«Viel­leicht muss die Kir­che noch mehr zer­fal­len, damit etwas Neu­es ent­ste­hen kann»

  • Ire­ne Gas­smann spricht über die Her­aus­for­de­run­gen, die sie als Prio­rin gemei­stert hat.
  • Sie denkt über die Zukunft des Klo­sters Fahr nach und dar­über, wes­halb sie der Besuch von Kar­di­nal Mario Grech in Bern des­il­lu­sio­niert hat.
  • Und schliess­lich ver­rät sie, was ihr Kraft gibt.

Von Amts­mü­dig­keit kei­ne Spur. Für die bald 59-jäh­ri­ge Prio­rin Ire­ne Gas­smann wird es mit 64 oder 65 kei­ne Pen­sio­nie­rung geben. «Wenn ich gesund bin und die Kraft habe und die Gemein­schaft der Mit­schwe­stern es wünscht, dann mache ich das Amt wei­ter», sagt sie. Heu­te leben ins­ge­samt 17 Bene­dik­ti­ne­rin­nen im Klo­ster Fahr, eine Schwe­ster wohnt im Pfle­ge­heim. «Wir sind ver­schie­den. Wir üben immer wie­der, ein­an­der zu ver­zei­hen, ein­an­der anzu­neh­men mit unse­ren Schwä­chen, Feh­lern und Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten», sagt Prio­rin Ire­ne. An der Gemein­schaft kön­ne man auch geist­lich wach­sen und sich sel­ber bes­ser kennenlernen.

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Gefühl der Ohnmacht

Auf die Fra­ge, ob sie an der Insti­tu­ti­on ­Kir­che manch­mal ver­zweif­le, sagt sie: «Ich habe einen lan­gen Atem und ein gutes Netz­werk, das mich stärkt.» Doch auch Prio­rin Ire­ne kennt das Gefühl der Ohn­macht: Kürz­lich war Kar­di­nal Mario Grech, der Prä­si­dent der Welt­syn­ode, in Bern zu Gast. Eben­falls vor Ort war die Prio­rin, und sie sagt im Pod­cast «Laut + Leis»: «Ich hat­te sehr viel Hoff­nung in den Syn­oda­len Pro­zess und muss­te jetzt spü­ren, dass unse­re Anlie­gen und unse­re Rea­li­tät hier in der Schweiz in Rom kei­ne Beach­tung fin­den.» Im Moment sei sie schon ein biss­chen ohn­mäch­tig. «Ich weiss nicht, ob die Insti­tu­ti­on Kir­che bereit ist, die­se Ver­än­de­run­gen anzu­ge­hen. Viel­leicht muss die Kir­che noch mehr zer­fal­len, damit etwas Neu­es ent­ste­hen kann.» Sie sei über­zeugt, dass die Kir­che nicht glaub­würdig ist, wenn Frau­en nicht gleich­be­rech­tigt sind. «Das ist für mich ein Grund­an­lie­gen. Es ist auch ein Anlie­gen des Evan­ge­li­ums, dass die Men­schen in ihrer Wür­de, mit ihren Fähig­kei­ten und Cha­ris­men ernst genom­men werden.»

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Ermäch­ti­gung durch gemein­sames Feiern

Mög­lich­kei­ten dazu bie­tet die Lit­ur­gie: «Wir gestal­ten mehr­mals in der Woche Kom­mu­ni­on­fei­ern sel­ber. Es ermäch­tigt uns, wenn wir mit­ein­an­der fei­ern kön­nen ohne einen Mit­bru­der, der von aus­sen kommt und vor­steht», so Prio­rin Ire­ne. Eine wei­te­re Form sei das soge­nann­te Bibel tei­len, das Wort Got­tes tei­len. «Das stärkt die Mit­schwe­stern, sprach­fä­hi­ger zu wer­den. Sie reden frei­er über Tex­te, über Erfah­run­gen und Erkennt­nis­se in der Hei­li­gen Schrift.»

Wie die Prio­rin Ent­schei­de fällt

Zen­tral für das Leben im Klo­ster Fahr ist die Bene­dikts­re­gel. Dar­in steht, der Abt oder die Prio­rin sol­le vor­aus­schau­en, also mehr vor­se­hen als vor­ste­hen oder herr­schen. Die­sen Grund­satz nimmt sich Prio­rin Ire­ne bei ihren Lei­tungs­auf­ga­ben zu Her­zen. Als Bei­spiel nennt sie die Schlies­sung der Bäue­rin­nen­schu­le vor gut zehn Jah­ren. Sie sel­ber hat die Schu­le als jun­ge Frau besucht und spä­ter gelei­tet. Doch eines Tages wur­de ihr klar: Es kann so nicht wei­ter­ge­hen, auch wenn es eine War­te­li­ste gibt. Die Schu­le war defi­zi­tär und band zu vie­le Res­sour­cen der Schwe­stern. Nach vie­len Gesprä­chen, dem frü­hen Ein­be­zug der Schwe­stern und der Erlaub­nis aus Ein­sie­deln (das Klo­ster Fahr gehört zum Klo­ster Ein­sie­deln) war es so weit: Die Bäue­rin­nen­schu­le wur­de geschlos­sen und ein Stra­te­gie­pro­zess gestartet.

Bäue­rin­nen­schu­le

Aus der ehe­ma­li­gen Bäue­rin­nen­schu­le wur­den schliess­lich Woh­nun­gen und eine Wohn­ge­mein­schaft; im Mai 2023 zogen die ersten Mie­te­rin­nen und Mie­ter ein. «Wir ent­schei­den nicht, wer hier woh­nen darf», sagt Prio­rin Ire­ne. «Das über­nimmt zum Glück der Ver­ein erfahrbar.»

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Der «Lau­da­tio SÌ»-Garten des Klo­sters Fahr

Doch es gebe Kri­te­ri­en, nach denen der Ver­ein die Woh­nun­gen ver­ge­be: «Die Men­schen, die hier woh­nen, gehö­ren einer christ­li­chen Kon­fes­si­on oder einer Frei­kir­che an und ­hal­ten die bene­dik­t­i­ni­schen Wer­te hoch.»

«Unge­wiss­heit ist Glau­ben pur»

Auch wenn die Mie­te­rin­nen und Mie­ter und ihre Kin­der Leben ins Fahr brin­gen: Das Nach­wuchs­pro­blem ist auch in die­sem Klo­ster unge­löst. Es ist mehr als dreis­sig Jah­re her, seit eine Schwe­ster das Gelüb­de abge­legt hat. «Wir ste­hen an einem Wen­de­punkt. Es ver­än­dert sich etwas, aber wir wis­sen noch nicht, was nach­her kommt», sagt Prio­rin Ire­ne. «Seit mir das bewusst ist, hat das Leben eine neue Qua­li­tät, weil wir die­se spe­zi­el­le Zeit gestal­ten dür­fen.» Und wei­ter: «Für mich ist die Unge­wiss­heit Glau­ben pur. Wir leben jetzt und berei­ten den Boden – unsicht­bar, spi­ri­tu­ell – für etwas, was nach­her kommt.»

Eva Meienberg
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