Vom Umgang mit der Logik einer barm­her­zi­gen Pastoral

Vom Umgang mit der Logik einer barm­her­zi­gen Pastoral

Knapp 200 Sei­ten ver­öf­fent­lich­te Papst Fran­zis­kus am ver­gan­ge­nen Frei­tag, 8. April 2016, als Abschluss­do­ku­ment zur Fami­li­en­syn­ode über Ehe, Sexua­li­tät und Fami­lie. Die Reak­ti­on fal­len unter­schied­lich aus.«Amo­ris lae­ti­tia» ist ein Doku­ment der fei­nen Töne – typisch für Papst Fran­zis­kus. Die kla­ren Zei­chen setzt er im Zwi­schen­mensch­li­chen – und wird es kom­men­des Wochen­en­de in Les­bos wohl wie­der tun. Aber auch in dog­ma­ti­schen Fra­gen folgt der Argen­ti­ni­er sei­ner Logik der Barm­her­zig­keit – mit viel Fin­ger­spit­zeng­fühl für den Spa­gat zwi­schen Hard­li­nern und Refor­mern. Sei­ne Aus­sa­gen fal­len in sei­nem jüngst ver­öf­fent­loch­ten Lehr­schrei­ben ent­spre­chend vage aus. Dass das all jene, die kla­re Signa­le erhofft hat­ten, ent­täu­schen wird, zeich­net sich bereits ab.

Chur warnt, Basel zeigt sich erfreut

Der Sit­te­ner Bischof Jean-Marie Lovey sprach namens der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz SBK von einem «Weg des Unter­schei­dens und Beglei­tens.» Und: Das «Unter­schei­den» müs­se über einer kata­lo­gi­sier­ten Wahr­heit ste­hen. Der Bischof ver­wies in sei­ner Stel­lung­nah­me über­dies auf eine Text­stel­le zu Per­so­nen, die in kom­ple­xen, «irre­gu­lä­ren» Situa­tio­nen leb­ten. Dort heis­se es: «Die Logik der Inte­gra­ti­on ist der Schlüs­sel ihrer pasto­ra­len Beglei­tung… Sie sind Getauf­te, sie sind Brü­der und Schwe­stern, der Hei­li­ge Geist giesst Gaben und Cha­ris­men zum Wohl aller auf sie aus.»Der Bas­ler Bischof Felix Gmür zeig­te sich erfreut über den Inhalt des Schrei­bens von Papst Fran­zis­kus zu Ehe und Fami­lie. «Der Papst geht dar­in von der Wirk­lich­keit aus», so Felix Gmür. Nach dem Wil­len des Pap­stes müs­se die «kom­ple­xe Wirk­lich­keit», die oft eine ande­re sei als die ide­al­ty­pi­sche, unter­schie­den und berück­sich­tigt wer­den. «Das ist ein Weg der Lie­be und der Öff­nung», so der Bischof.Anders beur­teil­te dies der Chu­rer Gene­ral­vi­kar: Die pasto­ra­le Pra­xis dür­fe im Ein­zel­fall nicht die Leh­re der Kir­che über­ge­hen. Das wür­de der Glaub­wür­dig­keit der Kir­che scha­den, so Mar­tin Gricht­ing. Gleich­wohl: Die Zei­ten, wo die Römisch-Katho­li­sche Kir­che in Fra­gen der Sexu­al­mo­ral und Ehe ver­ur­teilt, schei­nen – zumin­dest vor­läu­fig – vor­bei.Die Pro­fes­so­rin für Dog­ma­tik und Fun­da­men­tal­theo­lo­gie an der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur, Eva-Maria Faber, erklär­te gegen­über Radio SRF, dass sie in dem päpst­li­chen Schrei­ben einen neu­en Ansatz erken­ne. Die Wirk­lich­keit habe Vor­rang vor der Idee – den Nor­men und Geset­zen. Die indi­vi­du­el­le Situa­ti­on der Gläu­bi­gen sol­le künf­tig stär­ker gewich­tet wer­den. «Eine neue Aus­sa­ge ist bei­spiels­wei­se, dass nicht das Zer­bre­chen jeder Ehe eine schwe­re Sün­de ist.» – Die Unter­stüt­zung der Betrof­fe­nen und deren Wie­der­ein­glie­de­rung in die Glau­bens­ge­mein­schaft beinhal­te auch den Emp­fang der Kom­mu­ni­on. «Wenn in der Ver­gan­gen­heit immer wie­der betont wur­de, dass eine Wie­der­zu­las­sung für die Betrof­fe­nen zur Kom­mu­ni­on nicht mög­lich ist, so sind die aktu­el­len Aus­sa­gen von Papst Fran­zis­kus ein Durch­bruch in die­ser Fra­ge.»

«Fran­zis­kus knallhart»

Er ertei­le der Home-Ehe eine Abfuhr, geis­se­le die freie Geschlech­ter­wahl und wol­le kei­ne neu­en Regeln für wie­der­ver­hei­ra­te­te Geschie­de­ne, urteil­te der «Blick» als eines der ersten säku­la­ren Medi­en über das neue päpst­li­che Lehr­schrei­ben und titel­te: «Fran­zis­kus knall­hart». Peter Röth­lis­ber­ger, Chef­re­dak­tor des «Blick», ruder­te dem­ge­gen­über etwas zurück: Der Papst räu­me den Seel­sor­gen­den mehr Spiel­raum ein, auch wenn er an den Fun­da­men­ten der katho­li­schen Fami­li­en­leh­re nicht rütt­le. Gleich­wohl beton­te der «Blick»-Chefredaktor: Der Papst ver­tre­te wie alle sei­ne Vor­gän­ger die kon­ser­va­ti­ven Wer­te, die sei­ne Kir­che seit 2000 Jah­ren prä­gen. «Auf allen Sei­ten Kom­pro­mis­se ein­zu­ge­hen, heisst, die eige­ne Mar­ke zu ver­wäs­sern. Das wird der katho­li­schen Kir­che nicht pas­sie­ren. Mit Macht­er­halt kennt sie sich aus», so Peter Röth­lis­ber­ger.Aus der Sicht der Bas­ler Zei­tung bleibt das Abschluss­do­ku­ment oft vage. Der Papst bie­te kei­ne ein­fa­chen Hand­rei­chun­gen oder strik­te Anwei­sun­gen. Auch wer­de das kirch­li­che Lehr­ge­bäu­de nicht ein­ge­ris­sen, aller­dings öff­ne Fran­zis­kus «Räu­me, wo vor­her kei­ne waren». Ent­täu­schen dürf­te das Doku­ment alle, die eine Revo­lu­ti­on vom Haupt der katho­li­schen Kir­che erwar­tet hät­ten, und zugleich alle, die sich eine kom­plet­te Absa­ge an Ver­än­de­run­gen erhofft hat­ten.

Ent­täu­schung für Homosexuelle

Für die «Aar­gau­er Zei­tung» rüt­telt Papst Fran­zis­kus nicht grund­sätz­lich an der bis­he­ri­gen Leh­re, schlägt aber neue Töne an. Der Ita­li­en-Kor­re­spon­dent der Zei­tung, Domi­nik Straub, schreibt, der Papst wol­le kei­ne ande­re Leh­re, son­dern eine ande­re Hal­tung der Kir­che. Er for­de­re Respekt und Mit­ge­fühl auch für Gemein­de­mit­glie­der, die vom Pfad der katho­li­schen Tugend abge­wi­chen sei­en, und öff­ne auch inhalt­li­che, für die Pra­xis wich­ti­ge Spiel­räu­me. So soll­ten künf­tig die Orts­bi­schö­fe ent­schei­den kön­nen, ob und unter wel­chen Bedin­gun­gen wie­der­ver­hei­ra­te­te Geschie­de­ne am kirch­li­chen Leben und an den Sakra­men­ten teil­neh­men kön­nen. Im Grun­de «lega­li­siert» der Papst damit letzt­lich eine Pra­xis, die in vie­len Diö­ze­sen ohne­hin üblich ist.Für die «Neue Zür­cher Zei­tung» kön­nen sowohl Refor­mer wie Bewah­rer eine Bestä­ti­gung ihrer Posi­tio­nen aus dem Doku­ment her­aus­le­sen. Das Schrei­ben ste­he nicht für einen Kurs­wech­sel in strit­ti­gen Fra­gen der Ehe- und Sexu­al­mo­ral. Eine gros­se Ent­täu­schung müs­se das Schrei­ben des Pap­stes dem­nach für homo­se­xu­el­le Men­schen dar­stel­len. Die Situa­ti­on von gleich­ge­schlecht­li­chen Paa­ren kom­me so gut wie nicht vor. Ins­ge­samt spieg­le das Schrei­ben des Pon­ti­fex den Wider­streit der Bischö­fe an der Fami­li­en­syn­ode wider. Die Zeit des römi­schen Rigo­ris­mus schei­ne aber vor­bei zu sein.
Andreas C. Müller
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