Vom Suchen und Gerufen-Werden

Vom Suchen und Gerufen-Werden

1 Samu­el 3,3b–10.19In jenen Tagen schlief der jun­ge Samu­el im Tem­pel des Herrn, wo die Lade Got­tes stand. Da rief der Herr Samu­el, und Samu­el ant­wor­te­te: Hier bin ich. Dann lief er zu Eli und sag­te: Hier bin ich, du hast mich geru­fen. Eli erwi­der­te: Ich habe dich nicht geru­fen. Geh wie­der schla­fen! Da ging er und leg­te sich wie­der schla­fen. (…) Da rief der Herr den Samu­el wie­der, zum drit­ten Mal. Er stand auf und ging zu Eli und sag­te: Hier bin ich, du hast mich geru­fen. Da merk­te Eli, dass der Herr den Kna­ben geru­fen hat­te. Eli sag­te zu Samu­el: Geh, leg dich schla­fen! Wenn er dich wie­der ruft, dann ant­wor­te: Rede, Herr; denn dein Die­ner hört. Samu­el ging und leg­te sich an sei­nem Platz nie­der. Da kam der Herr, trat zu ihm her­an und rief wie die vori­gen Male: Samu­el, Samu­el! Und Samu­el ant­wor­te­te: ­Rede, denn dein Die­ner hört. Samu­el wuchs her­an, und der Herr war mit ihm und liess kei­nes von all sei­nen Wor­ten unerfüllt.Ein­heits­über­set­zung, gekürzt 

Vom Suchen und Gerufen-Werden

Es war ein schö­ner Herbst­tag. Die Son­ne schien und ein ange­nehm küh­ler Herbst­wind trieb die Blät­ter im Gar­ten umher. Kurz­ent­schlos­sen mach­te ich mich für einen Spa­zier­gang bereit. Bet­telnd und schwanz­we­delnd folg­te mir unser Hund bis zur Tür. «Na gut, dann komm halt auch mit», dach­te ich und nahm ihn an die Lei­ne. Wir hat­ten ihn noch nicht so lan­ge und ehr­lich gesagt, war ich auch nicht gera­de sein gröss­ter Fan. Ziel­stre­big stie­gen wir den Hügel hin­auf in den Wald. Am Wald­rand nahm ich ihn von der Lei­ne und warf ihm einen Holz­stock, den er freu­dig appor­tier­te. Er war­te­te nur dar­auf, dass ich ihn wie­der und noch wei­ter weg­warf. Das ging eine Wei­le so, bis der Stock aus Ver­se­hen irgend­wo im Gebüsch lan­de­te und mein Hund dar­in ver­schwand. Weg war der Stock, mit­samt Hund … Das Gebüsch hat­te sie ver­schluckt. «Na, der wird schon wie­der kom­men», dach­te ich und war­te­te gedul­dig. Nach und nach ver­lor ich die Geduld und rief den Hund. Ich horch­te. Kein Mucks war zu hören, nicht ein­mal das Rascheln von Laub oder Geäst. Ich rief noch lau­ter und bestimm­ter. Aber nichts reg­te sich. Woll­te er mich zum Nar­ren hal­ten? Hät­te ich ihn doch nur nicht von der Lei­ne gelas­sen! Müh­sam such­te ich mir einen Weg durch das dor­nen­ver­wach­se­ne Gebüsch. Schliess­lich ent­deck­te ich da den Vier­bei­ner, wie er see­len­ver­gnügt am Boden in der Son­ne lag und genüss­lich am Stock her­um­kau­te.Auf dem Rück­weg fiel mir die Geschich­te von Rab­bi Baruch ein, die ich ein­mal bei Mar­tin Buber in sei­nen chas­si­di­schen Erzäh­lun­gen gele­sen hat­te: Rab­bi Baruchs Enkel, der Kna­be Jechi­el, spiel­te einst mit einem ande­ren Kna­ben Ver­stecken. Er ver­barg sich gut und war­te­te, dass ihn sein Gefähr­te such­te. Als er lan­ge gewar­tet hat­te, kam er aus dem Ver­steck; aber der ande­re war nir­gends zu sehen. Nun merk­te Jechi­el, dass jener ihn von Anfang an nicht gesucht hat­te. Wei­nend kam er in die Stu­be sei­nes Gross­va­ters gelau­fen und beklag­te sich über den bösen Spiel­ge­nos­sen. Da flos­sen Rab­bi Baruch die Augen über, und er sag­te: «So spricht Gott auch: Ich ver­ber­ge mich, aber kei­ner will mich suchen.»Wie luxu­ri­ös erging es da im Gegen­zug dem Samu­el? Er muss­te Gott nicht suchen, son­dern wur­de gar von ihm geru­fen, auch wenn es eine Wei­le dau­er­te, bis sein Leh­rer Eli das ent­spre­chend deu­ten konn­te. Viel­leicht ist es so, dass heu­te kei­ner mehr Gott suchen will. Jedoch möch­te ich mich fra­gen, ob nicht wenig­stens die Mög­lich­keit besteht, dass er uns sucht, wie damals Samu­el? Wie, wenn nicht auf die­se Wei­se, sol­len wir die Weih­nachts­er­eig­nis­se deu­ten?Mit was für einem guten Gefühl kön­nen wir also ins neue Jahr star­ten, wenn wir es im Bewusst­sein tun, dass Gott uns auch im neu­en Jahr suchen wird? Schlies­sen wir die­se Opti­on in unse­rem Leben mit ein! Wir kön­nen doch so gut Ereig­nis­se anti­zi­pie­ren und stel­len uns vor, wie wir im Som­mer Geburts­tag fei­ern wer­den und wen wir alles ein­la­den. Oder wie wir mit unse­ren besten Freun­den eine Rei­se oder Wan­de­rung machen und wie toll das wie­der­um sein wird! War­um soll­ten wir nicht ernst­haft in Betracht zie­hen, dass es im neu­en Jahr Situa­tio­nen geben wird, in denen wir von Gott geru­fen wer­den?!Mathi­as Jäg­gi, Theo­lo­ge und Sozi­al­ar­bei­ter in der Pfar­rei Hei­lig-Kreuz, Bin­nin­gen-Bot­t­min­gen, Berufs­schul­leh­rer und Fachhochschuldozent
Redaktion Lichtblick
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