ist seit etwa 400 Jah­ren ein Wall­fahrts­ort, zu dem ein sehr alter Weiss­dorn­strauch gehört. Der Name der Kir­che beruht auf der Über­lie­fe­rung, wonach Maria in die­sem Dor­nen­strauch erschie­nen sei. Der Weiss­dorn ist eine bedeu­ten­de christ­lich-mysti­sche Kultpflanze.

Erfah­rungs­wis­sen

Die Klö­ster hat­ten mass­geb­li­chen Ein­fluss auf den Anbau von Pflan­zen, deren Ver­brei­tung und deren Ver­wen­dung für Ernäh­rung, Medi­zin und Brauch­tum. Kein Klo­ster, das nicht nicht einen reich bestück­ten Kräu­ter­gar­ten pfleg­te. Jahr­hun­der­te hin­durch expe­ri­men­tier­ten Mön­che und Non­nen mit Heil­kräu­tern und sam­mel­ten so Erfah­rungs­wis­sen über deren Wir­kung. Zwi­schen ver­schie­de­nen Klö­stern herrsch­te ein Aus­tausch an Büchern, Prä­pa­ra­ten und Samen. Bekann­tes Bei­spiel für den so erwor­be­nen Wis­sens­schatz ist das Werk der Bene­dik­ti­ne­rin Hil­de­gard von Bin­gen, die im 11. Jahr­hun­dert lebte.

Pfingst­ro­se

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Die Pfingst­ro­se wird seit der Anti­ke als Heil­mit­tel ver­wen­det. Bei Hip­po­kra­tes wie auch 1400 Jah­re spä­ter bei Hil­de­gard von Bin­gen galt sie als Mit­tel gegen Ver­dau­ungs­stö­run­gen. Para­cel­sus betrach­te­te sie als Heil­mit­tel gegen Epilepsie.

Mikro- und Makrokosmos

Theo­phrast von Hohen­heim, der Magi­er vom Etzel, gebo­ren wohl 1493 in Egg nahe Ein­sie­deln, wur­de unter dem Namen Para­cel­sus der berühm­te­ste euro­päi­sche Arzt, Alche­mist und Natur­phi­lo­soph. Er wand­te zum Auf­fin­den von Heil­mit­teln die Signa­tu­renleh­re an, die auf der Ent­spre­chung zwi­schen Mikro- und Makro­kos­mos beruh­te und seit dem Alter­tum bekannt war. Para­cel­sus hielt die­se Leh­re erst­mals schrift­lich fest. 

Die Signa­tu­renleh­re ord­net Mit­tel auf­grund von Ana­lo­gien in Form, Far­be, Geruch, Geschmack oder Ent­ste­hungs­zeit bestimm­ten Orga­nen oder Krank­heits­sym­pto­men zu. So wur­de der Boh­ne auf­grund ihrer Form eine Heil­wir­kung bei Nie­ren­lei­den zuge­schrie­ben und der Wal­nuss eine posi­ti­ve Wir­kung auf das Gehirn. Der gel­be Saft des Schöll­krauts soll­te gegen Gelb­sucht wirken.

Engel­di­stel

Die in der Bibel viel­fach genann­te Distel ist eine Para­cel­si­sche Heil­pflan­ze, auch mit magi­scher Ver­wen­dung, die als Engel­di­stel hel­fen soll, Kraft von star­ken Men­schen auf Kran­ke und Schwa­che zu über­tra­gen. Als biblisch gilt auch die an Fron­leich­nam aus­ge­streu­te Korn­blu­me und als eben­falls bei Para­cel­sus beleg­te Heil­pflan­ze der Koriander.

Vom christ­li­chen Kalen­der geprägt

Aber nicht die Bibel, son­dern vor allem der christ­li­che Kalen­der präg­te die Spi­ri­tua­li­tät der Blu­men, Sträu­cher, Bäu­me. Als bedeu­tend­ste volks­from­me Heil­pflan­ze ist das um den Johan­nis­tag am 24. Juni blü­hen­de Johan­nis­kraut oder Hart­heu zu nen­nen, das nach Para­cel­sus als beson­ders viel­sei­tig wirk­sa­me Heil­pflan­ze in sich sel­ber von Weis­heit über die Natur erfüllt ist. Dass die gel­be Blü­te beim Zer­rei­ben rot wird, erin­nert an die blu­ti­ge Pas­si­on Jesu und mahnt auch, dass Johan­nis­sal­be treff­lich für Mund­be­hand­lung sei. Über­dies stell­te man mit gedörr­tem Johan­nis­kraut Heil­kis­sen her, wel­che als Hil­fe beim Schla­fen anti­de­pres­siv wir­ken sollten. 

Wenn im Hoch­som­mer die Kräu­ter reif sind, fei­ert die katho­li­schen Kir­che das Hoch­fest Mariä Him­mel­fahrt. Seit dem 10. Jahr­hun­dert ist das Fest mit der Seg­nung von Kräu­tern und Blu­men ver­bun­den. Im Kräu­ter­strauss fin­den sich zum Bei­spiel Wer­mut, Sal­bei, Ros­ma­rin, Arni­ka, Min­ze oder Kamil­le. Die Sträus­se hal­fen, aller­lei Unheil abzu­weh­ren. Bei auf­zie­hen­den Gewit­tern etwa ver­brann­te man eini­ge Zwei­ge im Ofen, um Haus und Hof vor Blitz­schlag zu schützen.

Eben­falls psy­cho­phy­si­sche Wir­kung wur­de dem im Win­ter um die Weih­nachts­ta­ge blü­hen­den «Hel­le­bo­rus» nach­ge­sagt, schon beim Grie­chen Hip­po­kra­tes. Die Heil­pflan­ze wur­de als «Christ­ro­se» spi­ri­tua­li­siert und gehört eben­so wie der Bar­ba­ra­zweig vom Kirsch­baum in die Weihnachtszeit.

Ein­bee­re

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Die fünf­blätt­ri­ge Ein­bee­re galt als Mit­tel gegen die Pest.

Rose ohne Dornen

Der deut­sche Name der Pfingst­ro­se ver­weist auf ihre Blü­te­zeit und die rosen­ähn­li­che Blü­ten­form. Doch ihr bota­ni­scher name «Paeo­nia» soll auf den grie­chi­schen Gott der Heil­kunst, Pae­on, zurückgehen. 

Die Pflan­ze wird seit der Anti­ke medi­zi­nisch genutzt. Sowohl bei Hip­po­kra­tes als auch bei Hil­de­gard von Bin­gen half die Pfingst­ro­se bei Ver­dau­ungs­stö­run­gen. Para­cel­sus bezeich­ne­te sie als Mit­tel gegen Epi­lep­sie. Als «Rose ohne Dor­nen» war sie Attri­but Marias.

Blut­schweiss Jesu

Ab der Zeit der mit­tel­al­ter­li­chen Kreuz­zü­ge wur­de der mit­ge­brach­te und danach unter ande­rem im Bur­gund ange­pflanz­te Gra­nat­ap­fel Kult, zum Bei­spiel beim hei­li­gen Bern­hard von Clairvaux. Er setz­te den Gra­nat­ap­fel­saft, nebst den Ker­nen eine belieb­te Fasten­spei­se, mit dem Blut­schweiss Jesu gleich. 

Visio­nen im Wacholder

Popu­lär aus dem Reich der Sträu­cher wur­de über­dies das «Sieb­ner­lei» der zu seg­nen­den und geseg­ne­ten Kräu­ter, die das Böse abweh­ren hal­fen: Stech­pal­me, Lär­che, Eibe, Buchs, Föh­re, Hasel und zumal der Wachol­der, zu des­sen Gesträuch, etwa im solo­thur­ni­schen Mel­tin­gen und im luzer­ni­schen Ettis­wil, zahl­rei­che mysti­sche Visio­nen über­lie­fert sind. 

Über dies alles hin­aus bleibt die Rose eine biblisch-mysti­sche Pflan­ze und Heil­pflan­ze, die das Herz stärkt. In der lau­re­ta­ni­schen Lita­nei wird die Got­tes­mut­ter «Rosa mysti­ca» genannt, was bei mir schon als Kna­be bese­li­gen­des Erstau­nen auslöste.

Marie-Christine Andres Schürch
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