Unse­re tief­ste Wun­de – und die Kraft, die sie heilt

Unse­re tief­ste Wun­de – und die Kraft, die sie heilt

1 Petrus 4,7.10–11Seid also beson­nen und nüch­tern und betet! … Dient ein­an­der als gute Ver­wal­ter der viel­fäl­ti­gen Gna­de Got­tes, jeder mit der Gabe, die er emp­fan­gen hat! Wer redet, der rede mit den Wor­ten, die Gott ihm gibt; wer dient, der die­ne aus der Kraft, die Gott ver­leiht. So wird in allem Gott ver­herr­licht durch Jesus Chri­stus. Sein ist die Herr­lich­keit und Macht in alle Ewig­keit. Amen.Neue Ein­heits­über­set­zung 2016 

Unse­re tief­ste Wun­de – und die Kraft, die sie heilt

Kürz­lich kam ich von einem Arzt­ter­min zurück. Die Ärz­tin schät­ze ich sehr, sie ist eine enga­gier­te Katho­li­kin gewe­sen. Ja, gewe­sen. Das trifft mich und stimmt mich trau­rig. Ein wei­te­rer Rück­zug. Ohn­macht schleicht sich wie­der ein. Die Ohn­macht hat etwas Anstecken­des und Depres­si­ves.Da war kürz­lich die Bit­te einer jun­gen Frau im Gefäng­nis. Sie griff in ihrer Zel­le nach einer Scho­ko­la­de, riss sie auf, brach eine Rei­he ab. Dann über­reich­te sie die Rei­he mir und sag­te: «Wäh­rend Sie die­se Scho­ko­la­de essen, beten Sie für mich. Bit­te.» Es über­rasch­te mich. Ich kann an ihrer schwie­ri­gen Situa­ti­on so wenig ändern. Da war wie­der die­ses Gefühl der Ohn­macht. Aber die­se Begeg­nung war aus­ge­spro­chen leben­dig.Und jetzt erin­ne­re ich mich an die Weih­nachts­ge­dan­ken des Abtes von Haute­ri­ve. Er zähl­te die gros­sen The­men auf, die wir zu behan­deln und zu bewäl­ti­gen haben – die Kli­ma­ka­ta­stro­phen, das kirch­li­che Fias­ko, die finan­zi­el­len Kri­sen und wei­te­re gros­se Auf­ga­ben, die einer Lösung har­ren. Und dann die Fra­ge: «Müss­te unse­re drin­gend­ste Sor­ge nicht der Pfle­ge unse­rer tief­sten Wun­de, der feh­len­den Hoff­nung gel­ten?» Fr. Marc de Pot­hu­au spiel­te den Ernst unse­rer Situa­ti­on nicht her­un­ter. Die Fra­ge aber bleibt für mich, und sie ver­än­dert mich grund­le­gend: Müss­te unse­re drin­gend­ste Sor­ge nicht (auch) der Pfle­ge unse­rer tief­sten Wun­de, der feh­len­den Hoff­nung gel­ten?Die­se Fra­ge weck­te mich auf. Und auch die Gestalt der hl. Ange­la Meri­ci rüt­tel­te mich auf.  Nach dem «dunk­len Mit­tel­al­ter», wie man es nennt, hat­te die Hei­li­ge ein gros­ses Herz für die Mäd­chen und jun­gen Frau­en. Sie spür­te den Nerv der Zeit. Sie schar­te wei­te­re Frau­en um sich und bil­de­te die «Com­pa­gnia di San­t’Or­so­la». So ent­stan­den kosten­lo­se Ele­men­tar­schu­len, Mäd­chen­schu­len und Inter­na­te, bis zum heu­ti­gen Tag. In ihren Schrif­ten lese ich fol­gen­de «Ricor­di», «Merk­schrif­ten» an die Obe­rin­nen: «Ver­liert nicht den Mut und glaubt nicht, euer Wis­sen und Kön­nen rei­che für die­se ein­zig­ar­ti­ge Auf­ga­be nicht aus. Habt Zuver­sicht und das feste Ver­trau­en auf Gott, dass er euch in allem hel­fen wird; betet zu ihm … Er wird euch gewiss die Kraft geben, es zu voll­brin­gen … Han­delt, seid rüh­rig und glaubt; müht euch und ver­traut; ruft zu Ihm aus gan­zem Her­zen, und ihr wer­det Wun­der­ba­res erle­ben …»Unter der Wun­de, in der Tie­fe unse­res Seins, ist Kraft, Trost und Zunei­gung Got­tes zu uns. Er neigt sich uns zu, uns allen, ohne Aus­nah­me. Die Kraft Got­tes erquickt uns, löst eine tie­fe Freu­de in uns aus. Sie stellt die mensch­li­che, dar­nie­der­lie­gen­de Wür­de wie­der her. Wir sind doch mehr als die Ohn­macht.Fol­gen­de Wor­te wer­den am Fest­tag der hl. Ange­la gele­sen: «Wer redet, der rede mit den Wor­ten, die Gott ihm gibt; wer dient, der die­ne aus der Kraft, die Gott ver­leiht.» (1 Petrus 4,11). Die­se Hoff­nung soll uns aus­zeich­nen. Die Quel­le der Kraft liegt in der Tie­fe des Her­zens. Sie heilt die tief­ste Wun­de der feh­len­den Hoff­nung in uns. Die­se Hoff­nung aber ent­facht sich an der Hoff­nung Got­tes, die in den Men­schen schlum­mert. Sie war­tet so, wie die Wur­zeln der Pflan­zen und Bäu­me in der Tie­fe der Erde auf die Wär­me der Son­ne war­ten.Anna-Marie Fürst, Theo­lo­gin, arbei­tet in der Gefäng­nis­seel­sor­ge und in der Seel­sor­ge für Men­schen mit Behin­de­rung in den Kan­to­nen Basel-Stadt und Zug
Regula Vogt-Kohler
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