Vom Exorzismus zum Befreiungsdienst

Vom Exorzismus zum Befreiungsdienst

  • Der emer­i­tierte Wei­h­bischof Mar­tin Gächter war mehr als 30 Jahre lang im «Heilungs- und Befreiungs­di­enst» des Bis­tums Basel tätig.
  • «Existiert der Teufel?», «Wie wirkt er?» und «Wie kön­nen wir uns vor ihm schützen?». Mit diesen Fra­gen beschäftigt sich der 84-Jährige seit über 60 Jahren.
  • Als Gächter Ende 2023 sein Amt an zwei Nach­fol­ger über­gab, hielt er anlässlich eines Vor­trags Rückschau auf «30 Jahre Befreiungs­ge­bet und Exorzis­mus im Bis­tum Basel».

Wichtig sei, zwis­chen dem Teufel und den Dämo­nen zu unter­schei­den, sagte Mar­tin Gächter zu Beginn seines Vor­trags: «Der Teufel plagt die Men­schen weniger als die Dämo­nen, die eigentlich Plagegeis­ter sind. Der Teufel ist vor allem ein Ver­führer, der uns mit gefäl­li­gen Worten belügt und ver­führen will. Dämo­nen sind Plagegeis­ter, die mit dem Teufel in Verbindung ste­hen, die aber nicht die Macht des Teufels haben», erk­lärte er.

Der Gegner von Christus

In der Bibel kommt der Teufel im Alten und Neuen Tes­ta­ment öfters vor und trägt ver­schiedene Namen: Dia­bo­lus, Satan oder Luz­ifer. «Dia­bo­lus» ist Griechisch und bedeutet über­set­zt «der Ver­dreher». «Satan» ist Hebräisch und bedeutet auf Deutsch «der Geg­n­er oder der Wider­sach­er». «Luz­ifer» ist Griechisch und heisst über­set­zt «der Licht­träger». Jedoch strahlt dieser Licht­träger nur schein­bar hell, merkt Mar­tin Gächter an. In Wirk­lichkeit ist er ein dun­kles Wesen, der Geg­n­er von Chris­tus, der das wahre Licht ist. «Luz­ifer ist kein Licht­träger, son­dern ein Wolf im Schafspelz.»[esf_wordpressimage id=48346 width=half float=right][/esf_wordpressimage]

Mar­tin Gächter präzisiert: «Der Teufel will uns vom Weg der Nach­folge Christi abbrin­gen, ohne dass wir es merken. Daher ist der Teufel für uns alle gefährlich. Er rät uns etwas schein­bar Gutes, das in Wirk­lichkeit schlecht ist. Er macht Gutes schlecht und Schlecht­es gut! Er ver­sucht, uns zu ver­führen und durcheinan­der zu brin­gen.»

Den Teufel durch Wahrheit besiegen

Zur Ver­an­schaulichung nan­nte Gächter in seinem Vor­trag einige Beispiele: «Viele Ver­drehun­gen muss man heute z.B. in täglichen Behaup­tun­gen fest­stellen oder im Krieg in der Ukraine, etwa wenn Präsi­dent Putin die Lüge ver­bre­it­et, dass der West­en der Angreifer von Rus­s­land sei, gegen den er sich vertei­di­gen müsse.» Er wolle den rus­sis­chen Präsi­den­ten nicht als Teufel hin­stellen, sagt Gächter, «doch sein Denken und Reden enthal­ten Ver­drehun­gen, die dia­bolisch sind. Wir müssen uns hüten, den Teufel in Mit­men­schen zu sehen, doch das Ver­drehte und Falsche in ihrem Reden und Tun müssen wir ent­lar­ven und aufzeigen.»

Gächters Faz­it lautet: «Der Teufel ist weniger durch einen Exorzis­mus als durch die Wahrheit und durch Richtig­stellen des Ver­dreht­en zu besiegen. Zu diesem Kampf gegen den Teufel sind wir alle aufgerufen!»

Jährlich bis zu 50 Anfragen

Dämo­nen seien im Unter­schied zum Teufel «unsicht­bare Plagegeis­ter, welche die Men­schen kör­per­lich und geistig quälen und ihnen viel Angst machen», erk­lärte der emer­i­tierte Wei­h­bischof in seinem Vor­trag.

Die Unter­schei­dung zwis­chen Dämo­nen und psy­chis­chen Prob­le­men ist sehr wichtig, aber nicht ein­fach. Hier liegt ein Grund für viel Kri­tik und Ablehnung von Befreiungs­di­enst und Exorzis­mus. Wer im Befreiungs­di­enst tätig sei, müsse deshalb neben ein­er the­ol­o­gis­chen und seel­sorg­er­lichen Aus­bil­dung auch viel Ken­nt­nis in der Psy­cholo­gie haben, betont Mar­tin Gächter: «Man muss psy­chis­che Krankheit­en erken­nen kön­nen: Psy­cho­sen, Schiz­o­phre­nie, Ver­fol­gungswahn, Trau­ma­ta. Diese müssen vor allem psy­chol­o­gisch behan­delt wer­den.»

Geplagte Menschen ernst nehmen

Seit über 20 Jahren macht sich Mar­tin Gächter Noti­zen zu den Anfra­gen, die ihn in sein­er Funk­tion als Leit­er des «Heilungs- und Befreiungs­di­en­stes» erre­ichen. «Anfangs waren es jedes Jahr etwa 35 bis 50 Anfra­gen, in den let­zten Jahren kamen jedes Jahr etwa 60 Anfra­gen am Tele­fon oder per Mail» zu ihm. Gächter nan­nte in seinem Vor­trag einige Beschw­er­den, unter denen die Anruferin­nen und Anrufer lei­den. Ältere Leute klagten oft, dass sie plöt­zlich Schmerzen spürten, die sie noch nie hat­ten und die sie darum unsich­er machen. Es melde­ten sich auch Men­schen, die nach früherem Dro­genkon­sum Alb­träume entwick­eln oder sich im Schlaf von bösen Geis­tern ver­fol­gt fühlen. Andere lei­den unter Zwang­shand­lun­gen. Manche der Anrufend­en äussern den Ver­dacht, dass ein Bekan­nter oder ein Ver­wandter sie ver­wün­scht oder ver­flucht habe. «Da beste­ht aber die grosse Gefahr, dass unschuldige Mit­men­schen ungerecht schw­er verdächtigt wer­den», gibt Gächter zu bedenken.

Viele, die sich beim «Heilungs- und Befreiungs­di­enst» melden, sind unsich­er, ob es sich bei ihrem Lei­den um eine Besessen­heit han­deln kön­nte. Mar­tin Gächter find­et es sehr wichtig, alle geplagten Men­schen ernst zu nehmen und sie nicht abzuweisen: «Bit­ten um einen Exorzis­mus lösen bei Seel­sor­gen­den und über­haupt in der Kirche viel Unsicher­heit und Fra­gen aus – oft auch Ablehnung. Doch geplagte Men­schen müssen ernst genom­men und gut begleit­et wer­den.»

Oft habe er eine halbe Stunde mit den Leuten gesprochen und ihnen dann sagen kön­nen, dass bei ihnen keine Dämo­nen im Spiel seien, son­dern dass sie an ein­er psy­chis­chen Schwäche oder Krankheit lit­ten, sagte Gächter in seinem Vor­trag. «Mit einem solchen Bescheid wer­den viele Men­schen erle­ichtert. Sie sind beruhigt und dafür dankbar. Andere aber wollen unbe­d­ingt daran fes­thal­ten, dass sie nicht krank seien, son­dern besessen». Zum Abschluss des Gesprächs habe er meis­ten — auch am Tele­fon — Befreiungs­ge­bete gebetet.

Ein einziger Fall von echter Besessenheit

Echte Besessen­heit erlebte der emer­i­tierte Wei­h­bischof Mar­tin Gächter nur in einem einzi­gen Fall bei ein­er jun­gen Frau. Für sie betete er im Jahr 2006 zusam­men mit zwei Bischofsvikaren fün­fzehn Mal den Exorzis­mus – mit Erlaub­nis des dama­li­gen Bischofs Kurt Koch, weil ein gross­er Exorzis­mus gemäss dem Kodex des Kanon­is­chen Rechts die Erlaub­nis des Orts­bischofs braucht. «Wie im Film» sei das gewe­sen, erin­nerte sich Gächter vor zwei Jahren in einem Inter­view mit kath.ch: «Die Frau warf sich auf den Boden, sie habe geto­bt und uns beschimpft. Auch ihre Stimme war völ­lig anders, sehr tief, dia­bolisch und brül­lend.»

Die drei Kirchen­män­ner beteten während den Sitzun­gen im bis­chöflichen Ordi­nar­i­at das Vaterunser, das Ave Maria, freie Gebete und Gebete aus dem römis­chen Rit­u­al «Exorzis­men und Befreiungs­ge­bete», das der Vatikan im Jahr 1999 her­aus­gegeben hat. Zusät­zlich seg­neten sie die Frau mit dem Kreuz und Wei­h­wass­er. Beim Kon­takt mit dem Wei­h­wass­er habe sie laut geschrien: «Uh, das bren­nt.» Mar­tin Gächter erin­nerte sich im Inter­view mit kath.ch: «Es war, als ob Dämo­nen aus ihr her­auss­chreien wür­den. Ich habe deshalb etwas aus­pro­biert: Wenn ich sie mit Wei­h­wass­er bespritzte, schrien sie: «Das bren­nt!». Dann habe ich nor­males Leitungswass­er genom­men – und es gab keine Reak­tion. Da begriff ich, dass das Wei­h­wass­er mehr ist als eine Erin­nerung an die Taufe: Es bewirkt etwas. Ich ver­ste­he jet­zt die Aus­sage, dass der Teufel das Wei­h­wass­er fürchte.»

Exorzismus auf dem Rückzug

Das Wis­sen über Exorzis­mus hat sich Mar­tin Gächter grössten­teils selb­st erar­beit­et und ange­le­sen. Er erk­lärte in seinem Vor­trag: «Seit im Jahr 1969 der Schweiz­er Prof. Her­bert Haag sein Buch «Abschied vom Teufel» veröf­fentlicht hat, wird im The­olo­gi­es­tudi­um das The­ma Engel, gefal­l­ene Engel, Teufel und Dämo­nen, eher ver­nach­läs­sigt.» Zwar hat die römis­che Glauben­skon­gre­ga­tion der päp­stlichen ­Kurie im Jahr 1999 ein neues Römis­ches Rit­u­al «Exorzis­men und Befreiungs­ge­bete» veröf­fentlicht.  Darin wird stark betont, dass immer zuerst zwis­chen psy­chis­chen Krankheit­en und ein­er möglichen Besessen­heit unter­schei­den wer­den muss.  Die römis­che Kurie zeige eine gewisse Zurück­hal­tung gegenüber dem Exorzis­mus. Papst Paul VI. hat­te schon 1973 die niedere Wei­he zum Tauf-Exorzis­ten abgeschafft, die bis dahin jed­er Priester­amt­skan­di­dat emp­fan­gen hat­te. Papst Franziskus redet wieder unbe­fan­gen vom Teufel, jedoch weniger von Besessen­heit und Exorzis­mus.

Der Churer Bischof Bonnemain besetzte die Exorzistenstelle nicht mehr neu

In der Schweiz gab es im Bis­tum Chur bis zum Jahr 2020 den bekan­nten offiziellen Exorzis­ten Bischofsvikar Christoph Caset­ti. Neben vie­len anderen Auf­gaben war Caset­ti ab 2014 ernan­nter Exorzist. Er hat­te einen grossen Zulauf aus der ganzen Schweiz und aus dem Aus­land. Caset­ti ver­starb im Feb­ru­ar 2020. Joseph Bon­nemain, seit 2021 Bischof von Chur, erk­lärte, dass er keinen Nach­fol­ger für Caset­ti ernen­nen werde. Das Bis­tum Chur sei ein frag­würdi­ges «Exorzis­mus-Mek­ka» gewor­den. Als ehe­ma­liger Arzt und langjähriger Spi­talseel­sorg­er ist Bischof Bon­nemain der Mei­n­ung, dass bei ver­muteter Besessen­heit vor allem medi­zinis­che, psy­chol­o­gis­che und psy­chother­a­peutis­che Behand­lung hil­fre­ich sei. Dazu ist auch die seel­sorg­erische Begleitung mit Gesprächen und Gebeten wichtig.

Heilungs- und Befreiungsdienst im Bistum Basel

Damit übere­in­stim­mend erk­lärte Mar­tin Gächter, dass die Diöze­sen weniger Exorzis­ten braucht­en, son­dern genü­gend Seel­sor­gende und für den Befreiungs­di­enst geeignete Laien. «Die meis­ten Men­schen, die einen Exorzis­ten suchen, benöti­gen keinen (grossen)  Exorzis­mus, son­dern ein Heilungs- und Befreiungs­ge­bet, das sie bei ihren Pla­gen stärkt und von ihnen befre­it.

Der «Heilungs- und Befreiungs­di­enst im Bis­tum Basel» ist laut Bis­tum «eine starke Gebet­szusage, dass Chris­tus der Sieger über alles Böse ist». Nach dem Rück­tritt von Mar­tin Gächter beauf­tragte Bischof Felix Gmür Pfar­rer Urs Elsen­er und Diakon Dominik Meier-Ritz, die Anfra­gen im Zusam­men­hang mit dem «Heilungs- und Befreiungs­di­enst» zu behan­deln, Seel­sor­gende und Gläu­bige zu berat­en, sowie den Heilungs- und Befreiungs­di­enst auszuüben.

Im Bis­chöflichen Ordi­nar­i­at in Solothurn trifft sich auch seit Jahrzehn­ten regelmäs­sig ein Gespräch­skreis von 20 bis 40 engagierten Priestern, Seel­sor­gen­den, inter­essierten Laien, Ärzten und Psy­chi­atern aus der deutschen Schweiz, um sich zweimal im Jahr über ihre Fra­gen und Erfahrun­gen im Befreiungs­di­enst auszu­tauschen.

Marie-Christine Andres Schürch
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