Unter­wegs in der mul­ti­kul­tu­rel­len Schweiz

Meral Kurey­shi, 33, lebt in Bern. 2015 erschien ihr Debüt­ro­man «Ele­fan­ten im Gar­ten», der für den Schwei­zer Buch­preis nomi­niert war und mit dem Ber­ner Lite­ra­tur­preis aus­ge­zeich­net wurde.«Mit dem Begriff Hei­mat kann ich wenig anfan­gen. Eigent­lich geht es immer nur um die Men­schen, die man liebt und die man ver­misst, wenn sie nicht da sind. Bis ich zehn Jah­re alt war, leb­te ich in Priz­ren im Koso­vo. Dann kamen wir in die Schweiz.

Der Krieg hat alles verändert

Es war nicht die Tren­nung von die­sem Ort, die­sem Land, die mich schmerz­te. Wären all mei­ne Freun­din­nen, Cou­sins und Cou­si­nen, die Gross­el­tern mit­ge­kom­men, hät­te ich damals viel weni­ger gelit­ten.Priz­ren ist eine schö­ne Stadt, inzwi­schen ist sie mir aber eher fremd. Ich fah­re zwar ein‑, zwei­mal im Jahr hin, auch weil mein Vater dort begra­ben ist. Aber der Ort mei­ner Kind­heit ist nicht mehr der­sel­be. Der Krieg, vor dem wir geflüch­tet sind, hat vie­les ver­än­dert. Vor allem aber decken sich die Gefüh­le und die Erin­ne­run­gen, die ich mit mei­ner ersten Hei­mat ver­bin­de, nicht mehr mit der Rea­li­tät. Ganz ein­fach, weil ich kein Kind mehr bin.Wenn Spra­che Hei­mat sein kann, habe ich vie­le Hei­ma­ten. Ich bin von Anfang an mehr­spra­chig auf­ge­wach­sen. In Priz­ren sprach ich zu Hau­se Tür­kisch, in der Schu­le Ser­bisch und schon früh lern­ten wir dort Rus­sisch. In der Schweiz kamen Bern­deutsch und Deutsch hin­zu, Fran­zö­sisch, und Eng­lisch, Ita­lie­nisch und Latein.

Schrei­ben in vie­len Sprachen

Mein erstes Buch habe ich auf Deutsch geschrie­ben, weil ich woll­te, dass es hier erscheint. Aber was ich täg­lich notie­re – Gedan­ken, Ideen, Gedich­te –, schrei­be ich in vie­len Spra­chen. Wie es halt grad kommt. Deutsch ist wohl schon die Spra­che, die ich inzwi­schen am besten beherr­sche. Es ist mei­ne Mut­ter­spra­che. Aber mei­ne Mut­ter spricht kein Deutsch.Lie­ber als von Hei­mat zu spre­chen, sage ich: In Bern bin ich «dehei». Hier sind vie­le mei­ner Freun­de, mein Mann, mei­ne Fami­lie, hier ist mei­ne Woh­nung. Ich genies­se es, viel rei­sen zu kön­nen und doch ein Zuhau­se zu haben. Dass ich so leben kann, wie es mir ent­spricht, ist erst so, seit ich mit mei­nem Buch Erfolg hat­te. Das ist ein gros­ses Glück, für das ich sehr dank­bar bin.

Eher Heim­weh als Heimat

Jetzt bin ich viel unter­wegs in der Welt, ein paar Wochen oder auch drei Mona­te lang. Über­all habe ich Bezie­hun­gen. Mit dem Begriff Heim­weh kann ich mehr anfan­gen als mit Hei­mat. Heim­weh habe ich oft. Wenn ich in Ber­lin bin, ver­mis­se ich Bern. Bin ich zurück, feh­len mir die Freun­de und die Fami­lie in Ber­lin.Ich habe immer noch einen ser­bi­schen Pass. Das Ein­bür­ge­rungs­ver­fah­ren in der Schweiz ist auf­wen­dig und teu­er. Aber ich soll­te ich mich end­lich dar­um küm­mern. Denn ich kann weder abstim­men noch wäh­len. Ange­sichts der poli­ti­schen Ent­wick­lun­gen in den letz­ten Jah­ren wäre es mir aber sehr wich­tig, mit­ent­schei­den zu kön­nen.

Ich ver­mis­se das Meer

An der Land­schaft kann es nicht lie­gen, dass ich mich in Bern am mei­sten zu Hau­se füh­le. Denn ich ver­mis­se das Meer. Manch­mal möch­te ich alle Men­schen, die ich lie­be, in ein Auto packen und mit ihnen irgend­wo­hin ans Meer fah­ren. Ans Mit­tel­meer, viel­leicht aber auch an die Nord­see. Ich mag mich nicht fest­le­gen.Das war schon immer so. Als ich noch zur Schu­le ging, gab es die­se «Mei­ne Freunde»-Bücher. Dort soll­te man die Lieb­lings­mu­sik, die Lieb­lings­far­be, das Lieb­lings­tier und ande­re Lieb­lings­din­ge nen­nen. Ich konn­te und woll­te mich nicht ent­schei­den. Es gab so vie­les, was ich moch­te. Des­halb lie­gen nun eini­ge die­ser Bücher immer noch bei mir auf dem Estrich.»
Andreas C. Müller
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