Tragfähige Zukunftspfade erkunden
Am Sonntag, 8. November 2015, wurden in Romanshorn die ersten Schweizer Kirchgemeinden mit dem Umweltzertifikat «Grüner Güggel» ausgezeichnet. Weitere Gemeinden stehen bereit. Aus dem Kanton Aargau sind bis jetzt noch keine Anträge auf Zertifizierung eingegegangen, erklärt Kurt Aufdereggen von oeku — Kirhe und Umwelt auf Anfrage. Aber: «Wir haben eine Einladung an die Aargauer Kirchenpflegetagungen 2016.» Dort werde man kirchliches Umweltmanagement vorstellen dürfen. Die Papst-Enzyklika «Laudato Si» gebe den nötigen Rückenwind. «Ich lade dringlich zu einem neuen Dialog ein über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten. Wir brauchen ein Gespräch, das uns alle zusammenführt, denn die Herausforderung der Umweltsituation, die wir erleben, und ihre menschlichen Wurzeln interessieren und betreffen uns alle.» Mit diesen Worten lädt Papst Franziskus im Schreiben «Laudato si» zu einer gründlichen Erörterung tragfähiger globaler Entwicklungspfade ein. Dem entgegen steht die Realentwicklung der letzten Jahrzehnte. 1950 gab es in der Schweiz 150 000 Autos, heute sind es über 4 Millionen; der Flugverkehr verzeichnete wenige hunderttausend Flüge, heute sind es 40 Millionen; die verbaute Fläche hat sich verdoppelt, jedes Jahr kommt eine Anzahl Wohnungen, die der Stadt Winterthur entspricht, dazu; der Energieverbrauch hat sich verfünffacht.
Einfachheit und Nähe zum Lebendigen
Um wieder in eine tragfähige Balance zu gelangen, ist das ökologische Gleichgewicht in seinen verschiedenen Ebenen zurückzugewinnen, fordert Papst Franziskus. «Das innere Gleichgewicht mit sich selber, das solidarische mit den anderen, das natürliche mit allen Lebewesen und das geistliche mit Gott.» Dabei dient die Nähe zu allem Lebendigen von Franz von Assisi als Orientierungshilfe, wobei sie ins 21. Jahrhundert übertragen werden muss. Diese Überzeugung darf nicht als unvernünftige Schwärmerei abgetan werden, «denn sie hat Konsequenzen für die Optionen, die unser Verhalten bestimmen. Wenn wir uns der Natur und der Umwelt ohne diese Offenheit für das Staunen und das Wunder nähern,… wird unser Verhalten das des Herrschers, des Konsumenten oder des blossen Ausbeuters der Ressourcen sein.» Das menschliche Wirtschaften muss sich in die Kompliziertheit der Ökosysteme und in die natürlichen Rhythmen einpassen. Papst Franziskus schlägt vor, einen kleineren Gang einzuschalten. Nicht um den Weg zurück in die Steinzeit einzuschlagen, aber damit tragfähigere Fortschrittsmuster sich entwickeln können. «Wir müssen uns davon überzeugen, dass die Verlangsamung eines gewissen Rhythmus von Produktion und Konsum Anlass zu einer anderen Art von Fortschritt und Entwicklung geben kann. So können der übertriebene technologische Einsatz für den Konsum gesenkt und die Mittel für die Behebung der unerledigten Probleme der Menschheit angehoben werden. Es geht schlicht darum, den Fortschritt neu zu definieren.»
Anknüpfung an die katholische Soziallehre
Die Überlegungen von Papst Franziskus orientieren sich an den Prinzipien der katholischen Soziallehre, der Personalität, der Solidarität und der Subsidiarität. Der Mensch steht im Zentrum, Solidaität verlangt anch Rücksicht und Zusammenarbeit mit anderen, weiter soll das tun, was möglich ist — das Wohlergehen aller im Blick. Franziskus formuliert darüber hinaus zwei neue Grundsätze: jene der ganzheitlichen Ökologie und der Generationengerechtigkeit (die Auswirkungen unseres Handelns auf künftige Generationen sind stets mitzudenken und zu verantworten). Diese nachgeführte Soziallehre gilt es jetzt, im Kontext der jeweiligen lokalen, nationalen und globalen Verhältnisse konkret ein- und auszuarbeiten.
Umweltzertifikate für Kirchgemeinden
Ein möglicher Weg der Motiviation auf den von Papst Franziskus vorgezeichneten Pfaden könnten Umweltzertifikate sein. Nach Erfolgen in Deutschland wurden am Sonntag, 8. November 2015, in Romanshorn die ersten Schweizer Kirchgemeinden mit dem «Grünen Güggel» ausgezeichnet. Die katholischen Kirchgemeinden Arbon, Ermatingen, Güttingen, Romanshorn und Sirnach sind die ersten, die ein Umweltzertifikat erhalten haben, liess oeku — Kirche und Umwelt am vergangenen Wochenende verlauten. In Deutschland arbeiten bereits über 700 kirchliche Einrichtungen mit einem kirchlichen Umweltmanagement. In der Schweiz stehen weitere Gemeinden bereit.
Noch keine Anträge aus dem Aargau
«Allerdings haben wir aus dem Kanton Aargau bislang noch keine Anträge auf Zertifizierung erhalten», erklärt Kurt Aufdereggen von oeku auf Anfrage. Aber: «Wir haben bei der oeku eine Einladung an die Aargauer Kirchenpflegetagungen 2016. Wir werden an diesen vier Wochenenden erstes Jahresquartal das Umwelthandbuch „Es werde grün“ und das Kirchliche Umweltmanagement vorstellen. Die Enzyklika „Laudato Si“ gibt uns den nötigen Rückenwind.» Marcel Notter hat sich auf die Medienmitteilung betreffend der neu zertifizierten Gemeinden im Thurgau sehr erfreut gezeigt. «Es wäre ja toll, wenn wir auch zu interessierten „Güggel-Gemeinden“ aus dem Aargau kämen. Der Ökofonds der kath. Landeskirche könnte ein Türöffner sein — da haben ja schon eine ganze Reihe von Gemeinden ökologische Massnahmen ergriffen und auch von finanzieller Unterstützung der Landeskirche profitiert.» Robert UntereggerMitgründer der Stiftung ZukunftsratMitglied der sozialethischen Kommission der Bischöfe, Justitia et Pax