Unter­wegs in der mul­ti­kul­tu­rel­len Schweiz

Naw­wal Mokhles, 65, Mus­li­min, Mut­ter von sechs Kin­dern. Die 10fache Gross­mutter lebt seit Janu­ar 2016 als Asyl­su­chen­de in Bul­le (FR) und stammt aus Damaskus.«Auf­ge­wach­sen bin ich in einem ara­bi­schen Haus in einem Vor­ort von Damas­kus. Typisch an die­sen alten Häu­sern ist ihr gros­ser Innen­hof, in dem sich das eigent­li­che Leben der Fami­lie abspielt. Einen Schritt von der Stras­se durch die Tür und man steht in einer stil­len Oase. Hier domi­niert nicht der Stras­sen­lärm, son­dern das ste­te Plät­schern des Brun­nens.

In Erin­ne­run­gen unterwegs

Der Innen­hof mei­nes Hau­ses war vol­ler Blu­men und Pflan­zen: Oran­gen- und Zitro­nen­bäu­me stan­den in gros­sen Töp­fen auf den mit Orna­men­ten ver­zier­ten Boden­plat­ten. Dazwi­schen wuch­sen Steck­lin­ge in auf­ge­schnit­te­nen PET-Fla­schen zu Pflan­zen her­an, Blu­men blüh­ten far­ben­präch­tig. An den Wän­den rank­ten sich Jas­min­sträu­cher in die Höhe und ver­brei­te­ten ihren inten­si­ven süs­sen blu­mi­gen Duft. Genau die­sen Geruch mei­ne ich auch heu­te noch zu rie­chen, wenn ich an mei­ne Hei­mat den­ke.Oft schlies­se ich mei­ne Augen und gehe in mei­ner Erin­ne­rung spa­zie­ren – den Duft von Jas­min stets in der Nase: Ich schlen­de­re durch die engen Gas­sen der Damas­ze­ner Alt­stadt. Ich pas­sie­re Men­schen, die draus­sen in den Kaf­fees sit­zen, Was­ser­pfei­fe rau­chen und dis­ku­tie­ren. Ich gehe an den Geschäf­ten vor­bei, höre die Händ­ler, die ihre Ware anprei­sen, und Pas­san­ten, die um die Prei­se feil­schen. Eine mei­ner Lieb­lings­stras­sen war der über­dach­te Markt, der Souq al-Hami­di­yye. Hier herrsch­te auch noch zu spä­ter Stun­de reges Trei­ben.

Das war nicht, was wir gewollt hatten

Schla­ge ich die Augen auf, weiss ich erst oft nicht, wo ich bin. Bin ich wie­der zurück in mei­ner Hei­mat? Wie habe ich mein Damas­kus geliebt. Wir haben in Syri­en ein glück­li­ches Leben geführt. Doch dann begann 2011 die Revo­lu­ti­on und alles wur­de anders. Die Kämp­fe wur­den inten­si­ver, Check­points mach­ten die Stadt nur schwer pas­sier­bar. Die Situa­ti­on wur­de immer gefähr­li­cher. Das war nicht, was wir für unser Land gewollt haben!Wir zogen in einen Stadt­teil von Damas­kus, in dem wir uns siche­rer fühl­ten. Als mein Sohn eini­ge Gegen­stän­de aus unse­rer frü­he­ren Woh­nung ret­ten woll­te, fand er ein Trüm­mer­feld vor. Unse­re Fami­li­en­ge­schich­te in Schutt und Asche: Die Bil­der mei­ner Hoch­zeit, mei­nes ver­stor­be­nen Ehe­man­nes und die der Kin­der lagen kreuz und quer auf dem Fuss­bo­den her­um – zer­knit­tert, zer­ris­sen, unbrauch­bar. Nichts als unse­re Erin­ne­run­gen sind uns geblie­ben. Wie ger­ne hät­te ich die­se Bil­der heu­te hier in der Schweiz bei mir. Dann könn­te ich mein altes Leben sym­bo­lisch bei mir tra­gen. Das Ein­zi­ge, was mir geblie­ben ist, sind mei­ne Kin­der.Vor einem Jahr rei­sten ich und drei mei­ner Söh­ne mit einem huma­ni­tä­ren Visum von der Tür­kei in die Schweiz. In Basel bean­trag­ten wir Asyl. Dann wur­den wir in den Kan­ton Fri­bourg trans­fe­riert. Ein paar Wochen ver­brach­ten wir in einem Asyl­heim. An Weih­nach­ten koch­te ich zusam­men mit mei­nem Sohn für die Beleg­schaft und die ande­ren Asyl­be­wer­ber ein Fest­essen. Ich woll­te mich bei den Mit­ar­bei­tern bedan­ken und den Asyl­be­woh­nern den Tag ver­schö­nern.

Zu Hau­se, wo die Fami­lie ist

Nun leben wir seit Febru­ar in Bul­le. Es geht uns gut, denn wir leben in Sicher­heit. Auch wenn ich kein Fran­zö­sisch spre­che und aus Syri­en stam­me, fremd habe ich mich bis­her in der Schweiz nie gefühlt. Das hat einer­seits mit den Men­schen zu tun, die uns viel Mensch­lich­keit ent­ge­gen­brin­gen. Und ander­seits damit, dass drei mei­ner Söh­ne bei mir sind.Ich füh­le mich dort zu Hau­se, wo mei­ne Fami­lie ist. Da drei wei­te­re Kin­der und mei­ne zehn Enkel in Syri­en, in der Tür­kei und in Ägyp­ten leben, bin ich oft besorgt und trau­rig. Aber ich will nicht kla­gen. So Gott will, keh­ren wir eines Tages alle nach Syri­en zurück. Und dann wer­de ich jeden Tag an die Schweiz und ihre lie­ben Men­schen den­ken, die uns so nett auf­ge­nom­men haben.»
Andreas C. Müller
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