Unter­su­chungs­be­richt zu Miss­brauch im Schwei­zer Kapuzinerorden

Jah­re­lang weggeschaut

Unter­su­chungs­be­richt zu Miss­brauch im Schwei­zer Kapuzinerorden

Jah­re­lang konn­te ein Mit­glied des Kapu­zi­ner­or­dens sexu­el­le Über­grif­fe ver­üben. Ein vor Kur­zem prä­sen­tier­ter Unter­su­chungs­be­richt doku­men­tiert Ursa­chen und Hin­ter­grün­de für das Ver­sa­gen des Ordens, der viel zu lan­ge war­te­te, bis er Mass­nah­men ergriff.Das Fazit des 160-sei­ti­gen Berichts, den die unab­hän­gi­ge Unter­su­chungs­kom­mis­si­on im Fall des pädo­phi­len Kapu­zi­ners Joël Allaz Ende März der Öffent­lich­keit vor­ge­legt hat, ist klar: Durch ihr Schwei­gen tru­gen der Kapu­zi­ner­or­den und die Kir­chen­lei­tung dazu bei, dass der Täter lan­ge Zeit nicht juri­stisch belangt wur­de. Beim «Fall Allaz» hand­le es sich um einen «schwe­ren Fall von Pädo­phi­lie», bei dem das Bis­tum Lau­sanne, Genf und Frei­burg (LGF) und der Kapu­zi­ner­or­den ein Vier­tel­jahr­hun­dert lang das Ein­grei­fen der Justiz unter­gra­ben hät­ten. Dies hält die Kom­mis­si­on, die im Auf­trag der Kapu­zi­ner und unter dem Vor­sitz von Alex­and­re Papaux, ehe­ma­li­ger Frei­bur­ger Kan­tons­rich­ter, tätig war, in ihrem Bericht fest. Die Taten sel­ber reich­ten über ein hal­bes Jahr­hun­dert zurück: Die ersten sexu­el­len Miss­bräu­che durch den Kapu­zi­ner sei­en im Jahr 1958 gesche­hen.Für die Unab­hän­gi­ge Kom­mis­si­on ver­an­schau­licht die­ser Fall die Schwie­rig­kei­ten der katho­li­schen Kir­che, «das abnor­ma­le Ver­hal­ten bestimm­ter Geist­li­cher gegen­über Min­der­jäh­ri­gen allein zu bewäl­ti­gen». Die Kir­che habe lan­ge Zeit «eine defen­si­ve Hal­tung ein­ge­nom­men», indem sie sich damit begnügt habe, den miss­han­deln­den Prie­ster samt sei­nem Pro­blem zu ver­set­zen und ihn dadurch der Justiz zu ent­zie­hen, beton­te Papaux.

Augen geschlos­sen und geschwiegen

Der ehe­ma­li­ge Kan­tons­rich­ter beklag­te den Man­gel an Mut und Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein eini­ger Zeu­gen der Taten, «die es vor­zo­gen, die Augen zu schlies­sen und zu schwei­gen». Er bedau­er­te das Schwei­gen der katho­li­schen Gemein­schaft und der Zivil­ge­sell­schaft ange­sichts die­ser Ver­bre­chen, die man­geln­de Hart­näckig­keit des Wal­li­ser Ermitt­lungs­rich­ters von 1995, der sei­ne Unter­su­chung wegen Ver­jäh­rung ein­stell­te, ohne Joël Allaz anzu­hö­ren oder des­sen per­sön­li­che Situa­ti­on zu unter­su­chen, was wei­te­re Miss­bräu­che hät­te ver­hin­dern kön­nen.Der Bericht ver­ur­teilt die «Leich­tig­keit im Umgang mit den Miss­bräu­chen, auf die die Hier­ar­chie in den Jah­ren 1970 bis 1980 auf­merk­sam gemacht wur­de». Die Kom­mis­si­on bezieht sich ins­be­son­de­re auf die Vor­ge­setz­ten des Kapu­zi­ners Joël Allaz, als die­ser im Wal­lis wohn­te (1973 bis 1977). Die Vor­ge­setz­ten des Kapu­zi­ners, Ger­vais Aeby und Gué­rin Zuf­fer­ey, hät­ten sofort han­deln und Allaz bei­spiels­wei­se jede wei­te­re Arbeit mit Kin­dern ver­bie­ten müs­sen.Mass­nah­men sei­en ergrif­fen wor­den, aber viel zu spät. Dazu gehö­ren die Ent­fer­nung von Allaz aus allen kirch­li­chen Funk­tio­nen, die fak­ti­sche Ein­schlies­sung in ein Klo­ster mit Aus­geh­ver­bot (2005) und schliess­lich die Anzei­ge bei der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on in Rom (2017). Die­se Anzei­ge hat­te zur Fol­ge, dass die Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on Allaz in den Lai­en­stand ver­setz­te und aus dem Orden aus­schloss (2017).

Das Leid der Opfer

Bru­der Ago­sti­no Del Pie­tro, Pro­vin­zi­al der Schwei­zer Kapu­zi­ner­pro­vinz, räum­te ein, dass in sei­ner Gemein­schaft die Bewei­se für Joël Allaz’ Han­deln lan­ge Zeit zu wenig ernst genom­men oder sogar ver­harm­lost wur­den, «um den guten Ruf des Ordens und der Kir­che zu bewah­ren». Das Leid der Opfer kön­ne nicht durch eine finan­zi­el­le Ent­schä­di­gung oder eine The­ra­pie kom­pen­siert wer­den, hielt der Tes­si­ner Ordens­mann fest. Denn die psy­chi­schen Wun­den der Opfer dau­er­ten ein Leben lang an.

Schwei­gen ermun­tert Täter

Ein Pro­blem­be­wusst­sein sei heu­te vor­han­den, bemerk­te Alex­and­re Papaux. Den­noch sei es not­wen­dig, dass die Mass­nah­men auf allen Ebe­nen der Kir­che ange­wen­det wür­den. «Die Opfer müs­sen spre­chen, das Wort befreit, und Schwei­gen ermu­tigt die Täter!»Mit etwas Ver­zö­ge­rung auf die gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen begin­ne die kirch­li­che Moral­leh­re, die neue­ren Erkennt­nis­se der Sexu­al­wis­sen­schaf­ten auf­zu­ar­bei­ten, nicht zuletzt, um ein posi­ti­ve­res Ver­hält­nis zur Sexua­li­tät zu gewin­nen, hält eine Erklä­rung des Pro­vin­zi­als fest. Es gehö­re heu­te dazu, dass man über Fra­gen im Umgang mit der Sexua­li­tät frei dis­ku­tie­ren kön­ne. Inzwi­schen sei eine fun­dier­te Aus­ein­an­der­set­zung mit der Sexua­li­tät ein fester Bestand­teil in Aus- und Wei­ter­bil­dung.

Neu­es Straf­ver­fah­ren in Frankreich

Allaz habe anläss­lich der Bekannt­ga­be sei­ner Ent­las­sung aus dem Prie­ster­stand im Mai 2017 gestan­den, in Frank­reich wei­te­re Kin­der miss­braucht zu haben, ohne ihre Namen zu nen­nen. Die­se Aus­sa­gen hät­ten die ehe­ma­li­ge Frei­bur­ger Ermitt­lungs­rich­te­rin Yvonne Gend­re, heu­te Staats­an­wäl­tin, dazu bewo­gen, den Fall am 16. Janu­ar 2018 erneut an die fran­zö­si­schen Justiz­be­hör­den zu über­wei­sen, hiess es an der Medi­en­kon­fe­renz der Unter­su­chungs­kom­mis­si­on.Jac­ques Ber­set, kath.ch; kh
Redaktion Lichtblick
mehr zum Autor
nach
soben