Von der Mühe mit der Menschlichkeit

Die 49. Solo­thur­ner Film­ta­ge bie­ten wie­der­um ein brei­tes Spek­trum an inter­es­san­ten Fil­men. Die dies­jäh­ri­ge Aus­ga­be bringt auch den mit Span­nung erwar­te­ten Strei­fen rund um den Poli­zei­kom­man­dan­ten und Flücht­lings­hel­fer Paul Grü­nin­ger. Ein leuch­ten­des Bei­spiel an Zivil­cou­ra­ge in der dunk­len Geschich­te der Schweiz zur Zeit des Zwei­ten Weltkrieges 

Gemäss Paul Grü­nin­ger (1891–1972) waren es über zwei Tau­send Men­schen, man­che rech­nen mit drei Tau­send. Der Kom­man­dant der St. Gal­ler Kan­tons­po­li­zei hat Doku­men­te gefälscht und Wei­sun­gen miss­ach­tet. Und damit unzäh­li­gen jüdi­schen Flücht­lin­gen aus Öster­reich wäh­rend des Nazi-Ter­rors das Leben geret­tet. Regis­seur Alain Gspo­ner hat das bewe­gen­de Leben des St. Gal­ler Poli­zei­haupt­man­nes ver­filmt, wel­cher, von der Poli­tik fal­len gelas­sen, in Armut starb. Ent­stan­den ist eine Grat­wan­de­rung zwi­schen Fak­ten und Fiktion.

Papie­re vor­da­tiert
Sie flüch­te­ten nach dem so genann­ten Anschluss Öster­reichs an Hit­ler-Deutsch­land in die Schweiz. Als der Bun­des­rat im August 1938 die Gren­ze schloss, kamen sie über die Grü­ne Gren­ze im St. Gal­ler Rhein­tal. Grenz­be­am­te, Wir­te, Anwoh­ner hal­fen ihnen. Trotz viel Ableh­nung und Hart­her­zig­keit in der Schweiz – Grü­nin­ger war kei­nes­wegs allein mit sei­nem Ein­satz. Gedeckt wur­de er zudem von Regie­rungs­rat Valen­tin Keel, der ihn spä­ter fal­len liess. Grü­nin­ger hör­te sich die Geschich­ten der Ver­folg­ten an, ent­schied, wann immer es ihm mög­lich schien, dass sie blei­ben durf­ten. Danach über­gab er die Geret­te­ten der Israe­li­ti­schen Flücht­lings­hil­fe. Grü­nin­ger datier­te etwa die Ein­rei­se­pa­pie­re vor die Grenz­sper­rung zurück. Manch­mal hol­te er Häft­lin­ge aus Dach­au, indem er deut­schen Poli­zei­stel­len schrieb, die Ein­rei­se der Betref­fen­den in die Schweiz sei gesi­chert – was nur die hal­be Wahr­heit war.

Mann mit christ­li­cher Welt­auf­fas­sung
Spä­te­stens seit dem 28. Sep­tem­ber 1938, einen Tag, bevor die Schweiz mit Deutsch­land die Kenn­zeich­nung der Päs­se deut­scher Juden mit einem J ver­ein­bar­te, wuss­te Grü­nin­ger, was im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Dach­au geschah. Das schreibt Jörg Krum­men­acher in sei­nem Buch «Flüch­ti­ges Glück». Grü­nin­ger fand, es sei Pflicht und Tra­di­ti­on der Schweiz, Men­schen Asyl zu gewäh­ren, die ver­folgt und bedroht wer­den. Und: «Mei­ne Hil­fe­lei­stung an die Juden war begrün­det in mei­ner christ­li­chen Welt­auf­fas­sung», schrieb der Pro­te­stant rück­blickend. Es hät­te eine schö­ne Geschich­te inmit­ten unsäg­li­chen Unrechts wer­den kön­nen. Doch per Anfang April 1939 wur­de Grü­nin­ger wegen sei­nes Ein­sat­zes für die Flücht­lin­ge frist­los ent­las­sen. Das Bezirks­ge­richt St. Gal­len ver­ur­teil­te ihn wegen Amts­pflicht­ver­let­zung und Urkun­den­fäl­schung. Zeit­le­bens leb­te er in Armut, weil er kei­ne feste Stel­le mehr fand.

Gerech­ter unter den Völ­kern
Er war schon alt, als sei­ne Ver­dien­ste in jüdi­schen Krei­sen bekannt wur­den. 1971 erklär­te ihn die Jeru­sa­le­mer Holo­caust-Gedenk­stät­te «Yad Vas­hem» zum Gerech­ten unter den Völ­kern. Es dau­er­te aber noch lan­ge, bis er offi­zi­ell reha­bi­li­tiert wur­de. Vor allem lin­ke Krei­se kämpf­ten jah­re­lang dafür, beson­ders der Rechts­an­walt und heu­ti­ge Stän­de­rat Paul Rech­stei­ner und Grü­nin­gers Bio­graph Ste­fan Kel­ler. 1993 end­lich wur­de er durch die St. Gal­ler Regie­rung poli­tisch reha­bi­li­tiert, 1994 ehr­te ihn der Bun­des­rat. 1995 schliess­lich reha­bi­li­tier­te ihn das Bezirks­ge­richt St. Gal­len mit einem Frei­spruch auch juri­stisch. Mit der Ent­schä­di­gung des Kan­tons, 1,3 Mil­lio­nen Fran­ken, grün­de­ten die Nach­kom­men die Paul-Grü­nin­ger-Stif­tung. Die­se ver­leiht einen Preis für beson­de­re Mensch­lich­keit und Mut im Sin­ne Paul Grüningers.

Ein Platz, ein Sta­di­on, eine Brücke
Heu­te ist ein klei­ner Platz in der St. Gal­ler Alt­stadt nach ihm benannt. Eben­so das Sta­di­on des SC Brühl, mit dem der lei­den­schaft­li­che Fuss­bal­ler 1915 Schwei­zer Mei­ster gewor­den war. Und kürz­lich haben die St. Gal­ler Regie­rung und die Vor­arl­ber­ger Behör­den beschlos­sen, der Grenz­brücke zwi­schen Die­pold­s­au und Hohen­ems sei­nen Namen zu geben. Eine Ein­fa­che Anfra­ge des grü­nen Kan­tons­rats Mein­rad Gschwend hat­te den Aus­schlag gege­ben. Doch anders als bis zu sei­ner Reha­bi­li­tie­rung wur­den lin­ke Poli­ti­ker dies­mal ver­ge­bens miss­trau­isch, als es län­ger dau­er­te mit der Ant­wort der St. Gal­ler Regie­rung: «Sein Mut und sein Ver­hal­ten ver­dient aus Sicht der Regie­rung höch­sten Respekt und Aner­ken­nung», schreibt die Regie­rung und begrüsst dem­entspre­chend «die zur Erin­ne­rung an sei­ne Lei­stung bereits an ver­schie­de­nen Orten im Kan­ton St. Gal­len vor­ge­nom­me­nen Benen­nun­gen von Anla­gen und Ein­rich­tun­gen wie auch alle zu Ehren sei­nes 40. Todes­ta­ges an ver­schie­de­nen Orten vor­ge­se­he­nen Akti­vi­tä­ten.» Heu­te ist Paul Grü­nin­ger ein ange­se­he­ner und für sei­ne Mensch­lich­keit hoch geach­te­ter Mann.

Petra Mühl­häu­ser, Kipa

 

www.solothurnerfilmtage.ch

Redaktion Lichtblick
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