Voll­geld-Initia­ti­ve: Zu komplex?

  • Am 10. Juni stim­men wir über die «Voll­geld-Initia­ti­ve» ab. Alle poli­ti­schen Par­tei­en mit Aus­nah­me der Grü­nen (Stimm­frei­ga­be) emp­feh­len die Vor­la­ge zur Ableh­nung. Gleich­wohl macht sie bei der Stimm­be­völ­ke­rung Boden gut.
  • Laut «bref», dem Maga­zin der Refor­mier­ten, wei­beln Kir­chen­ver­tre­ter unter den Befür­wor­tern und Geg­nern glei­cher­mas­sen. Und selbst Papst Fran­zis­kus wur­de bereits eingespannt.
  • Der Sozi­al­ethi­ker Tho­mas Wal­li­mann gibt zu beden­ken, dass die Kom­ple­xi­tät der Vor­la­ge ihres­glei­chen sucht und das System der Geld­schöp­fung von den mei­sten Stimm­be­rech­tig­ten gar nicht ver­stan­den wird. Vor die­sem Hin­ter­grund bestehe die Gefahr, dass die Men­schen kaum Grün­de sehen, war­um sie dage­gen sein sollten.
 Der Papst wür­de wohl die «Voll­geld-Initia­ti­ve» anneh­men, lau­te­te die zen­tra­le Bot­schaft der Initi­an­ten vor dem Kon­ter­fei von Fran­zis­kus. Um die­se Aus­sa­ge zu bele­gen, wur­den ein­zel­ne Sät­ze aus dem Papst­schrei­ben «Evan­ge­lii Gau­di­um» zitiert, die dann im Sinn der Initia­ti­ve wei­ter­ge­führt wur­den: «Ban­ken erschaf­fen sel­ber Geld auf Kosten der Bevöl­ke­rung». Und wei­ter: «Die­se Wirt­schaft tötet», so der Papst, «mit Geld aus dem Nichts. Ein Mil­li­ar­den-Pri­vi­leg der Ban­ken auf Kosten der Men­schen».

Papst­sup­port an den Haa­ren herbeigezogen

Die «Voll­geld-Initia­ti­ve» will, dass künf­tig nur noch die Natio­nal­bank elek­tro­ni­sches Buch­geld her­stellt. Ande­re Ban­ken dürf­ten kein eige­nes Geld mehr erzeu­gen, son­dern nur noch Geld ver­lei­hen, das sie von Spa­rern, ande­ren Ban­ken oder der Natio­nal­bank zur Ver­fü­gung gestellt bekom­men.Gegen­wär­tig sind gemäss Initi­an­ten nur Mün­zen und Bank­no­ten «gesetz­li­ches Zah­lungs­mit­tel». Die­se mach­ten aber nur zehn Pro­zent der umlau­fen­den Geld­men­ge aus. Zir­ka neun­zig Pro­zent sei­en elek­tro­ni­sches Geld (»Buch­geld»), das die Ban­ken per Knopf­druck sel­ber schaf­fen, um damit ihre Geschäf­te zu finan­zie­ren.Dass aber just Papst Fran­zis­kus ent­spre­chen­de Plä­ne unter­stützt, hält der Theo­lo­ge Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki für wenig wahr­schein­lich. Die Aus­sa­gen sei­en aus dem Zusam­men­hang geris­sen, stellt der Lei­ter des Zür­cher Insti­tuts für Sozi­al­ethik «ethik22» klar.Auch der Apo­sto­li­sche Nun­ti­us in der Schweiz, Tho­mas E. Gullick­son, wur­de auf das Falt­blatt und das Video mit dem Papst auf­merk­sam, das die Initi­an­ten für den Abstim­mungs­kampf erstellt hat­ten. Die Initi­an­ten hät­ten die­se Akti­on nicht abge­spro­chen, erklär­te der Nun­ti­us gegen­über «Tele Bern». Er wol­le zudem mit einer Anfra­ge in Rom über­prü­fen, ob die Her­stel­ler des Falt­blatts die Geneh­mi­gung hat­ten, das Bild des Pap­stes zu benüt­zen, so Erz­bi­schof Gullick­son.

Zustim­mung wegen Miss­trau­en in unser Geldsystem

Von die­ser Epi­so­de ein­mal abge­se­hen, for­dert die Initia­ti­ve auch kirch­li­che Krei­se her­aus. Das refor­mier­te Maga­zin «bref» zitiert den refor­mier­ten Pfar­rer Kri­sti­an Joób aus Vol­ket­s­wil: «Als Pfar­rer und Christ hal­te ich es für mei­ne Pflicht, mich für die Initia­ti­ve stark­zu­ma­chen». Schliess­lich gehe es bei der Initia­ti­ve um nichts weni­ger als Gerech­tig­keit. «Es ist unge­recht, dass das Geld­sy­stem ohne staat­li­che Kon­trol­le den Ban­ken über­las­sen wird», so Joób. «So hat sich eine klei­ne Kaste von Top­ban­kern eta­bliert, die sich auf Kosten von Staat und All­ge­mein­heit berei­chert.»Etwas dif­fe­ren­zier­ter urteilt der Sozi­al­ethi­ker Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki: «Die Voll­gel­dinitia­ti­ve ist eine Reak­ti­on auf das Miss­trau­en ins vor­herr­schen­de Geld­sy­stem. Der Grund dafür liegt in der Kom­ple­xi­tät des Geld­sy­stems und den Ent­wick­lun­gen der Finanz­wirt­schaft», erklärt der Theo­lo­ge. Schon heu­te zei­ge sich dies am rie­si­gen Unter­schied zwi­schen den Reich­sten und den Ärm­sten. «Aus sozi­al­ethi­scher Sicht stellt sich dar­um durch­aus die Fra­ge, wel­ches Geld­sy­stem und wel­che Macht­ver­tei­lung mög­lichst gerecht sind.»Aller­dings zwei­felt Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki dar­an, dass die Voll­gel­dinitia­ti­ve wirk­lich der «gan­zen Gesell­schaft» die­ne. «Voll­geld schafft kei­nen Him­mel auf Erden». Es löse auch nicht alle Pro­ble­me der glo­ba­len Geld­wirt­schaft. Viel­mehr ver­schie­be es in erster Linie Risi­ken von den Bank­kun­den und den Geschäfts­ban­ken zur Natio­nal­bank – ein­her­ge­hend mit einer Macht­ein­bus­se der Geschäfts­ban­ken.

Chri­stoph Weber-Berg: «Sozia­le Ver­wer­fun­gen als Folge»

Der Wirt­schafts­ethi­ker Chri­stoph Weber-Berg prä­si­diert im Aar­gau die öku­me­ni­sche Kom­mis­si­on Kir­che und Wirt­schaft, die mehr­mals im Jahr mit öffent­li­chen Ver­an­stal­tun­gen im Namen der Aar­gau­er Lan­des­kir­chen wirt­schaft­li­che The­men unter Berück­sich­ti­gung ethi­scher Aspek­te behan­delt. Gegen­über Hori­zon­te räumt Chri­stoph Weber-Berg ein, dass die Idee des so genann­ten «Voll­gel­des» aus einer theo­re­ti­schen, volks­wirt­schaft­li­chen Per­spek­ti­ve durch­aus inter­es­sant sei. «Die Vor­stel­lung, dass die umlau­fen­de Geld­men­ge jeder­zeit im Gleich­ge­wicht mit den tat­säch­lich ange­bo­te­nen Gütern und Dienst­lei­stun­gen steht, ist attrak­tiv. Sie wür­de ver­mut­lich Finanz­kri­sen, wie wir sie vor zehn Jah­ren gese­hen haben, ver­hin­dern.» Der Prä­si­dent des Kir­chen­ra­tes der Refor­mier­ten Kir­che im Aar­gau gibt aber zu beden­ken, dass dies nur funk­tio­nie­re, «wenn sich die bedeu­tend­sten Volks­wirt­schaf­ten der Welt gemein­sam zur Ein­füh­rung die­ses Systems ent­schlies­sen wür­den. Die Ein­füh­rung des Voll­gel­des in der Schweiz allein wür­de unser Land einem volks­wirt­schaft­li­chem Gross­expe­ri­ment mit sehr unge­wis­sem Aus­gang aus­set­zen. Ich ver­mu­te, dass wirt­schaft­li­che und sozia­le Ver­wer­fun­gen zu befürch­ten wären.»Wie genau sol­che wirt­schaft­li­chen und sozia­len Ver­wer­fun­gen aus­se­hen könn­ten, las­sen sowohl Chri­stoph Weber-Berg als auch Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki offen. Ger­ne ins Feld geführt wer­den von Wirt­schaft­lern und Bank­ma­na­gern die Gefahr eines neu­er­li­chen Fran­ken­schocks infol­ge der auf­grund der Initia­ti­ve ange­streb­ten «Geld­men­gen­steue­rung», die im Grun­de auch eine Geld­men­gen­ver­knap­pung bedeu­te. Und wenn künf­tig die Ban­ken für die Kre­dit­ver­ga­be qua­si bei der Natio­nal­bank Dar­le­hen auf­neh­men müss­ten, wür­de das auch die Kre­dit­zin­sen in die Höhe trei­ben.Ange­spro­chen auf eine mög­li­che neu­er­li­che Auf­wer­tung des Fran­kens meint Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki: «Wie immer in öko­no­mi­schen Fra­gen sind die Fol­gen von finanz­po­li­ti­schen Mass­nah­men nicht ein­fach zu benen­nen. Öko­no­mie ist kei­ne exak­te Wis­sen­schaft und gera­de die Bewer­tung einer Wäh­rung hängt von sehr vie­len Fak­to­ren ab, die schwie­rig ein­zu­schät­zen sind. Dies hängt damit zusam­men, dass gera­de im Bezug auf Geld letzt­lich alles am Glau­ben und Ver­trau­en hängt.»

Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki: «Mehr Kosten, mehr Aufwand»

Ein gros­ses Fra­ge­zei­chen setzt der Lei­ter des Sozi­al­in­sti­tuts bei der künf­ti­gen Rol­le der Natio­nal­bank im Fal­le einer Annah­me der Initia­ti­ve: Das wür­de zu einem sehr gros­sen Macht­zu­wachs bei der Natio­nal­bank füh­ren, ist Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki über­zeugt. «Sie wird auf einen Schlag enorm Ein­fluss auf die Gesamt­grös­se des gröss­ten Teils aller Kre­di­te neh­men kön­nen. Dies bedeu­tet auch, dass die Natio­nal­bank ihre Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tur wohl grund­le­gend ändern muss und schon rein per­so­nal­mäs­sig viel grös­ser wür­de. Füh­rung wie Mit­ar­bei­ten­de müss­ten ihr Selbst­ver­ständ­nis ver­än­dern. Sie wer­den sich einer­seits auf ihren ver­fas­sungs­mäs­si­gen Auf­trag besin­nen müs­sen und gleich­zei­tig den Anfor­de­run­gen und auch dem Druck der Geschäfts­ban­ken stel­len müs­sen. Für eher geld­tech­no­kra­tisch ver­an­lag­te und zurück­ge­zo­gen arbei­ten­de Leu­te eine nicht ganz ein­fa­che Auf­ga­be.»Das eigent­li­che Pro­blem ortet Tho­mas Wal­li­mann aller­dings anders­wo: «Ich war sel­ten mit einer Abstim­mungs­fra­ge kon­fron­tiert, die so schwie­rig zu erklä­ren ist. Ich bin dar­auf zurück­ge­wor­fen, den einen oder den andern zu ver­trau­en», meint der Sozi­al­ethi­ker. Und das Fazit? «Für mich als Bank­kun­de oder Bür­ge­rin wird es wohl in den Anfangs­pha­sen zu erhöh­ten Kosten und Auf­wän­den füh­ren, wenn ich einen Kre­dit brau­che. Kurz und gut: vie­le sehr gut ein­ge­spiel­te Abläu­fe wer­den durch­ge­schüt­telt und müs­sen neu orga­ni­siert wer­den», ist Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki überzeugt.
Andreas C. Müller
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