Uns selbst mit unse­ren Brü­chen annehmen

Uns selbst mit unse­ren Brü­chen annehmen

1. Brief des Johan­nes 4,7–12Gelieb­te, wir wol­len ein­an­der lie­ben; denn die Lie­be ist aus Gott und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Lie­be. Dar­in offen­bar­te sich die Lie­be Got­tes unter uns, dass Gott sei­nen ein­zi­gen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. Dar­in besteht die Lie­be: Nicht dass wir Gott geliebt haben, son­dern dass er uns geliebt und sei­nen Sohn als Süh­ne für unse­re Sün­den gesandt hat. Gelieb­te, wenn Gott uns so geliebt hat, müs­sen auch wir ein­an­der lie­ben. Nie­mand hat Gott je geschaut; wenn wir ein­an­der lie­ben, bleibt Gott in uns und sei­ne Lie­be ist in uns vollendet.Ein­heits­über­set­zung 2016 

Uns selbst mit unse­ren Brü­chen annehmen

Fünf­zehn Jah­re lang leb­te er in einer ver­bind­li­chen Bezie­hung zu einer Frau. Mit ihr hat­te er einen Sohn. Dann trenn­ten sich Vater und Sohn von die­ser Frau. Ob das in gemein­sa­mer Ent­schei­dung gesche­hen ist, wis­sen wir nicht. Jeden­falls hat­ten sich die Wel­ten aus­ein­an­der­ent­wickelt, und eine wei­te­re gemein­sa­me Zukunft war nicht mehr mög­lich.Ja, die Lie­be kann ster­ben, denn sie ist etwas Leben­di­ges. Und damit ist sie dem Kreis­lauf des Ent­ste­hens und Ver­ge­hens unter­wor­fen. Und was machen Men­schen, denen das Band der Lie­be zer­bro­chen ist? Natür­lich kön­nen sie wei­ter­hin zusam­men­blei­ben, viel­leicht in Freund­schaft, viel­leicht in Gleich­gül­tig­keit. Viel­leicht aber ver­har­ren sie auch im Schmerz und in der Trau­er um den Tod der Lie­be, und sie geben ein­an­der die Schuld, Tag für Tag in einem zer­mür­ben­den Mit­ein­an­der, das sie nicht zusam­men­kom­men, aber auch nicht Abschied neh­men lässt.Augu­sti­nus hat erkannt, dass für ihn der Zeit­punkt gekom­men war, um sei­nem Leben eine neue Aus­rich­tung zu geben. «Bekeh­rung» nennt er die­sen Zeit­punkt. Wir dür­fen wohl anneh­men, dass er mit sei­ner Frau gerun­gen hat, sie gebe­ten hat, sei­ne Hin­wen­dung zum Chri­sten­tum mit­zu­ma­chen. Aber all sei­ne Über­zeu­gungs­kraft hat ihm nichts genützt. Die Tren­nung war unaus­weich­lich. Bei­de waren römi­sche Nord­afri­ka­ner, leb­ten aber in Ita­li­en. Er und sein Sohn blie­ben, die Frau ging zurück in ihre Hei­mat.Wir wis­sen nicht, wie ein­ver­nehm­lich und ver­söhn­lich die­se Tren­nung war. Dass die Mut­ter ihren 15-jäh­ri­gen Sohn für immer los­las­sen muss­te, wird ihr unend­lich schwer­ge­fal­len sein. Es war ihr ein dop­pel­ter Lie­bes­ver­lust. «Pass auf unse­ren Sohn auf!», wird sie gesagt haben. Und zwei Jah­re spä­ter bekam sie die Nach­richt vom Tod ihres Kin­des. Was aus ihr gewor­den ist, weiss nie­mand. Man kennt nicht ein­mal ihren Namen. Der Vater aber wur­de welt­be­rühmt.Es ist nicht an uns, die­se Bezie­hungs­ge­schich­te zu bewer­ten. Ent­hal­ten wir uns jeden Urteils! Bei­de haben gekämpft, ent­schie­den und die Fol­gen getra­gen, je auf ihre eige­ne Wei­se. Neh­men wir lie­ber die Erkennt­nis mit, dass Brü­che zum Leben gehö­ren und dass auch Bezie­hun­gen sterb­lich sind.Wie aber kann man mit Brü­chen und Ver­lu­sten leben? Wir müs­sen uns selbst und ein­an­der die Zeit des Trau­erns zuge­ste­hen. Den Ver­lust zu igno­rie­ren und nur nach vorn zu schau­en, ist kein guter Rat. Was wir nicht betrau­ern und damit lie­be­voll wan­deln und dank­bar in unser geleb­tes Leben inte­grie­ren, wird uns mit Sicher­heit als Last wie­der ein­ho­len. Jeder Ver­lust ist Ver­let­zung, und die Trau­er um Ver­lu­ste ist ein Krank­heits­pro­zess. Nie­mand kann sagen, ob und wann die­ser Weg zur Hei­lung und Neu­ori­en­tie­rung führt.Die wich­tig­ste Kraft in der Zeit des trau­ern­den Auf­ar­bei­tens ist die Zuver­sicht. Was war, hat sei­nen Sinn, was kommt eben­so. Es hat Sinn, weil ich, der Gebro­che­ne oder Trau­ern­de, den Wert des Ver­gan­ge­nen sehe und den­noch los­las­se. Es hat Sinn, weil ich den Neu­an­fang in der Kraft der Hoff­nung begrüs­se.Augu­sti­nus hat viel über die Lie­be geschrie­ben, vor allem über Gott als die Quel­le der Lie­be. Das war wohl sei­ne Wei­se der Ver­ar­bei­tung. Unser eige­nes Leben im Licht die­ser gött­li­chen Lie­be zu sehen, ist wohl auch für uns die Chan­ce, uns mit allen Brü­chen anzu­neh­men. «Wer Amen ruft, gibt sei­ne Unter­schrift», so Augu­sti­nus.Lud­wig Hes­se, Theo­lo­ge, Autor und Teil­zeit­schrei­ner, war bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung Spi­tal­seel­sor­ger im Kan­ton Baselland  
Regula Vogt-Kohler
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