Und wenn plötz­lich die gros­se Frei­heit käme?

Und wenn plötz­lich die gros­se Frei­heit käme?

Phil­ip­per­brief 4,4–7Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch ein­mal sage ich: Freut euch! Eure Güte wer­de ­allen Men­schen bekannt. Der Herr ist nahe. Sorgt euch um nichts, son­dern bringt in jeder Lage betend und fle­hend eure Bit­ten mit Dank vor Gott! Und der Frie­de Got­tes, der ­alles Ver­ste­hen über­steigt, wird eure Her­zen und eure Gedan­ken in Chri­stus Jesus bewah­ren.      Ein­heits­über­set­zung 2016 

Und wenn plötz­lich die gros­se Frei­heit käme?

Eigent­lich hat­te sie schon seit ihrer Kind­heit einen geist­li­chen Weg ein­schla­gen wol­len. Die Umstän­de waren dage­gen. Als aber ein schwe­rer Schick­sals­schlag ihr den Mann und bei­de Söh­ne nahm, trat sie in ein kon­tem­pla­ti­ves Klo­ster ein. Sie fand zurück zu dem Weg, den sie in ihrem Her­zen immer schon als ihre wah­re Beru­fung emp­fun­den hat­te. Mar­ghe­ri­ta Lot­ti-Man­ci­ni, spä­ter als hei­li­ge Rita ver­ehrt, leb­te dann vie­le Jah­re lang glück­lich im Klo­ster ihrer Hei­mat­stadt Cascia. Aber das ist 15. Jahr­hun­dert.Schau­en Sie mal auf Ihre eige­ne Bio­gra­fie. Wie grad­li­nig oder wie kur­ven­reich ist Ihr bis­he­ri­ger Weg ver­lau­fen? Sicher kön­nen Sie Kräf­te benen­nen, die aus Ihnen die oder den gemacht haben, die oder der Sie nun sind. Und Ihr Weg ist noch nicht am Ende. Was schlum­mert noch in Ihnen?Die­se Fra­gen bewe­gen wohl jeden Men­schen. Was wäre wohl aus mir gewor­den, wenn damals die Umstän­de ande­re gewe­sen wären? Oft schlum­mert in der Tie­fe eines in die Jah­re gekom­me­nen Lebens ein alter Wunsch, eine Sehn­sucht, ein Gefühl für Echt­heit. Eigent­lich wäre ich gern …, aber die Umstän­de lies­sen das nicht zu.Die­ses Emp­fin­den einer Beru­fung und die Bedin­gun­gen durch herr­schen­de Umstän­de sind die bei­den zen­tra­len Kräf­te, die unse­rem Lebens­weg die Rich­tung geben. Dabei kann es durch­aus zu mar­kan­ten Wen­dun­gen kom­men, wenn die Bedin­gun­gen plötz­lich wech­seln, aber es kann auch man­che Beru­fung uner­kannt und unbe­nannt blei­ben, weil die Träu­me ver­bor­gen und ver­schwie­gen wur­den.Was soll man auch sagen, wenn eine jun­ge Frau durch den Tod der Eltern vor der Auf­ga­be steht, ihren jün­ge­ren Geschwi­stern eine Ersatz­mut­ter zu sein? Eigent­lich hat­te sie sich vor­ge­stellt, Juri­stin zu wer­den. Aber der Zug war ja nun abge­fah­ren, und bald war sie zu alt, um noch auf­zu­sprin­gen. Oder der Bau­er, der eigent­lich gern ein Sän­ger gewor­den wäre, dann aber den Hof über­neh­men muss­te …Ver­hin­der­te Beru­fun­gen schla­fen im Unter­grund so man­cher See­le. Klar gibt es Men­schen, die von Anfang an prä­zis spü­ren, was sie und wer sie sind. Und es gibt Men­schen, die so stark sind, sich gegen alle Fremd­be­stim­mung durch­zu­set­zen. Aber für die mei­sten ist der Lebens­weg mit viel Suchen und viel Sol­len ver­bun­den, und man­che Beru­fung bleibt uner­reich­bar. Man­che Träu­me sind aus­ge­träumt. Nicht immer ist das, was sich aus den Umstän­den erge­ben hat, nur zwei­te Qua­li­tät. Am Ende gibt es doch ein gan­zes Leben, oft jeden­falls.Und dann gibt es die Beru­fun­gen, die aus kla­ren Grün­den abge­lehnt wer­den. Opfer sol­cher Miss­ach­tung sind wohl in der Mehr­zahl (aber natür­lich nicht aus­schliess­lich) Frau­en, denen vie­le Türen lan­ge ver­schlos­sen geblie­ben sind. Ich den­ke an die beru­fe­nen Prie­ste­rin­nen, für die es der­zeit kei­nen Weg gibt, im Rah­men der Kir­che ihren Weg zu gehen. Kla­re Beru­fun­gen kön­nen unan­ge­nehm sein für herr­schen­de Syste­me wie für domi­nan­te Fami­li­en­struk­tu­ren. Sie kön­nen durch Bewusst­heit und Ent­schie­den­heit Wider­stands­kraft frei­set­zen, die viel Ver­än­de­rung bewir­ken.Und wenn sie plötz­lich da wäre, die gros­se Frei­heit, die Mög­lich­keit? Pau­lus gibt uns im Phil­ip­per­brief einen Weg­wei­ser an, der uns hin­dert, mit «dem Kopf durch die Wand» zu wol­len. Er gibt all unse­rem Suchen eine wun­der­vol­le unend­li­che Leich­tig­keit und Zuver­sicht. Lesen Sie bit­te selbst!Um noch ein­mal das Bild der hl. Rita zu bemü­hen: Ihr Weg hat es mög­lich gemacht, dass im tie­fen Win­ter, wäh­rend sie auf den Tod war­te­te, Rosen geblüht haben. Die Rita-Rosen gel­ten dar­um als Hoff­nungs­zei­chen für alle, die mei­nen, ihre Beru­fung habe kei­ne Chan­ce und müs­se begra­ben wer­den. Es gesche­hen noch Zei­chen und Wun­der, und eine Rose blüht, wo man sie nicht ver­mu­tet.Lud­wig Hes­se, Theo­lo­ge, Autor und Teil­zeit­schrei­ner, war bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung Spi­tal­seel­sor­ger im Kan­ton Baselland 
Redaktion Lichtblick
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